Transformation einer Postkarte
Hansjörg Schneider im Museum Eckernförde
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Transformation einer Postkarte
Hansjörg Schneider im Museum Eckernförde
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Im Zuge des Aufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und mitunter auch in Folge der politischen Teilung entstanden in Ost- und West-Berlin, Ost- und Westdeutschland, Ost- und Westeuropa Bauten und Ensembles von ikonographischer Kraft, deren mediale Verwertung nicht versäumt wurde: von der Höhe aufwendig produzierter Bildbände bis hinab in ein niedrigschwelliges Medium wie die Ansichtskarte. Unzählbar sind die Exemplare, mit denen Fernsehturm, Palast der Republik und Alexanderplatz, Philharmonie, Gedächtniskirche und Ernst-Reuter-Platz ins kollektive Bildgedächtnis eingespeist wurden, um nur ein paar Berliner Beispiele aufzuzählen. Doch auch ganz alltägliche Gebäude und Orte wurden auf diese Weise für die Nachwelt festgehalten: Umgehungsstraßen, Tankstellen, Kioske, Bushaltestellen, Grundschulen, Krankenhäuser, Wohnsiedlungen, kurz: Das ganze baulich-räumliche Repertoire der Nachkriegsstadt.
Die heute zumindest für jüngere Menschen kaum mehr vorstellbare Popularität dieses Bildangebots hat einen ebenso reichen wie leicht zugänglichen Fundus hinterlassen, der als großzügig sprudelnde Quelle nicht nur unterschiedlichsten Wissensdurst über jene noch nicht lange zurück liegende und doch schon weit entrückte Vergangenheit stillen kann, sondern auch zur Weiterbearbeitung taugt. Das Schaffen des Berliner Künstlers Hansjörg Schneider ist dafür ein Beispiel. Seine Ausstellung „Transformation einer Postkarte“ im Museum Eckernförde wurde Corona-bedingt bis Ende Juli verlängert und lohnt unbedingt einen Besuch: mindestens für Architekten, Stadtplaner, Bauhistoriker und Mediengeschichtler.
Das Kleinformatige der Postkarten führt dazu, dass man ihren Schauwert und Informationsgehalt schnell unterschätzt. Obwohl sich die Ausstellung auf zwei Räume beschränkt, kann man mühelos eine Stunde darin zubringen und hat noch nicht alles entdeckt − was auf den Bildern dargestellt ist, aber auch, was Schneider daraus macht. Das Werkzeug des aus Eckernförde gebürtigen Künstlers ist das Skalpell. In der seit 2005 entstandenen Serie „Bild und Heimat“ – der Name spielt auf den größten Postkartenverlag der DDR an – zerschneidet er Berliner Ansichtskarten der 60er, 70er, 80er Jahre und fügt sie zu neuen, kaleidoskopartig zersplitterten Stadtbildern wieder zusammen. Die Bilder enthalten das vielfach Fragmentarische der Nachkriegsstädte ebenso wie das Bruchstückhafte der individuellen Erinnerung daran: „Das Auge springt von Fleck zu Fleck, überspringt Luftlöcher, die sich auftun, stolpert über Ballungen, Bündelungen und Verdichtungen, rutscht seitlich ab, verirrt sich in Höfen und Gassen, findet erneut Wege, Stege, Kreuzungspunkte, Zentren“, beschreibt Schneider selbst den Effekt der Transformation. Bekannte Stadträume werden zu Traumgespinsten, in denen sich der Betrachter neu orientiert. Faszinierend dabei ist, dass der Prozess des Schneidens dem folgt, was auf den Postkarten dargestellt ist: Trauflinien, Gebäudecken, Straßenfluchten. Der Bildinhalt wird sozusagen neu gemischt, doch wird nichts hinzugefügt oder weggenommen.
Anders bei der Serie „Abrissarbeiten“: Bei den 2009 angefertigten Bildern hat Schneider vorsichtig Teile der Ansichtsfläche entfernt, so dass der darunter liegende Trägerkarton sichtbar ist. Das so entstandene Bild ist ein Rest, wie das, was heute von der Stadt der 60er Jahre noch vorhanden ist, und ebenso wenig wie sich heute mancher Entstehungszusammenhang noch ohne Weiteres erschließt, steht der Betrachter rätselnd vor der Frage, was wohl das ursprüngliche Motiv gewesen sein mag, das einst den Fotografen beschäftigt hat. Bei den beiden mitten im Raum stehenden Arbeiten „Archiv I“ und „Archiv II“ (2003–08) gibt dagegen der freie Blick auf die Rückseite der bearbeiteten Motive Aufschluss. Auch hier hat Schneider die Karten fragmentiert, etwa die seriellen Fenster eines spätmodernen Verwaltungsbaus entfernt, und in zwei Drehständern in ähnlich überbordender Fülle arrangiert, wie sie einst vor den Kiosken und Zeitschriftenläden auf Kundschaft warteten. Darunter gemischt sind aber auch Kunstpostkarten jüngeren Datums: etwa Architekturaufnahmen der Bechers und ein Motiv aus Wolfgang Tillmanns „roadworks“.
Was ist sehenswert? Was verdient, bewusst gesehen zu werden? Woran erinnern wir uns? Diese Fragen werden hier unweigerlich aufgeworfen und können den Besucher auch über den Stadtrundgang durch Eckernförde hinaus beschäftigen: ein Andenken, vom Künstler gereicht.
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