Bauwelt

Wie können wir miteinander wohnen?

Das Wiener Architekturfestival „Turn On“ fand Anfang März unter dem Titel „Zeitenwende“ statt. Auch in diesem Jahr lag das Hauptaugenmerk auf Wohnbau.

Text: Marboe, Isabella, Wien

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    Der neue soziale Treffpunkt in der Wohnsiedlung für ehemals obdachlose Menschen von gaupenraub +/-
    Foto: gaupenraub +/-

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    Der neue soziale Treffpunkt in der Wohnsiedlung für ehemals obdachlose Menschen von gaupenraub +/-

    Foto: gaupenraub +/-

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    Das „neue Wiener Zinshaus“ von PPAG Ar­chitekten
    Foto: Paul Sebesta

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    Das „neue Wiener Zinshaus“ von PPAG Ar­chitekten

    Foto: Paul Sebesta

Wie können wir miteinander wohnen?

Das Wiener Architekturfestival „Turn On“ fand Anfang März unter dem Titel „Zeitenwende“ statt. Auch in diesem Jahr lag das Hauptaugenmerk auf Wohnbau.

Text: Marboe, Isabella, Wien

Seitdem Margit Ulama 2003 „Turn On“ erfand, eine jährlich stattfindende Vortragseihe mit freiem Eintritt im Wiener Funkhaus, ist das Architekturfestival ein Pflichttermin. Der große Sendesaal mit seinen gediegenen Ledersesseln und der perfekten Akustik ist ein Ereignis. Das Festival zeigt die besten Bauten österreichischer Architekturschaffender und reflektiert sie durch ausgewählte internationale Positionen. Das Programm ist von Margit Ulama und der österreichischen Architekturstiftung kuratiert, dieses Jahr stand es unter dem Motto „Zeitenwende“. Was heißt das für die Architektur? Mehr gesellschaftliche Verantwortung, könnte man aus dem Fes­tival schließen.
Von Beginn an gab es beim Festival einen Schwerpunkt auf Wohnbau; die Vielfalt der vorgestellten Projekte ist immer faszinierend. Zwei Quartiershäuser des Wiener Sonnwendviertels Ost waren vertreten. Dieses durchmischte Viertel wurde in einem Expertenverfahren geplant, der neue Typus der Quartiershäuser soll die Nachbarschaft beleben. PPAG Architekten zeigten ihr „neues Wiener Zinshaus“, ein konisch zugeschnittenes Haus mit Mittelgangerschließung. Der flexible, hybride Skelettbau zeichnet sich wie sein historisches Vorbild durch nutzungsneutrale Raumhöhen und Strukturen aus.
Michael Obrist von feld 72 und Paul Rajakovics von transparadiso präsentierten ihr Quartierhaus „Am Stadtbogen“ Es besteht aus Clusterhaus (feld 72) und Wohngruppenhaus (transparadiso). Sein Bauträger, die WOGEN, ist der erste und bisher einzige, der auf Gemeinschaftsprojekte spezialisiert ist. Das Büro raum + kommunikation begleitete die Gemeinschaftsprozesse, das Projekt ist ein soziales Experiment. „Es richtet sich an alle, die nicht im klassischen Familienverband leben“, sagt Obrist. Mehrere Kleinwohnungen um eine zentrale Gemeinschaftsfläche bilden eine große Clusterwohnung: Dafür interessiert sich gerade ein Orden.
Alexander Hagner und Ulrike Schartner von gaupenraub +/- schaffen Architektur für Menschen am Rand der Gesellschaft. Sie planen zusammen mit Ehrenamtlichen Gebäude aus gespendeten, benutzten oder gefundenen Mate­rialien und gehen immer von dem aus, was sie vorfinden. Der „komische, halbverfallene“ Bestand auf der Wiese ihres Wiener VinziDorf ist nun Lokal, Café und Aufenthaltsraum für ehemals obdachlose Menschen, die individuell in Häuschen am Garten wohnen. Derzeit verwandeln die Architekten ein verwaistes Luxus­hotel zur „Vinzirast am Land“. Eine alte Scheune und ein altes Glashaus fanden bereits ihren Weg dorthin. Bei Anbau, Ernte und Verarbeitung von Obst, Gemüse und den Eiern ihrer freilaufen­-­den Hühner sollen Menschen in Krisen wieder Erdung und Wohnstatt im Hotel finden.
Auch mit Kontinuität lässt sich der Zeitenwende begegnen. Die Londoner Architekten Sergison Bates erklären anhand eines Querschnitts durch ihre „Housing Projects“ der letzten Jahre, worauf die Qualität eines robusten Stadtbausteins beruht. Für sie ist das klassische Londoner Reihenhaus der größte Beitrag Großbritanniens zur Weltarchitektur. Eine Abwandlung der wichtigsten tradierten Typologien genügt, um auch die Zukunft zu meistern. Architektur aus langlebigen Materialien, mit dem richtigen Maßstab, sorgfältigen Details, großzügigen, attraktiven Lebens- und Stadträumen. Um-, Ausbau und Verdichtung im Bestand seien ganz klar dem Neubau vorzuziehen.
Auch die Architektur von Ripoll-Tizón aus Palma de Mallorca schöpft stark aus der verna­kulären mediterranen Tradition. Seit der Immo­­bi­lienkrise 2008 erlebt der soziale Wohnbau auf Ibiza eine Renaissance. Die Architekten hatten Glück: Von ihrem Wettbewerbsprojekt „Social Housing in Ibiza“ wurden statt der geplanten 38 nur 19 Einheiten realisiert, daher ist es atem­beraubend großzügig. Weiß verputzt, mit kleinen Fenstern, blau-weißen und sonnengelben Fliesen entstand ein durchwegtes Gefüge voller Licht- und Schattenspiele.
Atmosphäre ist auch für die Zeitenwende essenziell. Und für die Demokratie: Souverän sanierten und erweiterten die Architekten Jabornegg & Pálffy das Wiener Parlament, ein archi­tekturhistorisches Ringstraßenjuwel erster Güte von Theophil Hansen. Unbedingt anschauen!

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