Strahlendes Mittelalter
Das Pariser Musée de Cluny wurde erweitert und modernisiert. Unlängst nahm es den normalen Betrieb wieder auf.
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Strahlendes Mittelalter
Das Pariser Musée de Cluny wurde erweitert und modernisiert. Unlängst nahm es den normalen Betrieb wieder auf.
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Im Pariser Architekturmuseum im noblen Westen der Stadt stehen Monumente aus ganz Frankreich in Eins-zu-eins-Reproduktionen und Modellen. Wirklich altes Gemäuer aber, von den zahlreichen Kirchen abgesehen, sind am schönsten im Musée de Cluny zu bewundern, auf dem linken Seineufer, der rive gauche, direkt am belebten Boulevard Saint-Michel. Das Areal lag im Mittelalter am Rand der Stadt, noch früher aber, zur Römerzeit, mittendrin. Es haben sich Teile der Thermen erhalten, mit herrlich weitgespanntem Tonnengewölbe, und dazu Klosteranlagen des lange als „dunkel“ missachteten Mittelalters. Als mit der Romantik im 19. Jahrhundert diese Epoche eine neue Wertschätzung erfuhr, wurde 1843 das Musée de Cluny geschaffen, das seit 1992 so benannte Nationalmuseum des Mittelalters.
Im Laufe der Jahrzehnte geriet es etwas aus dem Blickfeld und alterte selbst. So legte das Kulturministerium 2011 ein umfangreiches Renovierungsprogramm auf, welches Ende Mai 2022 mit der vollständigen Wiedereröffnung des Museums abgeschlossen wurde. Kernstück der Maßnahmen ist die Errichtung eins Erweiterungsgebäudes, entworfen von Bernard Desmoulin und als solches bereits 2018 fertiggestellt, aber erst jetzt zur Gänze genutzt. Der vielfach ausgezeichnete Desmoulin, langjähriger Dozent an der Architekturfakultät Paris-Val de Seine, hat verschiedene Kulturbauten rund um die Hauptstadt und in der Provinz entworfen, aber auch das 1986 eingeweihte Denkmal der Indochina-Kriege im südfranzösischen Fréjus.
Der Erweiterungsbau nimmt mit seinem zweifachen flach geneigten Satteldach das mittelalterliche Vorbild auf. Die in goldschimmernde Metallplatten gekleidete Fassade besitzt nur wenige, asymmetrisch eingeschnittene stehende Fenster, vor denen zumeist ornamentale Metallgitter den Blick hinaus erlauben, nicht aber den hinein. Der Eingang zum Museum liegt, da die Front zum Boulevard von einem eingezäunten Ausgrabungsfeld gebildet wird, in einem schmalen, vom Boulevard rechtwinklig abzweigenden und zur Fußgängerzone umgewidmeten Sträßchen, das den Besucher augenblicklich der Hektik der mehrspurigen Verkehrsachse enthebt und einstimmt auf die klösterliche Ruhe des Museums. Dessen Schätze, allen voran die herrliche Wandteppichfolge der „Dame mit dem Einhorn“, fordern nun einmal konzentrierte Betrachtung.
Das Gebäude enthält Servicebereiche wie die erweiterten Kassen, die Schließfächer und erstmals eine großzügige Fachbuchhandlung; zugleich bildet es den Ausgangspunkt des Besucherrundgangs im Erdgeschoss wie auch dessen Ende über eine abgewinkelte Treppe, die vom Obergeschoss an den Ausgangspunkt zurückführt. Im Inneren dominieren glatter Beton und Holz verschiedener Tönung. Der Rundgang durchs Museum ist behutsam modernisiert worden; Barrierefreiheit war eine wichtige, nicht an allen Stellen mit den Niveausprüngen der alten Gemäuer vereinbare Forderung. Also musste der Eingangsbau auch zwei Fahrstühle aufnehmen – aber nichts ist aufdringlich, und gleich hinter den Kassen ist man mittendrin, als beträte man kein Museum, sondern eine Wohnstube. Schwellenangst muss hier niemand haben.
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