Filigranes aus Mailand
Unsere feine Auwahl aus dem überbordenden Angebot des 57. Salone Internazionale del Mobile
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Filigranes aus Mailand
Unsere feine Auwahl aus dem überbordenden Angebot des 57. Salone Internazionale del Mobile
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Fremdes Kapital verändert auch bekannte Möbelhersteller. Nach dem Abgang der Gründerfamilien steigen oftmals branchenferne Investoren in die Unternehmen ein, die meist nur noch kurzfristig kalkulieren: Die Firmen setzen auf angesagte Gestalter, die unmotiviert Manieriertes oder Banales liefern, oder stellen Möbelikonen mit Erläuterungen aus, die man im Museum, nicht im Wohnraum erwartet. Die Auswirkungen wurden auf dem Salone del Mobile 2018 sichtbar. Dennoch gab es auf der Mailänder Möbelmesse, die zum 57. Mal stattfand, gerade bei Traditionsfirmen einige feine Wagnisse zu entdecken.
Claudio Luti ist nicht nur der charmante Präsident des Salone, sondern auch Seniorchef und Eigentümer von Kartell. Nachdem er 1988 die Firma von seinen Schwiegereltern übernommen hatte, produzierte er anderen Trends zum Trotz weiterhin Kunststoffmöbel, die stets den technologischen Fortschritt widerspiegelten.
Für den Sessel Matrix widmete sich der japanische Designer Tokujin Yoshioka der Ästhetik von Strukturen. Auf den ersten Blick erscheint der zweischalige Sitz wie aus einem kunstvollen Geflecht geformt, doch tatsächlich wird der dreidimensionale Körper durch feinste Spritzgusstechnik erzeugt. Dem Sitzenden wird Luftdurchlässigkeit geboten, die bei massiven Schalen zum Beispiel von den Eames fehlt, und, im Unterschied etwa zu dem starren Gittersessel von Harry Bertoia, eine leichte Federung. Der Matrix kommt visuell und funktional dem Bild nahe, das wohl alle genannten Entwerfer im Sinn hatten: sitzen in einem großen Kissen.
Das Regalsystem Jack kehrt in seiner Klarheit formal zur Gründung von B&B Italia 1966 zurück. Seit drei Jahren gehört das Familienunternehmen mehrheitlich einem Investitionsfond, der auch Flos im Portfolio hat. Mit dem renommierten Hersteller von Leuchten arbeitet Michael Anastassiades schon seit über zehn Jahren zusammen; warum sollte er also nicht auch Regale entwerfen können? Wie die Leuchten des 1967 auf Zypern geborenen Designers ist auch Jack materiell minimiert. Anastassiades verwendet ausschließlich Rundrohre mit dem optimierten Durchmesser von 28 Millimetern, die er als Pfosten ebenso wie als Träger einsetzt. Damit beruhigt er das frei im Raum stehende Regal optisch, ohne seine Statik zu verschleiern. Dezent integriert er in die Rohre aus extrudiertem Aluminium sowohl die Befestigungen für die laminierten Regalbretter als auch die Teleskope, die es erlauben, das modulare System in Räumen mit Höhen zwischen 2,20 und 3,24 Metern einzubauen.
Ebenfalls ein ästhetischer Rekurs um ein halbes Jahrhundert ist der Stuhl Strap. Die namensgebenden Bänder sind jedoch nicht um den Rahmen gewickelt wie bei dem seinerzeit verbreiteten Gartenmöbel, sondern bilden ein Geflecht – ein Merkmal für den handwerklichen Ansatz des niederländischen Designerduo Stephan Scholten und Carolin Baijings, beide Mitte vierzig. Der Rahmen des stapelbaren Stuhls besteht aus pulverbeschichtetem Metall, die Bespannung mit dem farbkräftigen Muster aus einem strapazierfähigen Polyestergarn, wodurch sich der Strap gerade auch für den Außenbereich von Restaurants eignet. Dort würde das (für das Familienunternehmen Moroso fast ein wenig brave) Möbelstück eine herrliche Alternative zu dem gängigen belanglosen Gestühl bilden.
Bei seinem dritten Auftritt auf der Nachwuchsplattform Salone Satellite, dessen Teilnehmer in diesem Jahr ansonsten enttäuschten, präsentiert das Designstudio Jorge Diego Etienne einen expressiven Tisch. Referenz sind die legendär dünnen Betonschalen-Bauten, die Félix Candela in Mexiko, dem Heimatland der Gruppe, realisierte. Das nach dem Architekten benannte Möbel ist eine Wiederkehr seiner hyperbolischen Formen, besteht aber – um analog zu den Vorbildern eine geringe Materialstärke zu ermöglichen – aus glasfaserverstärktem Beton. Die Designer haben zwei Gestelle entwickelt, die gläserne Tischplatten mit unterschiedlichen Durchmessern tragen.
Mit leicht und licht ist der Name der Stehleuchte Light Light treffend übersetzt. Dimitri Bähler, der mit Täuschungen arbeitet (Bauwelt 9.2013), lässt einen Ballon aus japanischem, leicht zerknitterten Washi-Papier auf einem nur sechs Millimeter dünnen Stecken aus Kohlefaser gleichsam balancieren. Wird die mit LED bestückte Leuchtkugel berührt, kommt sie auf dem elastischen Stab, den eine schwere Basisplatte hält, ins Schwingen. Damit fügt sich der Schweizer Designer, Jahrgang 1988, in die exaltierte Kollektion der von einem Landsmann finanziell geförderten britischen Firma established & sons ein.
Das zweite Highlight des Salone Satellite ist die poetische Lichtinstallation von Hiroto Yoshizoe mit dem nüchternen Namen 1,625 m/s2. Der Mond, so erläutert der 32-jährige japanische Designer, werfe ein indirektes Licht auf die Erde, das ungleich sanfter als direktes Sonnenlicht empfunden werde. Diese Qualität erreicht er mit zahlreichen an einem Mobile befestigten kleinen Schirmen, deren weiße Innenflächen das Licht aus der Umgebung reflektieren. Äußerlich sind sie wie auch ihre Befestigung vollkommen schwarz, so dass sie in der Dunkelheit verschwinden und die Lichtkegel wie kleine Monde erscheinen. Obwohl mehr Anschauungs- als Gebrauchsgegenstand, fasziniert dieses Lichtobjekt ohne eigenes Leuchtmittel.
Abschließend sind zwei Neuauflagen zu erwähnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der dänische Hersteller Fritz Hansen, schon seit beinahe dreißig Jahren im Besitz einer Holding, stellt die Tischlampe Cross-Plex von Bodil Kjær aus dem Jahr 1961 vor. Sie ist Teil einer zwischen 1955 und 1963 in Skandinavien und den USA produzierten Kollektion, die die heute 86-jährige Architektin entwarf. Das Material Plexiglas verwendete sie zunächst bei einem gleichnamigen Tisch. Bei der Weiterentwicklung als Lampe liegt statt einer Tischplatte ein quadratischer Schirm auf der gekreuzten Basis. Die schwarze Fassung des Leuchtmittels ist im oberen Teil des Kreuzes eingelassen, sodass es hinter einem mattierten Schirm verschwindet und ein angenehm diffuses Licht verbreitet. Damit zeigt sich die Eleganz des heute als wenig edel geltenden Plexiglases.
Ganz anders, aber genauso zeittypisch: die 1962 bei Flos erschienene Ventosa. Achille und Pier Giacomo Castiglioni entwarfen ein Gebrauchsinstrument, das wie eine Taschenlampe eingesetzt werden sollte. Übersetzt heißt Ventosa „Saugnapf“, und genau das ist die prägende Eigenschaft: die Leuchte soll sich überall befestigen lassen – auf den Werbefotos gingen die Castiglionis sogar soweit, sie sich an die Stirn zu heften. Die Neuauflage ist auch ein Souvenir zum 100. Geburtstag von Achille Castiglioni, leider nicht mehr in dem glänzenden schwarzen Gehäuse mit weißem Reflektor. Doch vermutlich gilt auch dafür die Feststellung, die der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa seinen „Leoparden“ machen ließ: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“
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