Bauwelt

Städtebauliche Kriminalprävention

Kann man Kriminalität und der Entstehung von Problemvierteln durch Stadtplanung vorbeugen? Und wie kann die Polizei dabei helfen? Das LKA Niedersachen verfolgt diese Frage seit langem und hat sich dazu die Architektin Anke Schröder ins Team geholt. Sie erforscht Angsträume und Gefahrenorte – und geht mit Vermietern, Anwohnern, Polizisten und Stadtplanern gemeinsam dorthin, wo es weh tut

Text: Abt, Jan, Berlin; Schröder, Anke, Hannover

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    Da hilft auch keine Leuchte: Fensterlose Giebelwände, wie sie bei Zeilenbauten der Nachkriegszeit zu finden sind, erschweren die soziale Kontrolle.
    Foto: Anke Schröder

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    Die Vernachlässigung des öffentlichen Raums zeugt von fehlender Verantwortung: Bei gemeinsamen Begehungen werden Defizite notiert und Lösungen gesucht.
    Foto: Anke Schröder, Sabine Rebe

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    Barrierefrei und einsehbar, so wünscht sich nicht nur die Polizei Eingänge und Übergänge. Die Wirklichkeit ist davon oft weit entfernt.
    Foto: Anke Schröder, Dirk Behrmann

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    Die Karten zeigen Angsträume und Gefahrenorte in den drei Fallstudien des Forschungsprojekts transit. Im Bild: Lüneburg-Mittelfeld
    Visualisierungen: Deniz Keskin; Quelle: transit

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    Die Karten zeigen Angsträume und Gefahrenorte in den drei Fallstudien des Forschungsprojekts transit. Im Bild: Lüneburg-Mittelfeld

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    Braunschweig-Weststadt
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    Emden-Barenburg
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Städtebauliche Kriminalprävention

Kann man Kriminalität und der Entstehung von Problemvierteln durch Stadtplanung vorbeugen? Und wie kann die Polizei dabei helfen? Das LKA Niedersachen verfolgt diese Frage seit langem und hat sich dazu die Architektin Anke Schröder ins Team geholt. Sie erforscht Angsträume und Gefahrenorte – und geht mit Vermietern, Anwohnern, Polizisten und Stadtplanern gemeinsam dorthin, wo es weh tut

Text: Abt, Jan, Berlin; Schröder, Anke, Hannover

Das Gefühl von Sicherheit bestimmt die Lebensqualität von Menschen –sei es im Wohnumfeld, an Bahnhöfen, in Fußgängerzonen oder an anderen öffentlichen Orten. Die Diskussion um Sicherheit ist dabei ein Thema, das im Wechselspiel zwischen Politik, medialer Aufbereitung und dem persönlichen Erleben stattfindet. In diesem Dreieck entwickeln sich Dynamiken, die häufig von Einzelereignissen wie der Silvesternacht in Köln oder dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ausgelöst werden, aber städtisches Leben und Urbanität als Ganzes beeinflussen. Entgegen der Komplexität sicherheitsbezogener urbaner Problemlagen werden meist einzelne Sofortmaßnahmen gefordert, vor allem der Einsatz technischer Mittel wie Videoüberwachung, Bewegungssensorik oder Objektschutz.
Der Wunsch, schnelle Lösungen zu präsentieren, führt leicht zu Maßnahmen, deren Wirksamkeit bislang wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist. Das Problem liegt dabei nicht allein in den politischen Handlungslogiken, sondern auch darin, dass in Deutschland bisher nur eine sehr kleine Zahl an Präventionsprogrammen gut überprüft ist. Die präventive Wirksamkeit der häufig geforderten Videoüberwachung beispielsweise ist uneindeutig: In London zeigt sich, dass die vollständige Überwachung öffentlicher Plätze nicht zwingend zu einer Reduzierung von Straftaten oder zu einer Verbesserung des Sicherheitsempfindens der Menschen führt, denn jede Überwachung impliziert eine sofortige Intervention im Notfall, die aufgrund der Vielzahl an Überwachungsstandorten und den massenhaft anfallenden Daten nicht gewährleistet ist. Eine weitere Metaanalyse verschiedener Studien zur präventiven Wirkung reiner Videoüberwachung in Großbritannien hat ergeben, dass bei der Reduktion von Kriminalität in Stadtzentren, Wohngebieten oder im öffentlichen Personennahverkehr keine klaren Effekte feststellbar sind, wohingegen die Videoüberwachung in Parkhäusern zur Reduzierung von Autodiebstählen tatsächlich wirkungsvoll war. Videoüberwachung im städtischen Raum muss sich zudem immer auch dem Vorwurf stellen, Kriminalität in benachbarte, nicht überwachte Gebiete zu verdrängen. Es zeigt sich also, dass ein gezielter Einsatz von Videoüberwachung durchaus hilfreich sein kann, beispielsweise bei der Aufklärung von Straftaten und in Einzelfällen auch zur Verhinderung von Straftaten, dass sie aber als alleinige Lösung – nicht flankiert von personellen Maßnahmen oder schnellen Interventionen – zu kurz greift.
In Deutschland stehen kurzfristige und rein technische Maßnahmen dem Ansatz der städtebaulichen Kriminalprävention entgegen. Deren Ziel ist es, durch baulich-technische, aber vor allem durch sozialräumliche Maßnahmen Tatgelegenheiten zu reduzieren und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung zu stärken. Die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsempfinden sind dabei gleichermaßen bedeutsam: Aufgrund von Kriminalitätsfurcht kann es beispielsweise zur Vermeidung des öffentlichen Personennahverkehrs kommen, so dass dann Orte entstehen, die ohne ausreichende soziale Kontrolle bleiben und tatsächlich unsicher werden.
Es gibt viele Ursachen dafür, dass Menschen sich an einem Ort unsicher fühlen: Bauliche Faktoren wie fehlende Gestaltung (Unübersichtlichkeit, Dunkelheit, Uneinsehbarkeit) oder undefinierte Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Räumen spielen eine Rolle. Furcht entsteht aber auch durch soziale Faktoren, wie delinquentes oder deviantes Verhalten durch Personen oder Gruppen. Auch unbekannte Situationen können Unsicherheit erzeugen.
Weg vom Täter, hin zur Situation und zum Raum
Die Ursprünge der städtebaulichen Kriminalprävention sind interdisziplinär angelegt und gehen auf die Chicago School der zwanziger Jahre zurück. Die Verknüpfung zur gebauten Umwelt wurde erstmals durch Jane Jacobs „Eyes on the street“ (1961) und durch die Defensible-Space-Theorie des US-amerikanischen Architekten Oscar Newman (1972) hergestellt. Ging man in der Kriminologie jahrelang von einem rein täterorientierten Ansatz aus, so nahm die situative Kriminalprävention die Tatgelegenheit und nicht die Personen in den Fokus. Entwickelt wurde ein raum- und situationsbezogener Ansatz, der die soziale Umwelt einbezieht: Kriminalität ist ein Zusammenspiel von Täter, Ziel und Bewachung. Kleinräumige Kriminalität entsteht „immer dann, wenn ein potentieller Täter auf ein potentiell lohnendes Ziel ohne entsprechenden Schutz trifft“ (Andreas Kohl), entsprechend der Redensart: Gelegenheit macht Diebe. Im Zuge dieses Paradigmenwechsels entwickelte der US-amerikanische Kriminologe C. Ray Jeffrey in den siebziger Jahren das Konzept des „Crime Prevention Through Environmental Design“ (kriminalpräventive Siedlungsgestaltung). Der physische Raum soll demnach so gestaltet werden, dass er die Möglichkeiten für Straftaten reduziert („Target Hardening“). Zudem soll die Siedlungsgestaltung die soziale Kontrolle durch die Bewohnerinnen und Bewohner und deren Partizipation verstärken („Territorial Reinforcement“). Jeffreys Überlegungen mündeten schließlich in konkrete städtebauliche Gestaltungsempfehlungen. In Deutschland wurde dieser Ansatz durch das ISAN-Modell weiterentwickelt, ein Modell, in dem die Handlungsebenen der Kriminalprävention kombiniert werden: ISAN steht für Infrastruktur (I) und soziale Integration, Sozialmanagement (S), Architektur und Städtebau (A) sowie Nachbarlichkeit (N).
Diese Modelle betrachten den gesamten Planungszyklus, von der Projektentwicklung über die Planungsprozesse bis zur Realisierung, und berücksichtigen unterschiedliche Schutzdimensionen. Es geht eben nicht mehr nur darum, ein störendes Element zu beseitigen – wie etwa die Parkbank, an der sich die Trinker immer treffen. Urbane Sicherheit ist ein komplexer Zusammenhang. Wenn es nicht nur um die räumliche Verlagerung von Problemen oder um symbolische Handlungen gehen soll, sind Konzepte erforderlich, die bauliche, soziale und regulatorische Aspekte gleichermaßen einbeziehen: Nicht nur ein Akteur alleine ist für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Erforderlich ist vielmehr eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen sowie Architektur und Stadtplanung, sozialen Institutionen und natürlich den Bürgerinnen und Bürger selbst. Kriminalprävention im Städtebau ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie nimmt die Komplexität urbaner Situationen auf und versucht, sie in langfristig wirksamen Netzwerken zu verankern.
Zentraler Ansatzpunkt für die kleinräumige urbane Sicherheitsarbeit ist das Quartier. Die kleinräumige Analyse von Quartieren wurde inzwischen auch in der Wissenschaft als wirkungsvolle Betrachtungsgröße bestätigt. Das Quartier beginnt vor der eigenen Wohnung und ist der Ort, an dem Expertenwissen und Alltagswissen ineinandergreifen können, um die Kriminalität und das Sicherheitsgefühl zu verbessern. Die interdisziplinäre Betrachtung auf dieser Ebene hilft, Ursachen und Zusammenhänge von Unsicherheiten zu verstehen. Erst die Zusammenarbeit vor Ort an konkreten Beispielen schafft wirksame Lösungen.
Wie kann die Polizei bei der Planung helfen?
Als wichtiger Netzwerkpartner der Kriminalprävention beginnt die Polizei nach und nach, das Thema der städtebaulichen Kriminalprävention in ihr Aufgabenfeld zu integrieren. Einer der Vorreiter in Deutschland ist das Landeskriminalamt Niedersachsen, das bereits im Jahr 2003 den politischen Auftrag erhielt, sich intensiver in städtebauliche Planungsprozesse einzubringen. Ausgangspunkt war ein Stadtgebiet in Hannover, das aufgrund vielschichtiger Problemlagen ein schlechtes Image hatte und als benachteiligter Stadtteil berüchtigt war. Unübersichtliche bauliche Großsiedlungsstrukturen, die Belegung und der Nachzug einer einseitigen Bewohnerschaft, ein hohes Kriminalitätsaufkommen und ein schlechter baulicher Zustand führten erstmals zur Zusammenarbeit zwischen Polizei, städtischen Wohnungsunternehmen und der Kommune.
Zu diesem Zeitpunkt sollte getestet werden, ob und wie polizeiliche Ansätze und kriminologisches Wissen einen Mehrwert für städtebauliche Projekte darstellen. Als Träger öffentlicher Belange war die niedersächsische Polizei zwar auch bisher in Planungsprozesse involviert, die Ergebnisse brachten jedoch nicht den gewünschten Erfolg: Es existierten schlicht keine systematischen Kriterien oder Arbeitshilfen zur Unterstützung und Beurteilung städtebaulicher Planungsaufgaben unter Sicherheitsaspekten. Im Zuge der politischen Aufforderung wurde das erste Forschungsprojekt „Sicheres Wohnen in Niedersachsen – Kriminalprävention im Städtebau“ gestartet, in dem die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Beteiligungsmöglichkeiten der Polizei an Planungsaufgaben ausgelotet wurden. Im anschließenden europäischen Forschungsprojekt „Planning Urban Security PluS“ arbeiteten Teams in Deutschland, Österreich, Polen und Großbritannien zusammen. Während der Projektlaufzeit wurde deutlich, dass die Situation vor Ort entscheidenden Einfluss auf die Analyse und Beurteilung sicherheitsrelevanter Aspekte hat. Es muss lokal entschieden werden, welche Strategien zur Reduzierung von Tatgelegenheiten führen.
Dennoch sind übergreifende Modell­ansätze für die Professionalisierung der lokalen Akteure hilfreich. Seitens der Polizei wurde zum Beispiel das „kleinräumige Kriminalitätslagebild“, also die qualifizierte Darstellung von Delikten und Ordnungsstörungen im Raum, entwickelt: Aus der polizeilichen Eingangsstatistik werden nur diejenigen Delikte und Ordnungsstörungen herausgefiltert, die Einfluss auf das nachbarschaftliche Miteinander haben können. Lagebildbeschreibungen und -analysen geben Aufschluss darüber, ob die Ursachen der Delikte und Ordnungsstörungen durch die bauliche Gestaltung des Raumes oder die sozialräumliche Situation begünstigt werden. So konnte ein Qualifizierungsmodell zur Kriminalprävention im Städtebau entwickelt werden, das aufzeigt, welche Maßnahmen und Voraussetzungen begünstigend auf kriminalpräventive Aspekte im Städtebau einwirken können.
Mit der Erkenntnis, dass polizeiliches Wissen als Qualitätsmerkmal städtebaulicher Projekte angesehen werden kann, und dass kriminalpräventiv wirksame Ansätze im lokalen Kontext anzusetzen sind, erfolgten weitere Forschungsaktivitäten in diesem Themenfeld. Die Polizei profitiert hier insbesondere durch den Erkenntnisgewinn aus der Verknüpfung sozialwissenschaftlicher, kriminologischer und planerischer Forschungsansätze.
Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommune
Mit dem Forschungsprojekt „transit“ (Transdisziplinäre Sicherheitsstrategien für Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen, 2013-2016) konnten wir neue Impulse für die Praxis urbaner Sicherheitsarbeit setzen. Das Projekt stellt die Alltagssituation der Bevölkerung in den Mittelpunkt und analysiert das bauliche Wohnumfeld und die soziale Nachbarschaft, um sicherheitsrelevante Kriterien möglichst frühzeitig in die Umgestaltung bestehender Quartiere einzubeziehen. Das Projektteam aus Landeskriminalamt Niedersachen, dem Deutschen Institut für Urbanistik und dem Hamburger Institut F+B (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt) arbeitete in den drei Städten Braunschweig, Emden und Lüneburg an der Entwicklung transdisziplinärer Sicherheitsstrategien. „Transdisziplinär“ heißt in diesem Fall, dass Polizei, Wohnungswirtschaft und kommunale Verwaltung nicht nur kooperieren, sondern ihren jeweiligen fachlichen Blick bereits in der Problemdefinition zusammenführen. Eine Analyse, die die verschiedenen Zugänge der Beteiligten vereint und die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie ermöglicht, sollte dazu führen, dass die Lösung des Problems unabhängig von den jeweiligen Disziplinen stattfindet.
Wir haben Fallstudienorte gewählt, die stellvertretend für andere bundesdeutsche Kommunen stehen. Neben Standortkriterien wie Größe und Lage war entscheidend, dass sich die Quartiere ökonomisch, demografisch oder sozial in einem Umbruchprozess befinden, etwa durch den Aus- oder Abbau von Erwerbsarbeitsplätzen. Vermutet wurde, dass diese Veränderungen Auswirkungen auf die Wohnungsmarktsituation mit sich bringen, die zu einem stärkeren Nachfragedruck oder einer erhöhten Fluktuation und Leerstand führen können. Dadurch entstehen Dynamiken im Quartier, die auch Sicherheitsfragen berühren. Zusätzlich wurde der baulich-räumliche Zustand der Gebiete in die Auswahlkriterien einbezogen. Entweder befanden sich die ausgewählten Standorte bereits in städtebaulichen Förderprogrammen wie „Stadtumbau West“ und „Soziale Stadt“ oder sie waren in der Antragsphase, so dass kriminalpräventive Ansätze gleich in den Veränderungsprozess eingebracht werden konnten und nicht im Nachhinein erst als zusätzlicher Bestandteil einfließen mussten.
Aufbauend auf dieser Erkenntnis, dass kriminalpräventive Aspekte nur dann nachhaltige Wirkung zeigen, wenn sie nicht nur als zusätzlicher Aspekt in Planungsprozesse einfließen, sondern von Anfang an mitgedacht werden, haben wir zwei Ansätze verfolgt: Einerseits ging es darum, die gemeinsame Arbeit an Planungsaufgaben zu unterstützen, andererseits haben wir Instrumente entwickelt, die die langfristige Kooperation der für Sicherheit zuständigen Akteure vor Ort stärken. Eingebunden waren die örtliche Polizei, Wohnungsunternehmen und die Kommune, vertreten durch die Fachverwaltungen Stadtplanung und -entwicklung, Ordnung, Jugend und Soziales sowie die kriminalpräventiven Gremien.
Angsträume und Gefahrenorte
Die ausgewählten Städte haben wir unter der Annahme analysiert, dass Gefahrenorte (also Orte, an denen tatsächlich Kriminalität und Ordnungsstörungen stattfinden) nicht unbedingt mit den Orten übereinstimmen, an denen sich Menschen unsicher fühlen. Im Rahmen einer quantitativen Befragung sollten Bewohnerinnen und Bewohner Orte identifizieren, die sie als „Angsträume“ bezeichnen würden. Die Befragten hatten die Möglichkeit, konkrete Orte zu benennen und den Grund der Verunsicherung anzugeben. Rund ein Drittel der Befragten gab einen oder mehrere Orte an, an denen sie sich unsicher fühlten. Parallel zur Bevölkerungsbefragung hat die Polizei ein kleinräumiges Kriminalitätslagebild erstellt, das die Delikte, Ordnungsstörungen und deviantes Verhalten auflistet, die eine unmittelbare Auswirkung auf das nachbarschaftliche Miteinander haben können. Diese als „Gefahrenorte“ bezeichneten Orte haben wir den Angst­räumen gegenübergestellt und kartographisch aufbereitet.
Tatsächlich konnte die These bestätigt werden, dass Menschen sich nicht zwangsläufig dort unsicher fühlen, wo Kriminalität und Ordnungsstörungen nachzuweisen sind. Vielmehr wurden Orte benannt, die entweder aufgrund fehlender Orientierungsmöglichkeiten und Leitsysteme auffielen, oder die dunkel, unübersichtlich, zugig, verwahrlost oder vermüllt wirkten. Die Befragten bemängelten fehlende Aufenthalts- und Begegnungs- oder Querungsmöglichkeiten. Zu enge Gehwegbreiten führen beispielsweise dazu, dass vor bedrohlich erscheinenden Menschen nicht ausgewichen werden kann.
Auf dieser Grundlage haben wir mit den lokalen Akteuren eine fachübergreifende Begehung der beschriebenen Angsträume und Gefahrenorte durchgeführt. Ausgestattet mit einem Kriterienkatalog sicherheitsrelevanter Aspekte haben wir gemeinsam die Orte nach Aspekten wie Orientierung, Abstellmöglichkeiten, Wegehierarchien, Einsehbarkeit und Nutzungsangeboten untersucht. Im konsensorientierten Austausch sollten Verbesserungen entwickelt und Verantwortungen geklärt werden. Die Begehung führte dazu, dass eine direkte interdisziplinäre Vor-Ort-Analyse stattfand. Im Gespräch wurden fehlende Perspektiven eingebracht und Absprachen getroffen. Es stellte sich beispielsweise heraus, dass die Polizei oftmals nicht in Stadtentwicklungskonzepte eingebunden ist, obwohl sie über den direkten Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern viel Wissen über Problemgebiete und soziale Spannungen angehäuft hat. Auch die Wohnungsunternehmen bemängelten Kommunikationslücken. Beispielsweise würde ihnen die Polizei bei Räumungsklagen nicht mitteilen, wann die Räumung stattfindet. Auf anfallende Fragen der verunsicherten Mieterschaft wären sie somit nicht ausreichend vorbereitet. Darüber hinaus konnten konkrete Absprachen getroffen werden: Beispielsweise hat sich ein Wohnungsunternehmen angeboten, die Kosten für die städtische Beleuchtung entlang der eigenen Wohnbestände bis zum Straßenende zu übernehmen. Im Nachgang zum Forschungsprojekt haben alle Beteiligten insbesondere die Methode der Begehungen als Mehrwert eingestuft.
Kooperationsmuster und Handlungslogiken
Um die Zusammenarbeit vor Ort zu verstetigen und zu vertiefen, haben wir zudem eine Netzwerkanalyse bestehender Kooperationen durchgeführt. Dabei haben wir feste Strukturen identifiziert, aber auch Lücken und fehlende Verbindungen zwischen den Verantwortlichen – das Stadtplanungsamt und die Polizei etwa kommen nur selten zusammen, obwohl sie sich beide auf ihre Weise mit sicheren Räumen beschäftigen. Trotz vielmals vordefinierter Aufgabenbereiche sind die Akteursstrukturen im Detail zwischen den Städten unterschiedlich ausgeprägt, abhängig von eigener Schwerpunktsetzung, der Verfügbarkeit von Personal, der persönlichen Prägung durch Einzelakteure und der vorhandenen Kooperationskultur innerhalb der Stadt.
Dennoch finden sich in diesen Netzen auch immer wieder ähnliche Kooperationsmuster und typische Konstellationen: Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Ordnungsverwaltung ist meist eng, die Abstimmung zwischen der kommunalen Planung und der Wohnungswirtschaft erprobt und zwischen Jugend-, Schul- und Sozialverwaltung verankert. Die für ein sicheres Wohnumfeld und eine sichere Nachbarschaft ebenso wichtigen Kooperationen jenseits dieser Verbindungen sind dagegen kaum etabliert.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Meist wurde ein gemeinsames Ar­beiten von vermeintlich fachfernen Akteuren schlicht noch nie aktiv angestoßen. Mitunter hindert auch ein unzureichendes Verständnis der Handlungslogik des Gegenübers die Zusammenarbeit. Womöglich behindern Vorurteile oder ein fehlendes Wissen über die Grundlagen, Gegenstände, Methoden und Handlungsreichweiten der anderen Akteure eine engere Kooperation.
Gemeinsames Arbeiten an einem konkreten Thema oder Ort hilft, solche Hindernisse zu überwinden. Wenn beispielsweise die Neugestaltung eines öffentlichen Platzes bereits in der Vorbereitsphase mit aufsuchender Jugendarbeit und intensivierter Vor-Ort-Präsenz der Polizei verknüpft wird, greifen Planungs-, Umsetzungs- und Nutzungsphase gezielt ineinander. Im Ergebnis können sichere und lebenswerte Räume entstehen. Wichtig ist es auch, vermeintlich nicht betroffene Fachakteure über eigene Vorhaben und Planungen zu informieren. Ordnungsamt und Polizei stehen wiederholt vor der Aufgabe, konflikthafte Nutzungen im öffentlichen Raum zu befrieden. Solche Konflikte lassen sich oft vermeiden, wenn das Know-How aller Beteiligten bereits in die Konzeption und städtebauliche Planung einfließt. Planerinnen und Planer können hier noch viel stärker als bisher auf das Fachwissen der anderen Disziplinen zurückgreifen.
Wie beeinflusse ich die Sicherheit im Quartier?
Die städtebauliche Kriminalprävention soll die subjektive Sicherheit verbessern und die Kriminalität verringern. Um dies zu erreichen, müssen alle Ebenen eines Planungsprozesses betrachtet und Präventionsstrategien gemeinsam entwickelt, mitgedacht und umgesetzt werden. Zu einem nachhaltigen Präventionsansatz gehören dabei sowohl bauliche als auch soziale Maßnahmen. Ein wichtiger Schritt besteht auch darin, sich der eigenen Wirkung auf die lokale Sicherheitslage bewusst zu sein: „Wie beeinflusse ich die Sicherheit im Quartier?“ Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Frage kann die Beteiligten vor Ort sensibilisieren. Für diejenigen Akteure, für die Sicherheit und Kriminalprävention zu den originären und kontinuierlichen Aufgabe gehören (wie die Polizei, das Ordnungsamt oder die kriminalpräventiven Gremien) bedeutet dies, sicherheitsrelevante Aspekte immer wieder gezielt in die Diskussion einzubringen, allerdings ohne die Aspekte und Aufgaben der anderen Disziplinen zu dominieren. Diejenigen Akteure, für die Sicherheit nur ein weiterer Gesichtspunkt unter vielen ist (etwa die Planungs- und Jugendverwaltungen oder die Wohnungswirtschaft) haben dagegen die Aufgabe, diese Themen offen mit Blick auf die eigene Arbeit zu durchdenken und sich stärker auf sie einzulassen.
Insbesondere in Zeiten dynamischer gesellschaftlicher Veränderungen ist es für die Akteure vor Ort hilfreich, auf ein Netzwerk zurückgreifen zu können, dass es ihnen ermöglicht, eine differenzierte und interdisziplinäre Beurteilung der lokalen Sicherheitssituation vorzunehmen – denn nur so lassen sich einzelne Maßnahmen gezielt aufeinander abstimmen und koordiniert umsetzen. Gemeinsam lässt sich mehr erreichen als durch Einzelmaßnahmen. Nur im Zusammenspiel von baulichen, sozialen und regulatorischen Elementen entsteht tatsächlich eine sichere und lebenswerte Stadt.

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