Vespa
Seit 70 Jahren läuft die Rollerikone aus der Toskana vom Band. Mittlerweile nicht nur mit Verbrennungsmotor, sondern auch batteriebetrieben – ist es an der Zeit für einen Umstieg?
Text: Spix, Sebastian, Berlin
Vespa
Seit 70 Jahren läuft die Rollerikone aus der Toskana vom Band. Mittlerweile nicht nur mit Verbrennungsmotor, sondern auch batteriebetrieben – ist es an der Zeit für einen Umstieg?
Text: Spix, Sebastian, Berlin
„Vespizzatevi! – Fahrt Vespa!“, diesem Aufruf einer Werbekampagne aus den fünfziger Jahren widerstanden nur wenige Italiener der Nachkriegszeit. Es dauerte nicht lange bis die Vespa aus Pontedera ihren Siegeszug auch über Italiens Grenzen hinaus antrat. 1953 rollte Audrey Hepburn auf einem solchen Zweirad in der Schmonzette „Roman Holiday“ ihrem Hollywood-Durchbruch entgegen und riss unzählige Tedeschi mit, die angesteckt vom Vespa-Fieber und der Dolce Vita auf ihren „Wespen“ über den Brenner gen Capri düsten. In meinem Fall war das 1979 verfilmte Konzeptalbum „Quadrophenia“ (1973) von The Who verantwortlich für eine lebenslange Faszination. Im Zentrum des Albums aus der Feder von Gitarrist Pete Townshend steht Jimmy Cooper, der als Mitglied der Mods seine adoleszenten Identitätskonflikte im Kampf mit den verfeindeten Rockern auslebt. Während diese in Lederkluft auf Motorrädern durch Londons Arbeiterviertel brettern, tragen die Mods schlammgrüne Parka und rollen auf frisierten Zweirädern der Marken Lambretta oder Vespa durch die Stadt.
Damals überzeugten mich drei Eigenarten der seit den 40er Jahren vom Fahrzeughersteller Piaggio gebauten „Wespe“ besonders: das zeitlose Design, welches sich über Jahrzehnte kaum verändert hatte, das unverwechselbare Tuckern des 2-Takters und die elegante Einfachheit der Maschine, die eine Selbstreparatur ermöglichte. Auch Jimmy verbrachte neben seinem Job als Bürobote und nächtlichen durch Amphetamin getunte Party-Exzesse, seinen Alltag größtenteils mit dem Schrauben am Roller. Nach kurzer Erwägung, eine schmalere Lambretta zu erstehen, deren Ersatzteile aufgrund der nach Indien verlagerten Produktion aber komplizierter zu beziehen wären, fiel die Entscheidung. Seit 1998 ist eine Vespa PX 200 E Lusso mein treuer Begleiter auf dem Asphalt. Selbstverständlich nicht ohne die ein oder andere Reparatur. Was sich nicht eigenhändig erledigen ließ, war mit der Konsultation einer Schrauberwerkstatt aber nie ein Problem. Vespa-Freunde, die Vespisti, findet man in jeder größeren europäischen Stadt, Ersatzteile werden bis heute produziert.
Anachronistische Benzinschleuder
Dennoch scheint mein Benzin-Roller neben wachsender E-Mobilität nicht selten aus der Zeit gefallen: Sollte ich meinen getrennt geschmierten nicht längst gegen eine emissionsärmere E-Version tauschen? Oder gar dem Beispiel des Godfathers of Grunge, Neil Young, folgen, der bereits 2009 seine Benzinschleuder, einen Lincoln Continental MK IV-Straßenkreuzer aus dem Jahr 1959, mit einem Hybridmotor ausgestattet und zu einem zeitgemäßen Energiesparauto umgerüstet hat?
Es lohnt ein Blick zurück in die Entstehungsgeschichte der Vespa, die 1946 mit der Beauftragung des ehemaligen Flugzeugkonstrukteurs Corradino D’Ascanio durch den Fahrzeughersteller Piaggio ihren Anfang nimmt. Der Ingenieur sollte einen Roller entwerfen, der sparsam, leicht fahrbar und mit kriegsbedingt eingeschränkt vorhandenen Produktionsanlagen zu bauen sei. D’Ascanio entwickelte ein neuartiges Konzept, in dem die Technik des Zweirads um einen sitzenden Menschen herum angeordnet wird. Den Motor mit Triebsatzschwinge ohne Sekundärkette positionierte er seitlich des Hinterrads, um Antrieb und Kraftübertragung so einfach wie möglich zu erzeugen und ohne offenliegende, ölige Motorteile. Diese wurden von zwei Hauben, den „Backen“, verdeckt, die heute noch das Design des Rollers bestimmen. Die Vespa 98 war geboren! Ein kräftiger Tritt des Kickstarters reicht zum Anwerfen, zum Basteln am Motorblock lassen sich die Backen mit einem Handgriff abnehmen, zum Reifenwechsel hebt man das Gefährt leicht an und legt es auf einem Bierkasten ab. Basierend auf diesen schlichten Konstruktionsprinzipien wurden bis heute über 30 Typen gebaut und rund 19 Millionen Exemplare verkauft.
Natürlich beschäftigt sich Piaggio wie andere Fahrzeughersteller mit derEntwicklung eines abgasfreien Modells und bietet seit 2018 die emissionsfreie E-Vespa Elettrica an. Mit leicht abgewandelter Karosserie, aber in unverwechselbarer Linienführung, hat die Elektro-Version mit 5,4 PS eine Reichweite von etwa 100 Kilometern bei einer Akku-Ladedauer von vier Stunden, mit Smartphone-Verknüpfung sowie zugehöriger App für Diagnose- und Standortinformationen. Die Lebenszeit der Batterie beträgt gemäß Hersteller zehn Jahre. Unklar hingegen sind die Umweltverträglichkeit der Produktion und das Recycling der Batterien. Laut Rohstoffexperten ist die Ökobilanz der E-Mobilität extrem schlecht, da beispielsweise der Strom für den Betrieb nicht aus erneuerbaren Quellen stammt und die Gewinnung von Lithium, Nickel oder Kobalt für die Batterien unter desaströsen Umständen für Arbeiter und Umwelt vonstattengeht. Auch wenn der Roller in der App nun selbst anzeigen kann, wo es ihn schmerzt, wie bei den meisten Elektrogeräten heutzutage, wird das eigene Handanlegen eher unmöglich sein. Ganz zu schweigen von der Frage, wie Piaggio mit meinen für mich sensiblen Standortinformationen umgeht. Mein Roller soll plötzlich mehr über mich, als ich über ihn wissen?
Wildwuchs und Ökokapitalismus
Mit der E-Mobilität und den vielfältigen Sharing-Modellen tritt eine neue Nutzergeneration an, für die das schnelle Fortkommen im Vordergrund steht. Seit Juni letzten Jahres werden einem neben diversen Leihfahrrädern und -rollern, bundesweit E-Scooter angeboten, von denen allein in Berlin rund 15.000 bereitstehen – oder besser: im Weg stehen. Mit dem Argument eingeführt „Autofahrer würden auf das kleine Gefährt umsteigen“, wird der Wildwuchs an Angebots- und Abstell-Chaos im Stadtraum schon ein halbes Jahr nach Einführung vielseitig als neuer „Ökokapitalismus“ eingestuft. Grund für die verheerende Kritik sind die mangelhaft verfügbaren Verkehrswege, CO2-verschlingende Produktionen, die kurze Lebensdauer von sechs bis sieben Monaten und das neu entstandene Prekariat an selbstständigen Mikrojobber. Die sogenannten „Juicer“ holen jedes Gerät irgendwo ab, laden es sieben Stunden auf, stellen es bereit und werden dafür pro Scooter im Schnitt mit vier Euro entlohnt (ohne Vergütung von Strom-, Versicherungs-, Benzin- und Autokosten). All das gern im Schatten der Nacht, am nächsten Morgen stehen die Leihgeräte wieder zur Nutzung parat.
Ob es auf die Sharing-Mentalität, die E-Mobilität, die ständige Verfügbarkeit oder einfach darauf zurückzuführen ist, das nicht mehr mit Zeit und Muße am Motor geschraubt werden muss – mit Dolce-Vita und den Mods hat diese Fortbewegung nichts mehr gemein. Es fehlt der Geruch von verbranntem Benzin, das charakteristische Tuckern des Motors und gehört es nicht auch dazu, die Fahrt spontan zu unterbrechen, um eigenhändig Öl nachzufüllen? Seien wir ganz ehrlich: Zur Berechnung meines ökologischen Fußabdrucks braucht es kein Mathegenie. Nach 22 Jahren, 47.000 Kilometern und ein paar handwerklichen Reparaturen dürfte er moralisch völlig vertretbar sein. Bleibt die angesprochene Umrüstung eine Option? Neil Youngs erster Lincoln-Umbau ist aufgrund eines Betriebsfehlers längst abgebrannt. Besser als mit Youngs Worten vom 1979 erschienenen Album „Rust never sleeps“ lässt sich dieser Text trotzdem nicht abschließen: My, my, hey, hey – Rock and Roll is here to stay – It’s better to burn out – Than to fade away – My, my, hey, hey.
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