The Art of Making Buildings
Eine Renzo Piano-Werkschau zeigt die gestärkte Rolle der Architektur in der neuen Royal Academy
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
The Art of Making Buildings
Eine Renzo Piano-Werkschau zeigt die gestärkte Rolle der Architektur in der neuen Royal Academy
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Die erste Architekturausstellung in den neugeschaffenen Gabrielle Jungels-Winkler Galleries der Royal Academy gilt einem Großen der zeitgenössischen Architektur: Renzo Piano. Der Kontrast zum Erneuerer der Akademie mit der Zusammenführung ihrer beiden, bis dahin beziehungs-los nebeneinanderstehenden Gebäude, David Chipperfield, könnte kaum größer sein. Während sich Chipperfield auf sichtbare Weise unsichtbar macht, zeigt sich Piano als fröhlicher Erforscher alles Neuen und aller nur denkbaren Materialien. Wie bei den zahlreichen früheren Stationen seiner never ending tour zeigt er sein Büro als genau das, was der Name Renzo Piano Building Workshop (RPBW) nahelegt: als eine Werkstatt von Bastlern. Quadratische Tische zu je acht in Reih und Glied in den beiden Oberlichtsälen aufgestellt, darauf jeweils ein signifikantes Projekt in Zeichnungen, Materialstudien und Detailmodellen, gelegentlich auch Fotografien aus der Entwurfszeit. Jeweils vier segeltuchbespannte Klappstühle stehen an einem jeden Tisch und weisen dezent auf die Segelleidenschaft des Prinzipals. Ein kleinerer Raum verbindet beide Säle, der, abgedunkelt, als Vorführraum für ein Video dient, in dem Piano auf zwei gegenüberliegenden Leinwänden von seiner Herkunft erzählt und über seine Arbeit philosophiert. Der Clou: Während Ton und Untertitel für beide screens identisch sind, laufen unterschiedliche Filme; einmal ist es Piano selbst, zum anderen sind es Szenen aus der Arbeit. Die Quintessenz seiner Arbeitsauffassung verkün-det Piano in entwaffnenden Worten. Schöpferisch sein könne jeder: „Do it! Do it! Jump!“
Renzo Piano ist immer wieder gesprungen. Dengrößten Sprung, aus dem Nichts in weltweiten Ruhm, tat er gemeinsam mit Richard Rogers und dem Entwurf zum Pariser Centre Pompidou, das anfangs noch nach dem Stadtviertel „Centre Beaubourg“ hieß (Bauwelt 11.1977). Es steht zu Recht auf dem ersten Tisch rechts vom Eingang. Aber nicht die „Kulturmaschine“ wird gezeigt, sondern es werden konstruktive Details vorgeführt, für die Fassade der Platzseite und die Aufhängung der Rolltreppen, ergänzt um Konstruktionszeichnungen an der benachbarten Wand. Beim Museum der De Menil Collection im texanischen Houston sind es die „Lichtschaufeln“, denen das Augenmerk gilt, beim Kulturzentrum in Ozeanien die berühmten Schichtholzstreben.
Pianos Workshop wird überall dort gezeigt, wo ein Bauwerk des Büros steht – in London alsoThe Shard, die „Scherbe“, das mit 310 Metern kurzzeitig höchste Hochhaus Europas. Hier erstaunt die Misch-Konstruktion aus Stahl und Beton, die abschnittsweise wechselt: Beton im Kern und den Untergeschossen, dann Stahl bis zur 40. Etage, darüber Beton bis zur 61. und darüber bis zur Spitze wieder Stahl. Das besondere Glas der tatsächlich wie Scherben eines geborstenen Gefäßes sich überschneidenden Fassaden wird ebenso vorgeführt wie das putzige Wettbewerbsmodell. Klein und Groß stehen beieinander, und der Besucher fühlt sich in den Entwurfsvorgang einbezogen; meint zu verstehen, wie sich die Großform des Bauwerks aus den zahllosen Einzelteilen der immer wieder neu erdachten Konstruktion bildet. Am Tisch mit dem Musikzentrum Parco della Musica im Norden Roms (Bauwelt 6.2003) ertönen Klänge, als würden Instrumente gestimmt. Pianos Ausstellungsdesign weiß um die Wirkung suggestiver Details inmitten des nur scheinbaren Durcheinanders auf den Werkstatttischen.
In der Mitte des Videoraums ist das Modell einer Idealstadt zu bewundern: eine Insel mit rund 100 Großbauten Pianos. Das wird wohl sein, was sich jeder Architekt mit vergleichbar langer Karriere wünscht: eine Welt aus eigenen Entwürfen. Auch die Daimler-City am Potsdamer Platz in Berlin ist zu entdecken, mit der Piano anfangs ein wenig zu hadern schien (Bauwelt 42. 1998). Nun hat er augenscheinlich seinen Frieden mit ihr gemacht, und in der Tat: Zwanzig Jahre nach ihrer Fertigstellung wirken die mit gelborange-farbener Terrakotta verkleideten debis-Bauten unverbraucht, ja beinahe zeitlos.
Damit ist ein Charakteristikum der Arbeit des Workshops angesprochen. Piano hat sich nie um Moden gekümmert. Gewiss, die ostentativ zur Schau gestellte Gebäudetechnik des Centre Pompidou war seinerzeit, vor nun über vierzig Jahren, geradezu stilprägend. Aber Piano hat, anders als sein damaliger Partner Richard Rogers, daraus kein Entwurfscredo gemacht. Wie die Londoner Ausstellung zeigt, dient Technik stets dazu, die spezifischen Probleme eines Gebäudes zu lösen; nicht von ungefähr hat Piano zahlreiche Museen entworfen, die jeweils eigene Licht- und Klimaanforderungen stellen. Allenfalls das New Yorker Whitney Museum, 2015 eröffnet (Bauwelt 22.2015), wirkt in dieser Hinsicht ein wenig überdesignt, insofern der äußeren Erscheinung keine innere Notwendigkeit zugrunde liegt, wie etwa bei den riesigen, stützenfreien Geschossen des Centre Pompidou, dessen tragende Konstruktion zwingend nach außen gelegt werden musste.
Die Londoner Ausstellung ist bei aller Kleinteiligkeit übersichtlich, und ebenso ist der Katalog knapp gehalten – keine Vergleich mit den Telefonbüchern, die mancher Kollege meint vorlegen zu müssen. Andererseits mangelt es an facts and figures, an konkreten Angaben zu den Bauten. Nun denn, es ist ein Zwischenbericht, könnte man sagen, in Anbetracht der großen Aufgaben, die Piano derzeit noch realisiert. 81 Jahre alt ist der nahe Genua geborene und dort hoch über dem Meer residierende Piano, und auf Gruppenaufnahmen seiner Teams steht er drahtig in der Mitte, von Alter kaum eine Spur, wie seine Bauten. Und man wird mit einem Mal gewahr, was für eine Leistung es ist, über Jahrzehnte ein so hohes Niveau zu halten, wie es Renzo Piano gelang und weiter gelingt.
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