Bauwelt

Statements

Vier Kommentare zum Wettbewerbsergebnis

Text: Arno Lederer, Ursula Baus, Christoph Valentien, Wilfried Wang

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Vier Kommentare zum Wettbewerbsergebnis

Text: Arno Lederer, Ursula Baus, Christoph Valentien, Wilfried Wang

Keine Müdigkeit am Kulturforum
Paul Scheerbart: „Ihr seid alle so müde – und zwar deshalb, weil ihr nicht alle eure Gedanken in einem ganz einfachen aber ganz großartigen Plan konzentriert“. Die Bauwelt 38 aus dem Jahr 1968 widmet sich der Neuen Nationalgalerie mit einem umfassenden Artikel von Ulrich Conrads und anderen. Conrads stellt seinem Text ein Zi­tat von Walter Benjamin voran, der wiederum obiges Zitat Paul Scheerbarts zu Wort kommen lässt.
48 Jahre später: Wieder könnte der Satz von Paul Scheerbart über dem Wettbewerb für das Museum des zwanzigsten Jahrhunderts stehen. Galt nicht die Suche einem ganz einfachen und ganz großartigen Plan? Das Preisgericht ist jedenfalls davon überzeugt, nach zwei Tagen intensiver Begutachtung der vierzig eingereichten Entwürfe, eine solche Lösung gefunden zu haben.
Als Voraussetzung für den Erfolg eines Wettbewerbs sind drei Punkte ausschlaggebend: der Inhalt der Ausschreibung, die Fach- und Sachkompetenz des Preisgerichts und schließlich die Qualität der eingereichten Entwürfe. Mehrfach wurde der vorausgegangene Ideenwettbewerb kritisch beurteilt. Gewiss muss man sich die Fra­-ge stellen, ob mit solchen Verfahren angesichts der hohen Teilnehmerzahlen der Arbeitsaufwand überhaupt in Relation zum möglichen Erfolg steht. Auf der anderen Seite konnte durch den gemeinsamen Erkenntnisgewinn die Ausschreibung in wesentlichen Teilen präzisiert werden. Und das Preisgericht? Dazu kann ich nur sagen, dass sich alle Preisrichter und Fachbe­rater ihrer hohen Verantwortung bewusst waren: natürlich der einmaligen und großen Aufgabe gegenüber, aber auch im Bewusstsein, dass jedes Büro einen Arbeitsaufwand zu leisten hatte, der allein, was den Kapitaleinsatz betrifft, mindestens der für den ersten Preis ausgelobten Summe entspricht. Wer Gelegenheit findet, sich alle Arbeiten anzuschauen, wird feststellen wie hoch die Qualität jedes einzelnen Entwurfes ist. Dies, wie auch die Vielfalt der angebotenen Lösungen ermöglichten einen Vergleich der Vor- und Nachteile unterschiedlichster Entwurfskonzepte, was nicht nur den Blick für die besten Arbeiten schärfte, sondern insgesamt eine Auskunft darüber gibt, wohin sich Architektur und Städtebau entwickeln könnten.
Die mit Preisen ausgezeichneten Arbeiten stellen ganz unterschiedliche Lösungsansätze dar: Bruno Fioretti Marquez mit dem konzentrierten und sparsam-noblen Baukörper, Lundgaard & Tranberg mit dem Versuch, durch eine organische Form den Raum zu harmonisieren und schließlich der lapidar einfache und dennoch in seiner Lesbarkeit oszillierende Entwurf von Herzog & de Meuron. Es brauchte zwei Tage der intensiven Auseinandersetzung, um zu der übereinstimmenden Überzeugung zu gelangen, dass sich dieser Beitrag in überragender Weise eignet, auf allen Ebenen diese unglaublich anspruchsvolle Aufgabe zu lösen. Dass das Ergebnis die Architekturdebatte bereichert, ist gut. Wesentlich für das Projekt wird jedoch die Frage sein, wie in der weiteren Entwicklung die Qualität in Ausführung und Detail sichergestellt werden kann. Daran wird sich das Haus im Vergleich zur Neuen Nationalgalerie messen lassen müssen.
Arno Lederer Architekt und Mitinhaber des Büros Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart
Haus am falschen Ort
Eines muss man dem Büro lassen: Es saugt aus den Orten, an denen gebaut wird, Entwurfskraft. Genau das vermisst man an ihrem neuen Museumsentwurf, der stadträumlichen Situa­-tion konnten sie nichts Kongeniales abgewinnen. Wie sollten sie auch?
Das Terrain ist eine derzeit atmosphärisch betrübliche, weil jahrzehntelang sträflich vernachlässigte Freifläche. Mit den architekturhistorisch herausragenden Solitären von Mies und Scharoun bleibt jedoch ein öffentlicher Raum aufgespannt, der sich mit dem dritten Solitär, der Stülerschen Kirche, tadellos verträgt. Der aber jetzt nicht etwa durch Investoren, sondern politisch unter einen Verwertungsdruck geriet, dem er nicht standhalten kann. Von einer 200-Millionen-Euro-Spritze des Deutschen Bundestages ließen sich die Hauptstadtpolitiker unter Zugzwang setzen, um Architekten zur Lösung einer unlösbaren Aufgabe zu nötigen – was der Ideenwettbewerb schon gezeigt hatte. Aber wie so oft: Auch Unlösbares trauen sich Architekten selbstverständlich zu.
Wieder mal ignorieren sie stadträumliche Konzepte, die – genauso wie Architektur – zeitbezogene Phänomene dank vielfältiger Einflussfaktoren sind. Mal erkennt man den Zauber der durchgrünten Stadt, dann wieder den Charme der Gründerzeit-Quartiere, schließlich das Potenzial der Zwischenstadt. Dabei kann man alle Konzepte zeitgleich hier grandios, da teils geeignet, dort grundsätzlich falsch finden. Problematisch wird es aber, wenn ein Gründerzeit-Quartier in eine lockere, grüne Stadtlandschaft umgemodelt oder wenn einer lockeren, grünen Stadtlandschaft die Gründerzeit-Struktur übergestülpt wird. Genau das machen Herzog & de Meuron, die sich darüber hinwegsetzen, dass Bauten wie die Nationalgalerie oder das Scharoun-Ensemble Platz brauchen. Die Idee der lockeren Stadt be­ansprucht an dieser Stelle keineswegs viel Platz, sondern ließe sich zwischen Tiergarten und Potsdamer Platz wunderbar entfalten – aber von Landschaftsarchitekten.
Nun wird das Kulturforum zugebaut und durchwegt und verplatzelt. Die Nationalgalerie wird ihrer prägenden Qualität beraubt, mit der Innen und Außen in Wechselwirkung treten. Das Scharoun-Ensemble wird seine weit in den öffentlichen Raum reichende, am Tiergarten ideale Wirkung einbüßen.
Last but not least wird am Kulturforum mit einer funktionalen Monokultur die Chance vertan, ein Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts dort zu bauen, wo es gebraucht wird. In Regierungsvierteln – wie in Washington –, an Einkaufsmeilen – wie in Paris–, auf veritablen Brachen – wie in New York – ließe sich mit dieser Bauaufgabe stadträumlich Herausragendes machen. Am Berliner Kulturforum hätte es kein weiteres Museum gebraucht.
Ursula Baus Architekturkritikerin und Herausgeberin des Online-Architekturmagazins frei04 publizistik

Neue Raumkanten
Auf den ersten Blick wirkt der Entwurf einer „großen Scheune“ zwischen Nationalgalerie und Philharmonie fremd. Das neue Haus besetzt sehr raumgreifend die gesamte freie Fläche und setzt sich formal von den beiden Ikonen der Moderne ab. Es korrespondiert allenfalls über das Material mit der benachbarten, allerdings ungleich zierlicheren Stühlerschen Kirche, die es schwer hat sich hier noch zu behaupten. Wenn man diesen Ansatz akzeptiert, wünscht man sich dennoch hier mehr Raum. Auch zum Scharounplatz wäre etwas mehr Abstand gut um die topographischen Probleme, die angesichts der sehr großen horizontalen Fläche auftreten werden, angemessen bewältigen und die Platane gut inte­grieren zu können.
Erst bei genauerer Betrachtung, wenn man die innere Organisation versteht, versteht man auch die Idee des Entwurfes. Mit den beiden, sich kreuzenden Achsen wird der öffentliche Raum in das Innere des Museums verlegt. Diese breiten Passagen nehmen die umgebenden Nutzungen und die Wegebezüge auf. Sie verbinden in Ost-westrichtung von der Staatsbibliothek über den Matthäikirchplatz zur Gemäldegalerie, die Nord-Süd-Achse endet auf dem Scharounplatz, der nun eine noch höhere Bedeutung als zen­traler Platz und Mittelpunkt des Kulturforums erhält. Dieser freie, befestigte Platz soll künftig nicht nur als Verteiler der Fußgängerströme dienen, sondern Raum geben für Open Air Veranstaltungen, Ausstellungen oder Feste.
Von dem, von Scharoun proklamierten Begriff der „Stadtlandschaft“ wird man künftig nicht mehr sprechen können. Auch die lange gehütete Sichtbeziehung zwischen Nationalgalerie und Philharmonie wird es nicht mehr geben. Allerdings entstehen neue Bezüge. Gestärkt durch die klare, lineare Führung von Herbert-von-Karajanstraße und Matthäikirchstraße gewinnt die Blickachse von der Kirche zum Tiergarten künftig an Kraft. Auch die Sichtachse über den Scharounpatz zur Piazzetta und Gemäldegalerie wird durch die räumliche Fassung wirkungsvoll gestärkt. In diesem Zusammenhang drängt sich der Gedanke auf, ob es in dieser Gesamtkonzep­tion nicht folgerichtig wäre nun auch die Raumkante zwischen Kunstbibliothek, Kunstgewer­bemuseum und Gemäldegalerie an den Scharounplatz zu holen und diese Institutionen gemeinsam durch ein großzügiges ebenerdiges Foyer zu erschließen.
So wie im Inneren des Museums des 20. Jahrhunderts wichtige, geistige und funktionale Bezüge durch ein Kreuz von Achsen neu definiert werden, werden im Außenraum wichtige Sichtbezüge aufgebaut. Sie beziehen sich nicht mehr auf die Scharounsche Stadtlandschaft, sondern auf die Struktur des historischen Stadtgrundrisses, in neuer, freier Interpretation. Eine durchaus vergleichbare städtebauliche Haltung wie sie dem 1. Preis des Freiraumwettbewerbs von 1997/98 (von Valentien und Valentien, A.d.R.) zugrunde lag, wo das frühere städtebauliche Grid durch eine Halle von Kiefern von näherungsweise gleicher Kubatur nachgezeichnet worden war.
Christoph Valentien Landschafts- und Stadtplaner. Mitinhaber von Valentien und Valentien, München. Freiraumplaner am Kulturforum

Eine Katastrophe
Städtebaulich und architektonisch ist das Ergebnis des zweiten M20-Wettbewerbs eine Fehlentscheidung. Die flache Bauform erstreckt sich introvertiert über das gesamte Grundstück. Dadurch werden die unterschiedlichen Größenordnungen der Nachbarbauten ignoriert. Mit seinen bis an die Fußwege reichenden großflächigen Fassaden werden die umliegenden Bauten in die zweite Reihe versetzt. Die südliche Baumgruppe verschwindet. 90 Prozent der Außenwände sind trotz geplanter poröser Ziegelfassade geschlossen. Nur der östliche Zugang ist auf den Haupteingang der Staatsbibliothek gerichtet, die anderen drei bilden keine städtebaulichen Beziehungen. Das Kulturforum gewinnt dadurch nicht an Aufenthaltsqualität, sondern verödet weiter.
Die auf zwei Ebenen überlagerten Korridore, „Boulevards“ genannt, sind in den Quadranten über kleinere Korridore und Treppen verbunden. Die Metapher „Boulevard“ ist so irreführend wie Le Corbusiers „rue intérieure“. Boulevards sind 24 Stunden lang betretbare öffentliche Räume. Diese Korridore werden nachts geschlossen. Auf drei Ebenen sind rechteckige Ausstellungsräume angeordnet, die von den Besuchern leicht labyrinthisch abgeschritten werden sollen; was ist daran innovativ? Der Goetz Pavillon in München war innovativ. Kunst- und architekturhistorisch ist die Wahl dieses Entwurfs ein Fehler, weil erstens ein Satteldachbau nicht zum Kulturforum passt und zweitens damit keine Moderne verbunden wird, sondern das Gegenteil. Das Kulturforum war ursprünglich nicht nur ein Angebot West-Berlins an den Osten, sondern auch der Versuch, den Ansatz der Nazi Nord-Süd-Achse durch eine moderne Gestaltung zu exorzieren.
Mangelnde Sensibilität, unnötige Hast gefolgt auf jahrelanger Untätigkeit und Sehnsucht nach Label-Architektur führen hier erstaunlicherweise zur Provinzialität. Die ausgewählten Arbeiten des ersten Wettbewerbs waren modern und sensibel und ließen ein anderes Ergebnis vermuten. In Deutschland gibt es auch heute gute Architektur, aber Deutschland hat seit Jahrzehnten an exponierten Orten keine bedeutende Architektur mehr beauftragt; siehe Berliner Schloss, siehe EXPO-Pavillons, nun M20. Würde dieser Entwurf gebaut, folgte auf die Fehlentscheidung eine Katastrophe.
Wilfried Wang Architekt und Mitinhaber des Büros Hoidn Wang, Berlin, und Professor an der Universität Austin, Texas
Fakten
Architekten Lederer, Arno, Stuttgart; Baus, Ursula, Stuttgart; Valentien, Christoph, München; Wang, Wilfried, Berlin
aus Bauwelt 40.2016
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