Widerspruch
Die „Düsseldorfer Erklärung zum Stadtbaurecht“ polarisiert und ist Diskussions- und Streitpunkt (Bauwelt 12.19). Rund fünfzig Professoren der Architektur, Stadtplanung, Freiraumplanung und des Städtebaus widersprechen ihr und legen eine Gegenposition vor, die wir hier im Wortlaut veröffentlichen.
Widerspruch
Die „Düsseldorfer Erklärung zum Stadtbaurecht“ polarisiert und ist Diskussions- und Streitpunkt (Bauwelt 12.19). Rund fünfzig Professoren der Architektur, Stadtplanung, Freiraumplanung und des Städtebaus widersprechen ihr und legen eine Gegenposition vor, die wir hier im Wortlaut veröffentlichen.
Gegen die Düsseldorfer
Deregulierung!
Deregulierung!
Die „Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht“ zielt auf sogenannte „schöne, lebensfähige“ Stadtquartiere und setzt dabei auf Deregulierung. Die Verfasser haben übersehen, dass dies das Gemeinwohl und die Vielfalt unserer Städte unterwandert, und dass der Rückgang kommunaler Steuerung am Ende einen Qualitätsverlust unserer Stadtquartiere zur Folge haben würde: Ein Widerspruch.
Wir appellieren an die Entscheidungsträger von Bund, Ländern und Kommunen, die Düsseldorfer Erklärung kritisch zu hinterfragen:
1. Die Forderungen zur Reform der Baunutzungsverordnung bilden die schwierige Lage einiger weniger Großstädte unter Wachstumsdruck ab. Dabei wird ausgeblendet, dass das Planungsrecht für alle Städte, also auch für Städte mit stagnierender oder zurückgehender Bevölkerung, wie auch für ländliche Räume in ganz Deutschland gelten – und deren ausgewogene Entwicklung sicherstellen muss.
2. Die Forderung nach Abschaffung von Dichteobergrenzen ist ein Aufruf zu Deregulierung und befeuert damit die aktuelle Bodenspekulation – in einer Situation, in der wir mehr denn je Steuerungsinstrumente benötigen, um die aus den Fugen geratenen Boden- und Wohnungsmärkte zu beruhigen.
3. Die Leipzig Charta wird einseitig und ideologisch ausgelegt, um eine bestimmte Städtebau-Typologie zu forcieren. Dies steht im Widerspruch zur Leipzig Charta, die einen Hauptfokus auf benachteiligte Stadtquartiere im gesamtstädtischen Kontext legt.
4. Mit der Reduzierung städtebaulicher Qualitäten auf einen traditionellen, an der Gründerzeit orientierten Stadttypus werden gewachsene Bestandsquartiere entwertet und die Menschen, die in ihnen leben, ausgegrenzt. Dies entzweit unsere Stadtgesellschaften.
Wir widersprechen der Düsseldorfer Erklärung in ihren Grundzügen und fordern stattdessen:
Keine weitere Deregulierung!
Eine Hauptforderung der Düsseldorfer Erklärung besteht in der Abschaffung der Dichteobergrenzen, die in §17 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) festgesetzt sind. Diese Deregulierung der Dichte hätte enorme immobilienwirtschaftliche Konsequenzen. Bodenspekulation und Bodenpreise würden unmittelbar und noch stärker ansteigen als bisher, und den Kommunen würde gleichzeitig eine wesentliche Verhandlungsgrundlage entzogen. Folglich würden Grundeigentümer mit leistungslosen Gewinnen belohnt, während die öffentliche Hand allein die Kosten für die Anpassung von Infrastruktur und Wohnfolgeeinrichtungen aufbringen müsste. Die Aufhebung städtebaulicher Dichtegrenzen – ohne Anpassung des bodenpolitischen Instrumentariums – käme damit einer weitgehenden Deregulierung des Bodenmarktes und dem Verlust kommunaler Steuerung gleich.
Eine BauNVO für das ganze Land und alle Städte!
Die Düsseldorfer Erklärung ist eine Großstadtstrategie. Sie spiegelt die Sichtweise und Problemlagen von einigen Großstädten unter Wachstumsdruck wider und vergisst, dass das Planungsrecht überall in Deutschland gelten und auch die Bedürfnisse von Vororten, Kleinstädten und ländlichen Räumen abbilden muss. Das Planungsrecht muss wertneutral für alle Strukturräume und Bautypologien gelten, und es muss auch den unterschiedlichen Lebensentwürfen und Wohnbedürfnissen der Menschen gerecht werden. Eine fachliche Überprüfung der Düsseldorfer Erklärung zeigt zudem, dass zahlreiche Forderungen im Rahmen der derzeitigen BauNVO bereits erfüllt sind.
Keine Instrumentalisierung der Leipzig Charta!
Die Leipzig Charta für die nachhaltige europäische Stadt verfolgt eine Sektoren übergreifende und sozial integrierte Stadtentwicklung mit einem Fokus auf benachteiligte Stadtquartiere im gesamtstädtischen Kontext. Sie ist damit ein Plädoyer für die Vielgestaltigkeit unserer Städte und wendet sich explizit gegen die Ausgrenzung einzelner Stadtquartiere oder Stadtbautypologien – im Gegensatz zur Düsseldorfer Erklärung, die nur Qualitäten in bestimmten, am traditionellen Städtebau der Gründerzeit orientierten Quartieren sieht. Die Düsseldorfer Erklärung legt die Leipzig Charta damit bewusst falsch aus, und versucht ihre Ziele mit Scheinargumenten zu legitimieren.
Gegen dogmatischen, historisierenden Städtebau!
Die Düsseldorfer Erklärung ruft eine traditionelle, „schöne“ Retortenstadt aus, die es in dieser Reinform nie gegeben hat, und die auf zukünftige Herausforderungen für eine soziale und funktionale Mischung keine Lösungen bietet. Sie negiert und behindert mit diesem einseitigen Blick in die Vergangenheit alle Forschungsansätze für ein zeitgemäßes städtebauliches Repertoire. In Zukunft wird – im Gegensatz zu dem vornehmlich auf formalen Aspekten beruhenden, historisierenden Städtebau – die Auseinandersetzung mit wandelbaren hybriden Gebäuden und Strukturen für die produktive Stadt an Bedeutung gewinnen. An vielen Hochschulen ist dies bereits Gegenstand einer forschenden Lehre im Sinne einer sozial- und nutzungsdurchmischten Stadt der Zukunft.
Für eine umfassende Baukultur!
In der Leipzig Charta wird Baukultur in einem umfassenden Sinne definiert, als Gesamtheit aller die Qualität des Planens und Bauens beeinflussenden kulturellen, ökonomischen, technischen, sozialen und ökologischen Aspekte. Ganz im Gegenteil zur Düsseldorfer Erklärung, die Baukultur auf bauliche Themen reduziert, diese mit einem dogmatischen Städtebau koppelt und behauptet, dies stünde im Einklang mit der Leipzig Charta. Für die Stärkung des Bewusstseins der vielfältigen Aspekte, die den Prozess des Planens und Bauens und dessen Qualität bedingen, wurde eigens die Bundesstiftung Baukultur gegründet. Wir sind entschieden gegen die eingeengte Definition von Baukultur der Düsseldorfer Erklärung.
Zusammenfassung
Die Düsseldorfer Erklärung des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst zielt vor allem auf eine Reform der Baunutzungsverordnung (BauNVO), der wir in der vorgeschlagenen Form kritisch gegenüberstehen. Sie verbindet diese Reform mit einem dogmatischen, historisierenden Städtebau, den wir in der vorgetragenen Ausschließlichkeit ablehnen. Und sie begründet diese Haltung mit einer einseitigen Auslegung der Leipzig Charta für die nachhaltige europäische Stadt. Wir widersprechen diesem Papier entschieden, in dem es Tendenzen zu Populismus gibt und das zur Deregulierung aufruft!
Gleichwohl sehen auch wir Bedarf für eine Reform des Planungsrechts – insbesondere des bodenpolitischen Instrumentariums – und in einigen wenigen Teilen auch der Baunutzungsverordnung. Dies muss allerdings im Zusammenhang geschehen und nicht mit einem Handstreich zur Abschaffung der Dichteobergrenzen: Die Debatte ist eröffnet!
Prof. Dr. Sabine Baumgart, TU Dortmund [bis 2018]
Prof. Dr. Detlef Kurth, TU Kaiserslautern
Hon.-Prof. Martin zur Nedden, HTWK Leipzig
Prof. Christa Reicher, RWTH Aachen
Prof. Stefan Rettich, Uni Kassel
Hon.-Prof. Dr. e.h. Christiane Thalgott, TU München
Prof. Yasemin Utku, TH Köln
sowie 44 weitere Professorinnen und Professoren
Prof. Dr. Detlef Kurth, TU Kaiserslautern
Hon.-Prof. Martin zur Nedden, HTWK Leipzig
Prof. Christa Reicher, RWTH Aachen
Prof. Stefan Rettich, Uni Kassel
Hon.-Prof. Dr. e.h. Christiane Thalgott, TU München
Prof. Yasemin Utku, TH Köln
sowie 44 weitere Professorinnen und Professoren
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