Tourist go home?
Im Architekturzentrum Wien erwartet Besucher eine Ausstellung, die gerade von fern Angereisten zur Selbstreflexion anregt: „Über Tourismus“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen des heutigen Massentourismus auf Städte, Landschaften und deren Bewohnerinnen.
Text: Strothmann, Hannah, Berlin
Tourist go home?
Im Architekturzentrum Wien erwartet Besucher eine Ausstellung, die gerade von fern Angereisten zur Selbstreflexion anregt: „Über Tourismus“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen des heutigen Massentourismus auf Städte, Landschaften und deren Bewohnerinnen.
Text: Strothmann, Hannah, Berlin
Heutzutage reisen immer mehr Menschen häufiger, weiter und kürzer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die zunehmende Mobilität breiter Gesellschaftsschichten kann als Erfolg der westlichen Wohlstandsgesellschaft gewertet werden. Doch die Ausweitung der Reiselust mit veränderten Urlaubsgewohnheiten hat Folgen für die Umwelt. Die von Karoline Mayer und Katharina Ritter kuratierte Schau „Über Tourismus“, die derzeit im Az W läuft, untersucht in acht Themenschwerpunkten sowohl positive als auch negative Aspekte des vorwiegend europäischen Tourismus. Den Konsequenzen des Übertourismus sind alternative Ansätze für ein umwelt- und sozialverträgliches Reisen gegenübergestellt.
Vor rund fünfzig Jahren verweilten Urlaubende im Schnitt noch sieben Tage an einem Ort, 2018 waren es nur noch dreieinhalb Nächte. Ohne Billigflüge wären diese Kurztrips nicht denkbar. Tatsächlich entfallen die meisten vom Tourismus verursachten Treibhausgasemissionen auf die An- und Abreise, insgesamt trägt der Sektor sogar rund acht Prozent zu den globalen Gesamtemissionen bei. Als klimafreundliche, zukunftsweisende Alternative wird der Fahrradtourismus gezeigt, der in Europa durch das rund 90.000 Kilometer lange EuroVelo-Radnetz auch in weniger radaffinen Ländern gefördert werden soll.
Klassischerweise gehört zu einer Reise das Check-in im Hotel, dem die Schau einen Abschnitt gewidmet hat. Die Ansprüche der Gäste an den Aufenthalt sind meist hoch und ändern sich stetig, abhängig von aktuellen Wohnbedürfnissen. Deshalb wird die Ausstattung von Hotelzimmern im Schnitt alle fünf (!) Jahre erneuert. Die hohen Erwartungen an die Gesamtanlage sorgen für einen ständigen Modernisierungsdruck; können sich Familienbetriebe diese Investitionen nicht mehr leisten, übernehmen meist Hotelketten oder Immobilienfonds, deren Marktanteil in Österreich wächst. Doch was alt ist, hat noch lange nicht ausgedient: Anhand von fünf Hotelarchitekturen aus dem 20. Jahrhundert zeigen die Kuratorinnen, dass durch geschickte Anpassungsmaßnahmen auch in die Jahre gekommene Häuser noch heute beliebt sein können. Fotos und Grundrisse veranschaulichen die Umbauten. Das eher banale Fazit lautet: Gute Hotelarchitektur ist zeitlos, weil sie adaptierbar ist und noch immer ihren Reiz hat.
Ein Großteil der Reisenden vor allem jüngeren Alters nächtigt heute jedoch nicht mehr in Hotels, sondern in Airbnbs. Das Unternehmen ist in über 220 Ländern mit 6,6 Millionen Inseraten aktiv und übertrifft damit die weltweit größten Hotelketten bei weitem. Die Auswirkungen der Plattformökonomie der Kurzzeitvermietung auf die lokale Bevölkerung sind zunehmend fatal. Durch die lukrativere Vermietung an Touristinnen wird der Stadtbevölkerung Wohnraum entzogen, was die Wohnungskrise in vielen europäischen Großstädten verschärft. Einige Regierungen versuchen, den Markt durch Registrierungs- und Lizenzpflichten zu regulieren, während Aktivisten gegen die Verdrängung aus den Städten protestieren, wie Beispiele aus dem Themenfeld Stadt zeigen. Initiativen wie das Untourist Movement Amsterdam schlagen sozialverträgliche Alternativen vor, die es Reisenden ermöglichen, sich sinnvoll zu engagieren.
Dass dort, wo Reisende ankommen, bereits Menschen leben, sorgt nicht nur in Städten für Konflikte. Das Kapitel Dorf thematisiert auch, dass ohne den Tourismus viele Landstriche wohl heute unbewohnt wären. Gerade in abgelegene Bergtäler hat der Tourismus Wohlstand gebracht und die mühevolle Landwirtschaft abgelöst, wie eine Fotoserie von Lois Hechenblaikner eindrucksvoll zeigt. Problematisch wird es, wenn kleine Orte überrannt werden. Ein Beispiel dafür ist Hallstatt, das als Drehort für eine südkoreanische Serie diente und später in China originalgetreu nachgebaut wurde. Die bei europäischen Reisenden ohnehin beliebte Gemeinde wurde somit auch zu einem Magneten für den asiatischen Tourismus. Spezifische Aspekte des Alpentourismus werden im Themenfeld Alm vertieft. Dort stellt sich die Frage, welches Mitspracherecht den Produzentinnen einer Kulturlandschaft gebührt. Ohne die Almwirtschaft gäbe es nicht das idyllische Bild der Alpen, das Urlauber anlockt. Während Skilifte gebührenpflichtig sind, kann man die Landschaft kostenfrei durchqueren. Aber was passiert, wenn sich die Almwirtschaft nicht mehr lohnt? Ohne Bewirtschaftung und Beweidung drohen die Berghänge zu erodieren und das attraktive Landschaftsbild zu verschwinden. Die Schule der Alm will dem im Valsertal entgegenwirken, indem sie Urlauberinnen die traditionelle Almwirtschaft vermittelt.
Wie könnten Strategien zur besseren Planung des Tourismus aussehen? Neben Beispielen aus Frankreich und Bhutan wird am Ende der Ausstellung u. a. auch auf geltendes Recht verwiesen. Es gäbe durchaus wirksame Steuerungsmöglichkeiten, die jedoch durchgesetzt werden müssten. Da der Tourismus aber nach wie vor ein lukrativer Markt ist, geschieht dies nicht.
Die Stärke der Ausstellung liegt in der detaillierten Darstellung von Problemen und möglichen Alternativen, die zu einem anderen Reiseverhalten und Blick auf die Umwelt anregen. Dabei kann die inhaltliche Vielfalt durchaus überwältigen und spiegelt gewissermaßen die Überforderung angesichts der Vielfalt von touristischen Modellen und moralischen Fragen wider. Sich Zeit für ausgewählte Themengebiete zu nehmen, ist daher auch eine gute Übung für ein langsameres und nachhaltigeres Reisen.
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