Raffael als Architekt
Für seine Wandgemälde ist Raffael berühmt. Doch er war auch Baumeister der größten Baustelle der Christenheit, des Petersdoms.
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Raffael als Architekt
Für seine Wandgemälde ist Raffael berühmt. Doch er war auch Baumeister der größten Baustelle der Christenheit, des Petersdoms.
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Um jede Ausstellung, die wegen Corona geschlossen werden musste, ist es schade. Das Bedauern aber potenziert sich, wenn es sich um eine einmalige Gelegenheit handelte, ein bestimmtes Werk oder ein ganzes Œuvre zu sehen. Das gilt für die große Ausstellung zu Raffaels 500. Geburtstag, die im Ausstellungshaus der Scuderie del Quirinale ausgerichtet wird – und die nach drei Tagen Publikumsöffnung geschlossen werden musste. Jetzt ist sie wieder geöffnet.
Doch viele der gezeigten Werke kann man, wie zuvor auch, an ihren dauerhaften Standorten aufsuchen. Dann aber bleiben insbesondere die lichtempfindlichen Zeichnungen im Verborgenen. Und es geht der Zusammenhang wieder verloren, der im Rahmen dieser Jahrhundertausstellung, die Werke aus den verschiedensten Sammlungen zusammenführt, hergestellt wurde. Das gilt nicht zuletzt für den am wenigsten erschlossenen Arbeitsbereich des aus Urbino gebürtigen und in Rom erst 37-jährig verstorbenen Universalkünstlers Raffael: die Architektur.
Nur Kunsthistorikern dürfte geläufig sein, dass Raffael bis zu seinem Tode nicht weniger als fünf Jahre lang Baumeister des im Entstehen begriffenen, aber noch kaum begonnenen Petersdoms war. Über seine Tätigkeit an dieser größten Baustelle der Christenheit wie auch seine weiteren Entwurfsarbeiten ist zu wenig bekannt, um einen vollständigen Überblick zu erlangen. Das vermochte auch die römische Ausstellung nicht, die der Autor dieser Zeilen am Tag der Vorbesichtigung erkunden durfte. Aber das Wenige, das erhalten ist, konnte zusammengetragen werden. Kein einziges Blatt ist von Raffael selbst gezeichnet, wohl aber spiegeln die Blätter, die Antonio da Sangallo – aus der für die Medici tätigen Baumeisterfamilie – vorlegte, Raffaels Baugedanken. Der Maler selbst verfügte über keinerlei architektonische Ausbildung, und wenn man das hohe technische Niveau in Rechnung stellt, über das insbesondere Raffaels Amtsvorgänger, der 1514 verstorbene Donato Bramante verfügte, verwundert einerseits die Berufung des darin unerfahrenen Raffaels, wie andererseits die vergleichsweise geringen Spuren seiner Tätigkeit einleuchten.
Die verwickelte Baugeschichte des Doms hat Horst Bredekamp vor zwanzig Jahren in seinem Buch „Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung“ entwirrt. Raffael kommt dabei die undankbare Rolle zu, die Wogen, die sich durch Bramantes radikalen Umgang mit Alt Sankt Peter aufgetürmt hatten, zu glätten und eine Art Kompromisslösung zu finden. Was Raffael an Planung vorfand, zeigt die ihrer geringen Größe halber unscheinbare, in ihrer Bedeutung aber kaum zu überschätzende Medaille zur Grundsteinlegung des Neubaus 1506, die Bramantes Vision wiedergibt: eine gewaltige Zentralkuppel über einem antikisierenden Tempel, flankiert von zwei gestuften Ecktürmen. Doch da stand immer noch der Altbau in Gestalt einer Basilika mit enormem Langhaus, wie sie heute noch die Pilgerkirche San Paolo fuori le mura, − vor den Stadtmauern − zeigt.
Raffael entwarf eine Mischung aus dem Zentralbau, den Bramante mit der Gründung der Kuppelpfeiler quasi vorgegeben hatte, und Langhaus, wie es die Traditionalisten auch für den Neubau forderten. Überliefert ist Raffaels Grundriss durch Sebastiano Serlio, allerdings eine Generation nach dem Tod des Malers. Der beschäftigte sich als Architekt mit der Villa Madama für Kardinal Giulio de Medici. Die Ausstellung in den Scuderie zeigt zwei detaillierte Grundrisse, beide um die anderthalb Meter breit, die von Baumeistern der Sangallo-Familie für Raffael gezeichnet wurden und dem im Gang befindlichen Bau zugrunde lagen. Darin hat Raffael seine Kenntnisse der römischen Antike etwa in der Anlage einer weiten Exedra zur Anwendung gebracht. Zudem hatte er einen runden Innenhof anstelle des ursprünglich vorgesehenen, quadratischen Hofs im Sinn − immer mit der Lektüre der Villenbeschreibungen des Plinius im Sinn, die unter den gelehrten Auftraggebern und Künstlern diskutiert wurden.
Überraschend sind die Pläne für das Privathaus, das Raffael für sich zu errichten gedachte und für das er das Grundstück nur 13 Tage vor seinem Tod erwarb. Mit diesem Haus hätte Raffael mit fürstlichen Palästen konkurrieren können. Das Gebäude, später aufgeführt und durch Stiche überliefert, existiert nicht mehr, sodass die Forschung auf Hypothesen angewiesen ist, etwa was die Übereinstimmung mit einem anderen, zur Zeit Raffaels gebauten Palazzo angeht. Da ist die Ausstellung, ohne die Erläuterungen des voluminösen Katalogs kaum zu verstehen.
Sicherlich hat Raffael sich besonders um die Dekoration von Gebäuden Gedanken gemacht. Das war ja sein eigentliches Metier: Bereits mit der 1511/12 ausgemalten berühmten Gartenloggia der Villa Farnesina am jenseitigen Tiberufer wur-de Raffael zum unbestrittenen Vorbild, was die Ausgestaltung von Wohngebäuden anbetrifft. Und wenn es irgendeinen Zweifel an seinem Können als Architekt geben könnte, so bietet Rom – wenn es denn wieder ganz zu besichtigen ist – dafür den besten Gegenbeweis in Gestalt der zwischen 1514 und 1517 erfolgten Ausmalung der Stanzen des Vatikan. Insbesondere in der historischen Szene des „Borgobrandes“, eines Stadtbrandes im spätantiken Rom, zeigt Raffael nicht nur, dass er Architekturen stilgenau darstellen kann, sondern er gibt auch ein Zeugnis des zu seiner Zeit in großen Teilen noch vorhandenen Bauwerks von Alt St. Peter. Diesen Bau ganz zu ersetzen und zu übertrumpfen, gelang erst einige Generationen nach Raffael.
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