Bauwelt

Fotografieren in der Sonnenfinsternis

Das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zeigt Auftragsarbeiten der Fotografin Ursula Becker-Mosbach aus den 1950er und 60er Jahren. Sie stellen nicht nur wichtige Dokumente der Hamburger Nachkriegsmoderne dar, sondern auch eine ästhetische Suche der Künstlerin.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

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    Klärwerk Köhlbrandhöft, Faulturmbehälter im Bau, 1958.
    Foto: Hamburgisches Architekturarchiv

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    Klärwerk Köhlbrandhöft, Faulturmbehälter im Bau, 1958.

    Foto: Hamburgisches Architekturarchiv

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    Stahlskelett des Grindelhochhauses 2 bei Nacht, 1952.
    Foto: Hamburgisches Architekturarchiv

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    Stahlskelett des Grindelhochhauses 2 bei Nacht, 1952.

    Foto: Hamburgisches Architekturarchiv

Fotografieren in der Sonnenfinsternis

Das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zeigt Auftragsarbeiten der Fotografin Ursula Becker-Mosbach aus den 1950er und 60er Jahren. Sie stellen nicht nur wichtige Dokumente der Hamburger Nachkriegsmoderne dar, sondern auch eine ästhetische Suche der Künstlerin.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

Wie ein überdimensioniertes Lagerhallenregal ragt das Stahlgerippe eines der Hamburger Grindelhochhäuser in einen sich verdunkelnden Himmel. Gleich sieben Blendensterne vertei­len sich über die Fläche der Fotografie. „Da war doch Photoshop im Spiel!“, mag man ausrufen, aber nein: Das Bild wurde 1952 mit ganz gewöhn­licher Ausrüstung angefertigt. Das Handwerk der Fotografie liegt vielmehr, abgesehen von technischer Versiertheit im Umgang mit dem Apparat, in der Geduld beim Warten auf den einen glücklichen Augenblick.
Ursula Becker-Mosbach, die Autorin des Bildes, wurde 1922 als Kind deutscher Eltern in Indonesien geboren, wuchs in Venezuela auf und kam kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland. Noch in den letzten Kriegsjahren absolvierte sie eine Ausbildung zur Fotografin und studierte von 1946–1953 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. In der Folge verdiente sie ihr Geld hauptsächlich mit Auftragsarbeiten für Architektur-, Bau- und Industriefirmen, gab den künstlerischen Anspruch jedoch nicht auf. So entstand ein Werk, das mit 4000 Negativen aus der Zeit von 1950 bis 1975 einen der größten Fotobestände des Hamburgischen Architekturarchivs bildet und die Hamburger Nachkriegsmoderne mit ihren Neubausiedlungen, Industrie- und Infrastrukturbauten sowie Inneneinrichtungen dokumentiert.
Aus ihren Fotos, von denen eine Auswahl aus den Jahren 1952 bis 1968 zurzeit im Hambur-ger Ernst-Barlach-Haus unter dem Titel „Tiefenschärfe“ ausgestellt ist, spricht der Wille, die Oberfläche zu durchbrechen – den Möglichkeiten des Mediums entgegen. Nicht nur der Blick durch das Wohnhochhaus im Aggregatzustand des Gerippes, auch die Beschäftigung mit dem Rohbau der Großmarkthalle von Bernhard Hermkes, die am Oberhafen mit ihrem Dach drei Wellen in die Luft schlägt, zeugt von der Suche nach der Struktur, dem Wesen der Dinge. Daraus entwickelt sich bisweilen eine, wie man’s nimmt, verspielte oder formalistische Fixierung auf Muster und ihr grafisches Potenzial, die wiederum ein profundes Interesse für Materialien und ihre Eigenschaften vermuten lässt. So fotografiert Becker-Mosbach die berühmten eierförmigen Faultürme des Klärwerks Köhlbrandhöft zu einem Zeitpunkt, in dem eines von drei Eiern noch ohne Verkleidung dasteht, sodass ein starker Kontrast zwischen Betonsubstanz und metallener, aber nach Holzschindeln aussehender Außenhaut entsteht.
Becker-Mosbach spielt viel mit dem Kontrast groß-klein, klobig-filigran; manchmal wirken ihre Kompositionen dadurch stark abstrahierend. Es dominieren die Diagonalen, selten gibt es eine Frontalansicht – neben der akribischen Arbeit am richtigen Licht eines der wenigen Mit­-tel der Dynamisierung, zu denen Becker-Mosbach greift. Häufig machte sie ihre Aufnahmen, bevor die Gebäude fertiggestellt waren. Auf diese Weise, indem sie über das Unfertige eine Zeitlichkeit in ihre Bilder bringt, macht sie das Prozesshafte des technischen Fortschritts sinnfällig. Die als Inkjet-Prints von Glasnegativ-Scans angefertigten Abzüge legen dabei die spezifische Qualität analoger Fotografie offen. Sie verlei-hen ihren abgelichteten Objekten eine Textur undElastizität, die in digitaler Fotografie oft in der Hyperpräzision erstarrt.
Menschen kommen in Becker-Mosbachs Bildern selten vor, und wenn, dann um die Größe eines Gebäudes gleichsam als lebendiger Maßstab zu unterstreichen: Ein Mann steht vor der Staumauer des Pumpspeicherkraftwerks in Geesthacht – er wendet dem Betrachter den Rücken zu, und doch glaubt man, seine heilige Furcht zu empfinden, die er vielleicht diesem gebauten Mysterium gegenüber verspürt, als ob er vor den Ruinen von Mykene stünde. Auch in der Schaltzentrale einer Fabrik, die wie bei „Modern Times“ von Charlie Chaplin aussieht, sind die Menschen auf dem Rückzug und die Knöpfe auf dem Vormarsch.
Überhaupt, ein gewisser Schmerz spricht bei aller Fortschrittsbegeisterung aus jenen Schwarz-Weiß-Bildern, die in dieser Hinsicht ei­-ne Gemeinsamkeit mit Barlachs Skulpturen haben, deren temporäre Nachbarn sie sind. In der Ästhetik der Leere, dem scharfen Licht, den nüchternen Sujets erinnern sie an Michelangelo Antonionis Film „L’eclisse“ („Die Sonnenfinsternis“) von 1962: Im Spannungsfeld zwischen der Altstadt Roms und dem Neubaugebiet hin-ter dem EUR-Viertel finden die beiden jungen Protagonisten Monica Vitti und Alain Delon nicht zueinander. Der Film handelt von unmöglicher Kommunikation und Liebe in der Sonnenfinsternis der Moderne.
Ursula Becker-Mosbach hat mit viel Tiefe und viel Schärfe, die den Titel der Ausstellung voll und ganz rechtfertigen, aus Auftragsarbeiten Bilder gemacht, die die eigene Zeit nicht nur do­kumentieren, sondern auch reflektieren. Sie bilden die Gebäude nicht nur ab, sondern ringen um einen Dialog mit ihnen.
Fakten
Architekten Becker-Mosbach, Ursula (1922–2002)
aus Bauwelt 16.2023
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