Bauwelt

Utopie einer subjektiven Moderne

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Wenzel Hablik: Freitra­gen­de Kuppel, 1918/23/24. Öl auf Leinwand.
    Foto: Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe

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    Wenzel Hablik: Freitra­gen­de Kuppel, 1918/23/24. Öl auf Leinwand.

    Foto: Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe

Utopie einer subjektiven Moderne

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Kommt die Rede auf die Moderne des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland, beschränkt sich die Schar anerkannter Protagonisten nicht erst seit dem Bauhaus-Jubiläum 2019 schnell auf ehemals Lehrende, Studierende oder Absolventinnen dieser Institution. Selbst Persönlichkeiten wie Hans Scharoun oder Bruno Taut, aber erst recht individualistische Außenseiter wie Paul Goesch und Wenzel Hablik (1881–1934) fallen dabei durchs Raster kanonisierter Positionen in Architektur, Wohnkultur oder Produktgestaltung.
Zu Wenzel Hablik lässt sich nun eine Kenntnislücke schließen als auch sein Ansatz einer subjektiv utopischen Moderne in einer Ausstellung des Kunstforums Hermann Stenner in Bielefeld erspüren. Direktorin Christiane Heuwinkel hat die mit über 200 Zeichnungen, Malereien, Architekturentwürfen und Designobjekten umfangreich bestückte Schau zusammen mit dem Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe erarbeitet. Die Räume des Kunstforums, eine ehemalige Fabrikantenvilla, bieten dabei den idealen Rahmen auch für dreidimensionale Setzungen aus Möbeln, Raumtextilien und exemplarischem Interieur, so zu dem Esszimmer, das Hablik in seinem eigenen Wohnhaus in Itzehoe als räumliches Gesamtkunstwerk aus Wand- und Deckenmalerei, Beleuchtung, Mobiliar und Gebrauchsobjekt einrichtete.
Wenzel Hablik, gebürtig aus Böhmen, bezog seine Inspirationen besonders aus der Natur, auch als humorvoller Interpret, er empfand sie als etwas „unerhört Kräftiges und Großes“. Er war passionierter Bergsteiger und Wanderer, bezwingt 1906 im Alleingang den Mont Blanc: eine spirituelle Grenzerfahrung im Geiste der deutschen Romantik, die sich im selben Jahr in seinem Ölbild „Sonnenuntergang Mont Blanc“ niederschlägt, nun der Auftakt der Bielefelder Präsentation. Nachdem er 1903 an die Wiener Kunstgewerbeschule ging, 1905 dann nach Prag wechselte, prägte er seinen typischen Malstil zwischen Sezession, dem symbolistischen Expressionismus eines Edward Munch und dem energiegeladenen Duktus Vincent van Goghs aus. Seit 1903 gehörten aber auch kristalline und gläserne Architekturen zu Habliks Vorstellungswelten, der Kristall wurde Symbol für die „Idee eines gemeinsamen Strebens zugunsten eines Weltwerkes“, so Hablik im Tagebuch. Auch Bruno Taut, der 1914 auf der Werkbund-Ausstellung in Köln sein „Glashaus“ baulich umsetzen konnte, brachte während des Ersten Weltkriegs seine „Alpine Architektur“ als menschenfreundliches und die Massen erfüllendes Projekt gegen das „verruchte Gespenst Krieg“ in Stellung, natürlich ohne Wirkung. Zu dem von Taut Ende 1919 initiierten Netzwerk „Gläserne Kette“ zählte dann auch Hablik. Er beteiligte sich an deren Publikation „Frühlicht“, stellte 1921/22 im Heft 2 den Entwurf eines Turmes vor, ein Ausstellungsgebäude aus gedreht aufeinandergestapelten Würfeln. Im anschließenden Heft erläuterte er schwärmerisch seine Theorie zur freitragenden Kuppel, mit 300 Metern Spannweite von städtebaulicher Dimension, die von Bauzeichen kristallinen Prinzips getragen werden sollte. Mit seinen Entwürfen war er regelmäßig auf Ausstellungen in Norddeutschland vertreten, so im Altonaer Museum, in Kiel, Wilhelmshaven und Hannover.
Während manch anderer Künstler-Architekt in den wirtschaftlich prekären Zwischenkriegsjahren unter materiellen Nöten zu leiden hatte, konnte Wenzel Hablik bereits 1907 einen Mäzen gewinnen, den Holzgroßhändler Richard Biel, der ihn nach Itzehoe holte. Er versorgte Hablik mit Aufträgen für Innenarchitekturen, auch unter seinen Geschäftspartnern, finanzierte Reisen, etwa 1910 nach Italien, Griechenland und Konstantinopel, die Habliks Liebe zu Kuppelbau und orientalischem Ornament festigte. Zu den vergleichsweise doch wenigen Baurealisaten Habliks zählten Gasträume im Zentral-Hotel Itzehoe, 1922 begonnen, eine die Baustruktur nachzeichnende Farbgestaltung in den Verwaltungsräumen des Lebensmittel-Filialisten Friedrich Bölck in Bad Oldesloe, um 1926 (die 2006 wiederentdeckt und bis 2010 restauriert wurde), sowie 1927 der Empfangssaal einer lokalen Zeitung oder auch Tapeten für den Itzehoer Hersteller Soetje.
Das Hauptbetätigungsfeld Habliks jedoch bestand in der selbstbestimmten, Disziplinen übergreifenden Entwurfstätigkeit für den Eigenbedarf: neben Architektonischem auch Textilien, Bekleidung und Schmuck, Leuchten, Besteck und, abgeleitet aus frühen Visionen zu Flugmaschinen und galaktischen Kolonien, Gefäße und Dosen in kristallin kosmischer Gestalt. Seine Ehefrau Elisabeth Hablik-Lindemann, die eine deutschlandweit erfolgreiche Weberei mit 50 Mitarbeiterinnen unterhielt, lukrierte ausreichendes Einkommen, um Habliks visionäres Schaffen zu stützen. Beide erwarben 1917 eine Gründerzeitvilla, die sie zu einem sachlich modernen Wohnhaus umbauten, um 1923 in der Garten­seite das 40 Quadratmeter große Esszimmer fertigzustellen, Zentrum ihres familiären wie gesellschaftlichen Lebens und wesentlichstes Werk Habliks. Die Wände und Decken, von Stuck befreit, bilden eine zusammenhängende Malfläche für ein starkfarbiges Raumbild aus Linienzügen, die sich wie gewebte Texturen verflechten. Mit speziellen Leuchtkörpern, eingebauten und frei stehenden Möbeln und dem in Szene gesetzten Kachelofen schaffen sie das „Totalinterieur“ eines Gesamtkunstwerks. Das Gemälde „Große bunte utopische Bauten“ verdeckte zeitweilig eine Doppelflügeltür, erweiterte den realen Raum um ein visionäres Universum suggestiver Dreidimensionalität. Nach einer 2012 begonnenen denkmalpflegerischen Instandsetzung können mittlerweile dieses Künstlerhaus in der Itzehoer Talstraße mitsamt seinem Esszimmer wie auch der in seiner ursprünglichen Atmosphäre nachempfundene Garten in Abstimmung mit dem jetzigen Eigentümer besichtigt werden.

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