Bauwelt

Wenn wieder alles möglich ist

Text: Friedrich, Jan, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin

Wenn wieder alles möglich ist

Text: Friedrich, Jan, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin

Die Bauwelt-Ausgabe zur Biennale in Venedig hat inzwischen Tradition. Bevor die weltgrößte Architek­turausstellung an diesem Wochenende ihre Tore öffnet und Architekten und Architektur-Interessierte aus aller Welt ins Arsenale und in die Giardini strömen, wollen wir von den Kuratoren wissen, welche Themen sie umtreiben – und was die Besucher erwartet. Die zweijährige Pause, die naturgemäß zwischen diesen Heften liegt, lässt uns jedes Mal wieder vergessen, wie heikel die Arbeit an dieser Ausgabe ist. Denn natürlich setzen alle Kuratoren auch auf die Wirkung des Überraschungseffekts und sind deshalb extrem zurückhaltend damit, vor der Eröffnung irgendwelche allzu konkreten Hinweise über ihre Ausstellung preiszugeben. Mit Beharrlichkeit und dem großen Ehrenwort, vertraulich mit allen Informationen umzugehen (nicht zuletzt haben wir deshalb den Erscheinungstermin dieses Hefts um eine Woche verschoben), ist es uns und unseren Autoren aber wieder gelungen, das Schweigen der Kuratoren einer Reihe vielversprechender Pavillons zu brechen. Und ist am Telefon, über E-Mail, per Skype oder bei einem Spontanbesuch in Südböhmen Vertrauen gewonnen, bekommt man gänzlich unerwartet auch ein Rendering, eine Handzeichnung, ein Modellfoto vom Pavillon oder in allerletzter Minute sogar ein richtiges Foto von der eben aufgebauten Ausstellung zugeschickt.
Das diesjährige Biennale-Thema „Freespace“ glich einer Carte blanche für die Kuratoren der Länderpa­villons. Mit dem Begriff und seinem zugehörigen Manifest haben die irischen Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara, die zusammen das Architekturbüro Grafton führen, dazu aufgerufen, den Freiraum in der Architektur zu entdecken – auf jede erdenkliche Art und Weise. Weniger eng gefasst als die Themen der Vorjahre, scheint Freespace die Architektur von ihren Zwängen zu befreien. Der Begriff erlaubt, sich einerseits ganz der Architektur als Baukunst hinzugeben, andererseits ihn so weit zu spannen, dass er politische, soziale, rechtliche oder geographische Aspekte abzudecken vermag. Entsprechend vielfältig fallen die Ausstellungen aus: Luftgrenzen, politischer Raum, Wohnräume, Staatsangehörigkeit, Kapellen, eine Agentur für alltägliches Leben – all das, und viel mehr, lässt sich mit dem Neologismus der Kuratorinnen fassen.
Dennoch prognostizieren wir, dass das meistfotografierte Exponat der Architekturbiennale ein altes Stück Fassade sein wird. Das Victoria and Albert Museum hat sich ein drei Geschosse hohes Fassadenelement des kürzlich in London abgerissenen Sozialwohnungsbaus „Robin Hood Gardens“ von Alison und Peter Smithson gesichert und das Fragment der Brutalismus-Ikone nach Venedig verschiffen lassen.

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