Weiterdenken einer gebauten Utopie
Nur wenige Städte kommen dem modernistischen Ideal der Funktionstrennung näher als die britische Planstadt Milton Keynes – mit einhergehenden Fehlstellungen. Auf dem Festival of Creative Urban Living wurde nach kreativen Antworten gesucht.
Text: Imsirovic, Tino, Berlin
Weiterdenken einer gebauten Utopie
Nur wenige Städte kommen dem modernistischen Ideal der Funktionstrennung näher als die britische Planstadt Milton Keynes – mit einhergehenden Fehlstellungen. Auf dem Festival of Creative Urban Living wurde nach kreativen Antworten gesucht.
Text: Imsirovic, Tino, Berlin
Milton Keynes, eine halbe Stunde nördlich von London, ist bekannt für seine in einer beeindruckenden Konsequenz ausgeführten städtebaulichen Figur. Das kommerzielle Zentrum, gebildet von einem strengen kilometerlangen Raster mit breiten Straßen und vielen Kreisverkehren, geht fließend über zu den grünen Wohngebieten mit mäandrierenden Straßenverläufen. Um das stark wachsende London zu entlasten, wurde die Stadt 1967 offiziell gegründet. In der Zeit der Entstehung des künstlichen Zentrums wurde es mit der radikalen Trennung der Verkehrsarten, dem riesigen Einkaufszentrum als sozialen Treffpunkt und den vielen Bäumen als visionär und fortschrittlich gesehen, heute strahlt das Stadtzentrum bestenfalls Funktionalität und Aufgeräumtheit aus und erinnert eher an die amerikanische Suburbia, als an den urbanen Hotspot einer Stadt mit heute mehr als 250.000 Einwohnern. Der Flächenfraß durch Verkehrsflächen und die quasi Nichtexistenz von qualitätsvollen öffentlichen Räumen komplettieren den ernüchternden Eindruck. Das wachstumsstarke Milton Keynes jedoch prosperiert wirtschaftlich. Durch die Neugründung einer Universität (Eröffnung ist für 2023 geplant) ergeben sich neue Impulse für die Stadtentwicklung und so stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Bestands: Welche Qualitäten lassen sich daraus gewinnen?
Vom Milton Keynes Council in Auftrag gegeben, vom Arts Council England finanziert und vom experimentellen Architekturbüro Raumlabor Berlin programmiert und kuratiert, fand Ende September zum ersten Mal das „Festival of Creative Urban Living“ statt. Das zweiwöchige Programm mit Ausstellungen, Diskussionen, Workshops und Performances nahm sich dem zentral gelegenen „Midsummer Boulevard“ an und verwandelte ihn innerhalb von zwei Wochen mit temporären, räumlichen Strukturen zu einem offenen Testfeld alternativer Stadtproduktion. Durch Einladungen und ein Open-Call-Verfahren wurden mehrere Gruppen aus der Kunst, demDesign, der Stadtplanung und Architektur gefunden, die sich auf unterschiedliche Herangehensweisen mit der Stadt und ihren Bewohnern auseinandergesetzt haben.
Das Kollektiv „La Bonneterie“ aus Belgien hat für die Dauer des Festivals mit dem „Utopian Laundromat“ spielerisch die Kreisläufe von Wasserverwertung und Wiederaufbereitung erprobt und das gemeinsame Wäschewaschen als verloren gegangene Handlung zurück in den öffentlichen Raum geholt. Das Team von Teleinternetcafé aus Berlin hat innerhalb einer begehbaren 16 Meter hohen Turminstallation, der Utopia Station, ein offenes Austauschs- und Partizipationscafé eröffnet, wo die Besucher in einem mehrstufigen Prozess um ihre eigenen utopischen Visionen für die Stadt entwickeln konnten. Einen weniger räumlichen Ansatz wählte das Rotterdamer Kollektiv „No Purpose“, das mit Hilfe eines zu einer mobilen Radiostation umgebauten Lastenrads, täglich ein Hörfunkprogramm ausstrahlte und den Eigenheiten und den Bewohnern der Stadt nachging. Für einen besonderen Austauschzwischen Besuchern und Bewohnern sorgte das lokale Team von Beds United, die für Gäste des Festivals Schlafplätze bei ansässigen Familien vermittelte.
Das Festival generierte mit seinen vielfältigen Ansatzpunkten einen neuen Blick auf die Stadt und stellte konsequent die Frage in den Mittelpunkt, wie das ihr innewohnende utopische Potenzial weitergedacht werden kann.
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