Vorbildlicher, solidarischer Wohnungsbau für jedermann
Vor 100 Jahren wurde die Gemeinnützige Heimstätten AG (GEHAG) gegründet. Sie könnte ein Modell für heute sein, meint unser Autor.
Text: Adam, Steffen, Berlin
Vorbildlicher, solidarischer Wohnungsbau für jedermann
Vor 100 Jahren wurde die Gemeinnützige Heimstätten AG (GEHAG) gegründet. Sie könnte ein Modell für heute sein, meint unser Autor.
Text: Adam, Steffen, Berlin
Am 14. April 1924 gründeten der Gewerkschafter August Ellinger und der Schönberger Stadtbaurat Martin Wagner ein bis dato einzigartiges Unternehmen zur Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung in den Ballungszentren mit bezahlbarem, gesundem und – wie wir heute wissen – nachhaltigem Wohnraum. Die Besonderheit bestand vor allem darin, dass die Gemeinnützi-ge Heimstätten AG (GEHAG) eine Vielzahl von gemeinwirtschaftlich-progressiven Organisationen als Aktionäre in sich vereinigte und damit die Errichtung von Wohnraum breit in der Gesellschaft verankerte. Zudem verpflichtete die GEHAG Bruno Taut, der mit seinen Wohnkonzepten und seinem farbigen Bauen die spezielle GEHAG-Qualität erfand und die Grundlagen des Wohnens im 20. Jahrhundert weltweit entwickelte. Vier Siedlungen der GEHAG sind mittlerweile zum Weltkulturerbe der Unesco erhoben worden.
Die GEHAG-Qualität, die in den Jahren 1952 bis 1990 beispielsweise in Großsiedlungen wie der Gropiusstadt fortgesetzt wurde, sollte heute, da 900.000 Wohnungen fehlen, organisatorisch, baulogistisch und bautechnisch wieder Vorbild sein. Der solidarische Wohnungsbau wird als Gegengewicht zur gewinnorientierten Privatwirtschaft propagiert. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung beziffert den derzeitigen Bedarf an Wohnungsneubauten auf 400.000, davon 100.000 Sozialwohnungen. Die Anzahl der überwiegend von der gewinnorientierten Privatwirtschaft errichteten Wohnungen liegt bei rund 250.000, sinkt aber seit 2021. Im November 2023 wurde in Deutschland der Bau von rund 20.553 neuen Wohnungen genehmigt. Im Gesamtjahr wurden damit bisher rund 238.889 Baugenehmigungen erteilt. 2023 ist im Jahresverlauf ein signifikanter Rückgang der Baugenehmigungen für Wohnungen zu erkennen.
Die privaten Bauträger machen derzeit keine Anstalten, die ihnen von Liberalen und Konserva-tiven zugedachten Rolle des Wohnraumbeschaffers einzunehmen – vielmehr: „Wer Wohnungen baut, geht Pleite“, proklamierten es die Immobilienweisen im Februar 2024. Es erscheint darum nicht abwegig, die Produktion von gemeinwirtschaftlich bezahlbaren Wohnungen für breite Schichten mittlerer und unterer Einkommen nach dem Vorbild der GEHAG auf eine Verbindung gesellschaftlich wirksamer Organisationen zu stützen. Zu Gewerkschaften, Genossenschaften, Volksbanken und Versicherungen könnten diesmal auch die Kirchen, Parteien und andere sozial engagierte Gruppen treten. Den alten Genossenschaften und einer solch neuen gesellschaftlichen Bauunternehmung ist die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen. Ihnen sind staatliche und landeseigene Förderungen zu gewähren, unter Aufsicht eines unabhängigen Revisionsverbands, der seine Prüfungen öffentlich publiziert.
Auflagen zur Erlangung von KfW-Krediten und allen übrigen staatlichen Förderungen sollten sich an den klassischen GEHAG-Qualitäten orientieren: Städtebaulich sollte ein solidarischer Wohnungsbau seine Baublöcke durch Vor- und Rücksprünge variieren. Baublöcke sind aufzubrechen. Als Bauhöhe wird 22 m angestrebt. Die Abstände von Baublöcken müssen so groß sein, dass die Blöcke untereinander nicht verschatten. Zwischen den Baublöcken ist sanitäres Grün als Gemeinschafts- oder Mietergärten anzulegen. Konzeptionell wird der Baublock als Zweispänner, als Laubengang oder Mittelganghaus erschlossen. In der Diskussion um nachhaltigen, Klima- und ressourcenschonenden Umgangsollte als vorrangige Größe von Geschosswohnungen für 1 bis 4 Personen (Kinder bis 6 Jahre) 50 bis 60 m², 2,5 Zimmer, angestrebt werden.
Die Flurfläche ist zu minimieren, erschließt jedoch alle Räume der Wohnung. Alle Räume sind nach außen zu belichten und zu belüften. Das Verhältnis von Länge und Breite nähert sich dem Goldenen Schnitt an. Küche und Sanitärraum liegen am Wohnungseingang. Die vollen Wohnräume sind um 20 m² groß und gleichwertig, um flexible Nutzung zu gewährleisten. Halbe Wohnräume sind mindestens 10 m² groß. Jede Wohnung verfügt über einen Außenwohnraum, Balkon, Terrasse oder Loggia. Bei Reihenhäusern ist zwischen Treppe und Wohnräumen ein Flur zur Erschließung der hinteren Räume einzuplanen. Die Hausbreite liegt somit mindestens bei 5,50 m. Lediglich die Sanitärräume sind größer als in der klassischen Moderne zu konzipieren, mindestens 12 m² groß.
Das größte organisatorische Werk von Martin Wagner und August Ellinger, die Gemeinnützige Heimstätten AG GEHAG, erscheint als solidarischer Wohnungsbau vorbildlich für die Herstellung aktuell benötigter Wohnungen und zukünftigen Wohnens.
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