Werteverschiebung
Sowohl unser Bezug zum Klima als auch zur Arbeit ändern sich. Auf der Suche nach einem neuen Umgang mit der Umwelt hat unsere Autorin mit Vertreterinnen und Vertretern dreier Büros gesprochen, die diese Suche zum Anlass nehmen, nicht nur Architektur neu zu denken, sondern auch die Bedingungen, unter denen sie entsteht.
Text: Sturm, Hanna, Leipzig
Werteverschiebung
Sowohl unser Bezug zum Klima als auch zur Arbeit ändern sich. Auf der Suche nach einem neuen Umgang mit der Umwelt hat unsere Autorin mit Vertreterinnen und Vertretern dreier Büros gesprochen, die diese Suche zum Anlass nehmen, nicht nur Architektur neu zu denken, sondern auch die Bedingungen, unter denen sie entsteht.
Text: Sturm, Hanna, Leipzig
Was ist Arbeit? Wie entwerfen wir? Wie gestalten wir eine Bürokultur im Team? GFSL in Leipzig, IFUB* in München und Berlin sowie LXSY in Berlin gehen alle über Grundlagen wie ein faires Gehalt, bezahlte Überstunden und geregelte Arbeitszeiten hinaus und hinterfragen grundsätzlich, wie unsere Architekturpraxis gestaltet werden kann.
Dem Architekturbetrieb steht ein Generationenwechsel bevor. In vielen Büros, die sich während der Aufbruchsstimmung der 1990er und frühen 2000er Jahre gründeten, steht die Frage der Nachfolge im Raum und die gestaltet sich oft schwieriger als gedacht. Das „klassische“ Büroformat mit ein oder zwei Gründern an der Spitze, deren Entwürfe vom Team „gegen den Rest der Welt“ umgesetzt werden, scheint nicht mehr anschlussfähig zu sein.
Diese Erfahrung machte auch das 1995 gegründete Landschaftsarchitekturbüro GFSL, als sich 2020 niemand fand, der sich vorstellen konnte, das Unternehmen künftig in bestehender Form weiterzuführen und noch dazu eine wichtige Projektleiterin kündigte. Auf der Suche nach einer neuen Projektleitung hat GFSL sich an eine Teamberaterin gewendet. Die hat sich einmal im Büro umgeschaut und meinte: „Ihr braucht niemand neues. Hier ist so viel Unruhe im Team, ihr müsst euch erstmal um eure Leute kümmern“, erzählt Matthias Poese vom Büro GFSL.
Unternehmensführung hat also auch mit Fürsorge zu tun. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern haben sich mit ihrer leitenden Rolle auseinandergesetzt und wollen die Arbeitskultur in ihrem Unternehmen aktiv gestalten. Gleichzeitig sehen sie sich nicht als Köpfe, sondern als integraler Bestandteil ihrer Teams. „Viele Büros, deren Geschäftsführer jetzt in den Ruhestand gehen, sind mit Wissenslücken darüber, was Unternehmensführung bedeutet, geführt worden“, meint Matthias Poese. Eine Herausforderung in einem Beruf, der vom Kammereintrag bis zur Einreichung des Bauantrags auf Einzelpersonen ausgerichtet ist.
Genossenschaft
Was bedeutet es, ein Team zu sein? Wie können hierarchische Strukturen abgebaut werden, ohne dass dabei klare Verantwortlichkeiten verloren gehen? Diese Fragen verhandeln die drei Büros in regelmäßigen Teambuilding-Formaten. In einer solchen Praxis der „Teamwerdung“ erarbeitete GFSL auch die Lösung für das Nachfolgeproblem. Nach einem zweijährigen Transformationsprozess, an dem viele externe Beraterinnen mitwirkten, wurde die inhabergeführte GmbH im August 2022 in eine Genossenschaft transformiert, die allen Mitarbeitenden offensteht. Unabhängig vom Anteil am Unternehmen ist jedes Genossenschaftsmitglied mit einer Stimme bei Entscheidungen vertreten, die im Konsentverfahren getroffen werden. „Das ist ein Lernprozess. Alle müssen sich mit dem Sach-verhalt auseinandersetzen und eine Haltung da-zu entwickeln. Der Kompromiss ist am Ende deshalb die beste Lösung, weil alle damit gleich zufrieden sind“, erklärt Katharina Friedrich, Landschaftsarchitektin bei GFSL. Der von den Genossenschaftsmitgliedern gewählte Vorstand vertritt die Genossenschaft in allen Belangen nach außen und bildet die Geschäfts-leitung. Darüber hinaus sind die Mitglieder in Ressorts wie Marketing, Personal oder IT organisiert, was die Unternehmensführung auf mehrere Schultern verteilt.
Wie IFUB* und LXSY definiert auch GFSL die Rollen im Büro entsprechend der neuen Struktur und schärft diese stetig nach. Das bedeutet sowohl bürointern als auch in der Projektarbeit eine Beschäftigung mit den Personen, aus denensich ein Team zusammensetzt. „Man muss eine Atmosphäre schaffen, in der man angstfrei sagen kann: Das kann ich nicht, hier habe ich ein Defizit. Damit versetzt man andere im Team in die Lage, diese Lücke zu füllen, indem sie ihre Stärken einbringen“, sagt Katharina Friedrich. Erst wenn jedes Teammitglied die eigenen Stärken und Schwächen kennt, kann es sich bestmöglich einbringen.
Urlaub statt Fliege
Urlaub statt Fliege
Architektinnen und Architekten, die in den letzten Jahren ein Büro gründeten, sammelten ihre ersten Berufserfahrungen oft bei denjenigen, deren Nachfolge sie nun antreten. Sie wissen aus erster Hand, wie oft die Selbstverwirklichung einiger weniger auf den Schultern von vielen, schlecht bezahlten und chronisch überarbeiteten Mitarbeitern ausgetragen wird. Bernhard Kurz hat in seinem ersten Job den Satz gehört: „Wir mussten uns alles allein beibringen. Wenn ich dir jetzt zeige, wie es geht, kann ich es genauso gut selbst machen.“ Mit dieser Logik der „harten Schule“, wollten Bernhard Kurz und Johannes Krohne brechen, als sie 2012 ihr Architekturbüro IFUB* gründeten.
Alle drei Büros tragen mit flexiblen Arbeitszeiten sowie Teilzeit- und Homeofficeoptionen dem Umstand Rechnung, wie unterschiedlich das Verhältnis von Lebens- und Arbeitszeit definiert werden kann. „Ich habe zwei kleine Kinder und verbringe viel Zeit damit, jemanden herum-zutragen oder -schieben. Dabei kann ich keinen Grundriss zeichnen oder ein Meeting leiten, aber ich kann nachdenken“, meint Johannes Krohne. Noch einen Schritt weiter soll IFUB*s 32-Stunden-Woche gehen und den Mitarbeiterinnen mehr Zeit für andere Lebensschwerpunkte geben. IFUB* stand ursprünglich für „Institut für unwirtschaftliche Baukunst“, die Mehrung von Kapital steht also nicht im Kern des Unternehmens. Heute setzt sich das Büro für eine Architektur des Gemeinwohls und Umweltbewusstsein ein, alle Mitarbeiter erhalten beispielsweise eine BahnCard 50 und fünf extra Urlaubstage für jedes Jahr ohne Flugreise.
„Jedes Unternehmen muss eine Finanzbilanz machen, an der Steuern und Kreditwürdigkeit ebenso hängen wie Projektvergaben. Warum müssen wir nicht auch über alle anderen Themen Rechenschaft ablegen?“, fragt Bernhard Kurz. Aufbauend auf dem Konzept der Gemeinwohlökonomie führte IFUB* eine Gemeinwohlbilanzierung durch, die das Unternehmen mittels einer Matrix zu den Werten Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz befragte. Die aus den Antworten ermittelte Bewertungssumme stellt eine Vergleichbarkeit her und gibt Anreiz für Verbesserungen. Diese Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Strukturen, floss in das „Handbuch für gemeinwohlorientiertes Bauen“, das die Haltung des Büros in zehn Leitsätzen zusammenfasst. „Die Gemeinwohlbilanz ist wie eine Therapie. Sie legt den Finger in die Wunde, aber sie bringt einen weiter“, so Johannes Krohne.
Alle drei Büros beschreiben ähnliche Prozesse der kritischen Auseinandersetzung mit eigenen Arbeitsweisen. In ihrer Architektur stehen soziale und ökologische Werte im Mittelpunkt, aus denen sie im Team übergeordnete Ziele für ihre Zusammenarbeit und Architekturpraxis definieren. Sie berichten, dass eine gemeinsam entwickelte Vision nicht nur das Arbeiten im Team verbessert, sondern auch die Vertrauensbasis mit Auftraggeberinnen steigert. „Dass wir diese Dinge aufgeschrieben haben, hat uns mehr Aufmerksamkeit gebracht als unsere Architektur“, stellt Bernhard Kurz fest. Die Wertetransparenz scheint überdies eine gewisse Resilienz mit sich zu bringen, da keines der drei Büros unter der aktuellen Baukonjunkturkrise leidet.
Kollektive Autorenschaft
Der Fokus auf soziale und ökologische Werte bringt auch eine Neudefinition der Entwurfsarbeit mit sich. An die Stelle der „goldenen Idee“, diegegen alle „Widrigkeiten“ umgesetzt werden muss, tritt ein fluider Prozess, der versucht, vom Wissen der beteiligten Akteure zu profitieren. Bei LXSY hört das Entwerfen nicht auf, wenn sie die Pläne auf die Baustelle bringen, sondern sie entwickeln dort Lösungen gemeinsam mit den Fachplanern und Handwerkerinnen, erzählt Margit Sichrovsky. Ihr Berliner Büro LXSY arbeitet seit einigen Jahren im Bereich des zirkulä-ren Bauens. Dieses Jahr haben die Gründerinnen Kim Le Roux und Margit Sichrovsky mit Wiebke Ahues eine dritte Partnerin ins Boot geholt, die sich auch im Vorstand der Architektenkammer Berlin für faire Arbeitsbedingungen engagiert.
Bekannt geworden ist das Büro mit der Gestaltung von Arbeitswelten. Sie interessierte besonders, was die neuen Innenraumkonzepte über Veränderungen der Arbeit selbst aussagen. Eine Transformation der Arbeitsumgebung ging nicht unbedingt mit einer Transformation der Arbeitsbedingungen einher. Um den Begriff von „New Work“ zu hinterleuchten, organisierte LXSY einen kollaborativen Workshop mit dem Titel „We Don’t Work, We Care“. Darin ging es unter anderem um die Frage, wie ein „Social Leadership“ aussehen könnte, das menschliche Beziehungen in den Mittelpunkt stellt.
„Social Leadership“ ist auch beim Erproben zirkulärer Bauformen gefragt, wo der Vorentwurf die robuste Struktur für einen beweglichen Inhalt bildet, der erst im Bauprozess Form annimmt. Dem Team verlangt dieses Arbeiten ein hohes Maß an Flexibilität und Kommunikation ab. Darum ist den Partnerinnen wichtig, dass die Teammitglieder mit allen Leistungsphasen vertraut sind, um sich gegenseitig besser unterstützen zu können. Laut Kim Le Roux geht es um Empathie und Verständnis: Wenn man den ganzen Prozess einmal durchlebt hat, kann man sich in die Arbeit einer anderen Person hineinversetzen und versteht ihre Situation besser.
Die Anerkennung von Entwurfsarbeit als Teamleistung, wirft die Frage nach der Urheberschaft auf. Wie kann es gelingen, die Arbeit des Einzelnen zu honorieren und dem Wunsch vieler Architektinnen und Architekten nach Autorenschaft gerecht zu werden? Die Antwort von Wiebke Ahues deckt sich mit den Erfahrungen der anderen Büros: „Über Aspekte der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit entsteht eine gemeinsame Vision, die ein Stück weit abseits der Gestaltung funktioniert. Wenn es eine hohe Identifika-tion mit dem Büro gibt und man weniger über einzelne Personen spricht, sondern sich als Team identifiziert, ist das Thema Autorenschaft nicht so konfliktbehaftet.“
In der Betonung des wertebasierten Entwerfens, klingt auch eine Skepsis gegenüber Architekturen an, die sich in erster Linie über ihre Form definieren. Wie also könnte eine Ästhetik der zirkulären, der gemeinwohlorientierten, der ökologischen Architektur aussehen? Die Projekte von GFSL, IFUB* und LXSY wurden in enger Zusammenarbeit mit ihren Nutzerinnen entwickelt, die dazu beitrugen, dass etwas entstehen konnte, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile: belebte Architektur.
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