Bauwelt

Urban Mining Index – wann schließt sich der Kreis?

Re-Use, Downcycling, Cradle-to-Cradle: Auf dem Weg zum zirkulären Bauen fallen viele Begriffe. Es mangelt an eindeutigen Abgrenzungen und belastbaren Verfahren zur Bewertung der Kreislauffähigkeit eines Gebäudes. Ein Modell bietet der an der Bergischen Universität Wuppertal entwickelte Urban Mining Index.

Text: Hillebrandt, Annette, Wuppertal; Rosen, Anja, Wuppertal

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    Lebenszyklus eines Baustoffs: Ausgehend vom Bestand (Haus-Symbol) kann ein Baustoff nach seiner Nutzung mit gleichbleibender Qualität wiederverwendet, wiederverwertet (schwarzer Kreislauf) oder in veränderter Beschaffenheit und unter Qualitätsverlust weiterverwertet werden (grau). Ein ökologischer Baustoff schließt über eine Kompostierung einen natürlichen Kreislauf (grün).
    Grafik: Annette Hillebrandt

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    Lebenszyklus eines Baustoffs: Ausgehend vom Bestand (Haus-Symbol) kann ein Baustoff nach seiner Nutzung mit gleichbleibender Qualität wiederverwendet, wiederverwertet (schwarzer Kreislauf) oder in veränderter Beschaffenheit und unter Qualitätsverlust weiterverwertet werden (grau). Ein ökologischer Baustoff schließt über eine Kompostierung einen natürlichen Kreislauf (grün).

    Grafik: Annette Hillebrandt

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    Baustoffe und Materialien kategorisiert nach ihrer Kreislauffähigkeit und unterteilt in die Phasen vor und nach der Nutzung. Recycling- und Re-Use-Materialien sowie erneuerbare Rohstoffe erhöhen das geschlossene Kreislaufpotenzial eines Bauprodukts. Allerdings muss der Arbeitsaufwand für die Nachnutzung einkalkuliert werden.
    Grafik: Anja Rosen

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    Baustoffe und Materialien kategorisiert nach ihrer Kreislauffähigkeit und unterteilt in die Phasen vor und nach der Nutzung. Recycling- und Re-Use-Materialien sowie erneuerbare Rohstoffe erhöhen das geschlossene Kreislaufpotenzial eines Bauprodukts. Allerdings muss der Arbeitsaufwand für die Nachnutzung einkalkuliert werden.

    Grafik: Anja Rosen

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    Exemplarische Berechnung eines Urban Mining Indicator. Je nach Anteil und Art der Materialien (siehe Farbkategorien links) ergibt sich vor und nach der Nutzung unter Berücksichtigung des Rückbauaufwands ein Kreislaufpotenzial. Dieses wird mit Formeln gewichtet. Im Beispiel beträgt das Kreislaufpotenzial der Konstruktion des Gebäudes vor der Nutzung 36,3% und da-nach 64,1% Im Schnitt also 50,2%.
    Grafik: Anja Rosen

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    Exemplarische Berechnung eines Urban Mining Indicator. Je nach Anteil und Art der Materialien (siehe Farbkategorien links) ergibt sich vor und nach der Nutzung unter Berücksichtigung des Rückbauaufwands ein Kreislaufpotenzial. Dieses wird mit Formeln gewichtet. Im Beispiel beträgt das Kreislaufpotenzial der Konstruktion des Gebäudes vor der Nutzung 36,3% und da-nach 64,1% Im Schnitt also 50,2%.

    Grafik: Anja Rosen

Urban Mining Index – wann schließt sich der Kreis?

Re-Use, Downcycling, Cradle-to-Cradle: Auf dem Weg zum zirkulären Bauen fallen viele Begriffe. Es mangelt an eindeutigen Abgrenzungen und belastbaren Verfahren zur Bewertung der Kreislauffähigkeit eines Gebäudes. Ein Modell bietet der an der Bergischen Universität Wuppertal entwickelte Urban Mining Index.

Text: Hillebrandt, Annette, Wuppertal; Rosen, Anja, Wuppertal

Während das Ziel einer zirkulären Bauwirtschaft inzwischen ein verbreiteter Konsens zu sein scheint, kursieren verschiedene Vorstellungen davon, wann ein Gebäude tatsächlich kreislauffähig ist. Im weitesten Sinne trifft das zu, wenn das Gebäude den natürlichen Boden-, Wasser- und Luftkreislauf und die Biodiversität erhält. Neubauten erreichen dies nur, wenn sie nach dem Prinzip des Urban-Loop-Design1 entworfen wurden: Sie müssen zum Beispiel auf bereits versiegelten Flächen entstehen oder in aufgeständerter Bauweise den Gas- und Wasseraustausch des Bodens ermöglichen und in ihrer Hülle Kompensationsvegetation anbieten, die das Mikroklima und die Biodiversiät versuchen zu erhalten.
Grundsätzlich können kreislauffähige Gebäude dazu beitragen, unseren Flächenverbrauch zu senken. Oder sie sind „low-tech“ klima- und wetter-optimiert in ihrer Gestalt, Nutzungsanordnung und im Detail. Kreislauffähige Gebäude fördern zudem die Gesundheit durch den Ausschluss von Schadstoffen. Oft sind sie Energieerzeuger (durchaus mit „high-tech“) stattEnergieverbraucher. Die Urban-Loop-Design-Performance von Gebäuden kann mit einer dafür erstellten Checkliste bewertet werden, aktuell zum Beispiel eingesetzt im Hochschulwettbewerb Solar Decathlon Europe 2021 der Universität Wuppertal.
Im engeren Sinne versteht man unter kreislauffähigen Gebäuden jene, die im Urban-Mining-Design geplant werden: Sie sind rückbaufähig durch lösbare Verbindungsmittel und re-use- oder recyclinggeeignet durch wiederverwendbare Komponenten oder wiederverwertbare Baustoffe. Durch ihre Demontagefähigkeit sind sie gleichzeitig revisions- und reparaturfreundlich und vermeiden dadurch ein frühzeitiges Nutzungsende. Nur kreislauffähige Konstruktionen entsprechen damit den Anforderungen des Bundesgesetzes Musterbauordnung §3 und der hiernach einzuhaltenden EU-Bauprodukte-Verordnung.
Re-Use ist der Königsweg der Nachnutzung: Hierbei werden Bauteile nach Wiedergewinnung lediglich repariert oder leicht aufgearbeitet und für denselben Zweck verwendet. Recycling hingegen bedeutet die Auflösung der Produktgestalt und eine Neuformgebung, womöglich auch für einen anderen Zweck. Im Recycling-Fall wird wird viel Energie eingesetzt, was gegenüber dem Re-Use weniger umweltkonsistent ist – solange wir nicht 100 Prozent mit Erneuerbaren arbeiten. Dennoch bedeutet sowohl Re-Use wie Recycling eine Nachnutzung auf annähernd gleicher Qualitätsstufe wie das Ausgangsprodukt.
Ganz anders ist es bei der Weiterverwendung (Further-Use) und der Weiterverwertung (Downcycling). In beiden Fällen geht deutlich Qualität gegenüber dem Ausgangsprodukt verloren. Daher unterscheidet die Forschung zur Kreislauffähigkeit von Bauten auch deutlich zwischen diesen Kategorien2, anders als das Kreislaufwirtschaftsgesetz, das in diesem Punkt bislang nicht differenziert.3 Diese Abgrenzungen sind leider noch kein „Common Sense“, sondern müssen erst noch etabliert werden, um zu einem zirkulären Bauen in weitestgehend geschlossenen Kreisläufen, den Closed-Loops zu kommen (Abbildung 1). Die Kreislaufwirtschaft des Bausektors konnte nur durch diese Unschärfe jahrelang rund 70 Prozent „Recycling“ von Bauschutt proklamieren4, das faktisch jedoch hauptsächlich Downcycling war, nämlich die Weiterverwertung auf niedrigerem Qualitätsniveau (Beton wird zu Gesteinskörnung, Wasser und Bindemittel müssen neu hinzugefügt werden).
Unterteilt in die Materialgruppen biotisch, fossil, mineralisch und metallisch, können sehr unterschiedliche Eignungen für die Kreislauffähigkeit ausgemacht werden. Selbst nachwachsende Rohstoffe können nur als Closed-Loop-Material angesehen werden, wenn sie aus nachhaltiger Bewirtschaftung stammen und ganz sicher nicht, wenn sie auf der Roten Liste der bedrohten Arten zu finden sind. Fossile Stoffe wie erdölbasier­
te Kunststoffe verlieren bei jedem Verwertungsprozess an Qualität, ein schleichendes Downcycling. Bei den mineralischen Stoffen muss differenziert werden: Lehm ist recycelbar, weil er in Verbindung mit Wasser immer wieder replastifizierbar ist. Das Brennen von Ton zu Ziegeln ist jedoch ein irreversibler Vorgang: Um aus Altziegelmehl wieder einen neuen Ziegel herstellen zu können, benötigt man mindestens 60 Prozent neuen Ton als Bindemittel. Ebenso bedarf die Herstellung von Recycling–(R-)Beton durchschnittlich 60 Prozent an Primärmaterialien ­– ein offener Loop also (von Erfolgen im experimentellen Rahmen abgesehen). Aus der mineralischen Gruppe sind Kalk und Gips im Closed Loop gut recyclebar. Als Putz aufgebracht sind sie allerdings wiederum nicht gut wiederzugewinnen. Anders bei Gipskartonplatten: Hier ist der Karton vom Gips leicht zu trennen, und beides wird recycelt. Metalle sind grundsätzlich gut zu recyceln und enthalten recht hohe Anteile an Sekundärstoffen. Dennoch muss beispielsweise bei Aluminium für eine akkurate Sortierung gesorgt werden, damit minderwertiges Alu nicht schleichend das Hochwertige downcycelt.
In einem Recycling-Atlas haben wir für rund 70 Baustoffe ihren Mate­rial-Cycle-Status5 nachgewiesen, bestehend aus aktuellem Sekundär- odererneuerbarem Rohstoffanteil (Material-Recycling-Content, kurz MRC), dem aktuell forschungsbasiert maximal möglichen Anteil an Sekundärrohstoff (Material-Loop-Potenzial, kurz MLP) und das derzeitig praktizierte End-of-Life-Szenario.

Welches Produkt wird seinem Label gerecht?

Im Arbeitsalltag eines Architekturbüros sind die Recyclingpotenziale ohne weitgehende Recherche anhand von detaillierten Produktinformationen mitunter schwer einzuschätzen. Viele Produkte erhalten grüne Labels aufgrund ihres Anteils an nachwachsenden Rohstoffen oder ihres Sekundärrohstoffanteils. Als Kompositbaustoffe, als Mix aus unterschiedlichen Materialgruppen, sind sie allerdings nicht recyclingfähig: Weder sogenannte Polymer-Wood-Compounds (PWC) noch mit Stützfasern aus PET-Recycling ausgerüstete Hanfdämmung können später kompostiert werden. Obwohl gut gedacht und auch anteilig aus zurückgewonnenen Stoffen der „urbanen Mine“ hergestellt, eignen sie sich nicht für ein in die Zukunft gedachtes Urban-Mining-Design. Dasselbe trifft auf viele mit Brandschutzmitteln ausgerüstete biotische Baustoffe zu. Grundsätzlich gilt für Re-Use wie für Recycling: Schadstofffreiheit und Sortenreinheit sind die Voraussetzung für einen geschlossenen Kreislauf.
Wie kann nun die Kreislaufkonsistenz einer Konstruktionen systematisch erfasst und quantitativ ausgewertet werden? Der „Urban-Mining-Index“ ist ein digitales Werkzeug6, das hierfür an der Bergischen Universität Wuppertal entwickelt wurde, um die Kreislaufkonsistenz Pre-Use und Post-Use, also vor und nach der Nutzungsphase, in verständlicher Weise abzubilden (Abbildungen oben). Materialität und Konstruktion sowie die Wirtschaftlichkeit des selektiven Rückbaus fließen in die Bewertung ein.
Differenziert wird zwischen verschiedenen Qualitätsstufen der zirku­lären Materialnutzung. Je nachdem ob Materialien auf gleichbleibendem Qualitätsniveau in geschlossenen oder unter Qualitätsverlust in offenen Kreisläufen geführt werden, fließen sie unterschiedlich gewichtet in das Closed-Loop-Potenzial (Re-Use/Recycling) oder das Loop-Potenzial (Weiterverwendung/Downcycling) ein. Dazu wird auf die Zirkularitätsraten von Baumaterialien aus dem oben beschriebenen Material-Cycle-Status zurückgegriffen. Auf konstruktiver Ebene wird die Möglichkeit der sortenreinen Trennbarkeit von Wertstoffen als Grundvoraussetzung für die Kreislauffähigkeit der Materialien beurteilt. Auch die Wirtschaftlichkeit fließt in die Berechnung mit ein: mit dem Restwert der Baustoffe, dem Arbeitsaufwand für deren sortenreine Rückgewinnung und die praktische Durchführung des selektiven Rückbaus am Ende der Nutzungsdauer. Die Wirtschaftlichkeit bestimmt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Material ein hochwertiges oder nachrangiges End-of-Life-Szenario erreicht. In Versuchsständen, auf Rückbaustellen und unter Auswertung bestehender Daten wurde der Arbeitsaufwand von Personen und Maschinen für den selektiven Rückbau beispielhafter Konstruktionen empirisch ermittelt. Die Ergebnisse sind in einem Bauteilkatalog hinterlegt.
Der Materialwert der zurückzugewinnenden Stoffe wird an empirisch erhobenen Verwertungserlösen oder Entsorgungskosten von Bau- und Abbruchabfällen bemessen. Aus den Rechercheergebnissen wurden Vergleichsmaßstäbe erstellt, anhand derer sich der Rückbauaufwand und der Materialrestwert eines Baustoffs auf Skalen einordnen lässt. Mithilfe der Skalen werden wiederum Faktoren für die Parameter „Arbeit“ und „Wert“ festgelegt, die als Koeffizienten in eine neu entwickelte Formel zur Berechnung des Closed-Loop- und des Loop-Potenzials eingehen. Zur systematischen Erfassung von Baukonstruktionen wurde eine Matrix entwickelt, mit der die Kreislaufpotenziale auf Bauteil- und Gebäudeebene berechnet und bewertet werden können.7



1 A. Hillebrandt: Kreisläufe schließen. In D. E. Hebel, F. Heisel: Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen, Fraunhofer IRB-Verlag, Stuttgart 2021, S. 49 ff. und www.urban-mining-design.de
2 A. Hillebrandt, J.-K. Seggewies: Recyclingpotenziale von Baustoffen in Atlas Recycling, Edition DETAIL, München 2018, S. 58 und F. Heisel, D. E. Hebel: Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2021, S. 17
3 Kreislaufwirtschaftsgesetz vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212), das zuletzt durch Artikel 20 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist
4 Kreislaufwirtschaft Bau: Mineralische Bauabfälle Monitoring 2018, Bericht zum Abfallaufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2018, Bericht-12.pdf, S. 8
5 A. Hillebrandt, J.-K. Seggewies: ebd.
6 A. Rosen, Dissertation: Urban Mining Index | Entwicklung einer Systematik zur quantitativen Bewertung der Kreislaufkonsistenz von Baukonstruktionen in der Neubauplanung, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2020
7 www.urban-mining-index.de

RU Re-Use: Wiederverwendung (Qualitätserhalt)
RC Recycling: Wiederverwertung (Qualitätserhalt)
DC Downcycling: Weiterverwertung (Qualitätsverlust)
MLP Material-Loop-Poten-zial für eine Wiederverwertung, abhängig vom maximal möglichen Anteil an Sekundärrohstoffen
CLP Closed-Loop-Potenzial, Anteil an Re-Use- und Re-cycling-Materialien und erneuerbaren Rohstoffen
LP Loop-Potenzial, berechnet sich aus allen Baustoffen, außer nicht erneuerbaren Primärrohstoffen so-wie Abfällen zur Deponierung oder Verbrennung (fossil)

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