Ausgerechnet in Neukölln
175-Meter-Hochhaus für das Estrel-Hotel
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Ausgerechnet in Neukölln
175-Meter-Hochhaus für das Estrel-Hotel
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Die Senatsbaudirektorin freut sich über ein „Tor zur Stadt“, der Bürgermeister über Investitionen in seinen Bezirk, und den Architekten winkt der Auftrag für das höchste Haus Berlins. Ein Gewinn für alle?
„Der ist doch irre“, polterte Heinz Buschkowsky auf der Pressekonferenz los. Erst errichte Investor Ekkehard Streletzki Deutschlands größtes Hotel ausgerechnet in Neukölln – „neben einem Schrottplatz!“ –, und jetzt wolle dieser „Kreativvulkan“ hier auch noch das höchste Haus der Hauptstadt bauen. „Vulkan“ Streletzki, der dem Bezirksbürgermeister lauschte, brodelte eher innerlich: „So langsam ist das alles auch in meinem Kopf angekommen“, sprach er schüchtern ins Mikrofon. Um einen 175 Meter hohen Turm mit 814 Hotelzimmern, dazu Büros, ein Parkhaus und zwei Kongress- und Ausstellungshallen soll das Estrel-Hotel auf der anderen Straßenseite ergänzt werden. Der Grund: Die 1125 Zimmer des postmodernen, spitz zulaufenden Bestandbaus an der Kreuzung von Sonnenallee und Neuköllner Schifffahrtskanal reichen nicht mehr aus. Eine Erfolgsgeschichte für das Hotel. Und für Berlin?
Senatsbaudirektorin Lüscher schwärmt von einem neuen Tor zur Innenstadt für alle, die in Zukunft über die ausgebaute A100 oder vom Flughafen BER nach Berlin unterwegs sind. Davon abgesehen, dass man die Zeit, in der eine Stadt Tore mit Türmen brauchte, vorbei glaubte, klingt Lüschers Vision nach einer Rechtfertigung, warum gerade hier Berlin in die Höhe gehen sollte, 25 Meter mehr als das am Alexanderplatz geplante Hochhaus (Bauwelt 9/2014). Der Bebauungsplan sah für die Brache an der Sonnenallee bereits seit 2001 eine Erweiterung des Hotels vor, allerdings mit nur 21 Geschossen. Das 67 Meter hohe Haus wäre damit auf einer Höhe mit dem 18-geschossigen Bestandsbau. Durch die nun 175 Meter gerät das schon damals erhoffte „Tor zur Innenstadt“ in Schieflage, was offenbar niemanden stört. Eine Anpassung des Bebauungsplans, versicherte Buschkowksy, werde im Rathaus kein Problem sein: Mit dem Neubau, so der Bürgermeister, expandiere auch ein großer Arbeitgeber des Bezirks. Viele der 500 Angestellten kämen aus Neukölln.
Für den Bezirk?
Das Estrel zahlt zwar mit jährlich 50 Millionen Euro Umsatz, trotz des gesenkten Satzes für Hotels, satte Steuern. Die Gäste jedoch verprassen ihr Geld selten in der Nachbarschaft. Die urigen Eckkneipen, die Sportbars oder die hippe Weserstraße sind für die Messebesucher und Geschäftsreisenden dann doch wenig interessant – oder liegen zu tief im stigmatisierten „Problembezirk“. Stattdessen wirbt das Hotel mit Direktanschluss an Auto-, S-Bahn und, über den eigenen Bootsanleger, sogar an die Wasserstraßen Berlins. Das Estrel bleibt so, gerade auch mit der Erweiterung, eine Inselanlage: Die Gäste stranden auf dem Zimmer, lassen ihr Geld im Haus und wagen sich nur für den Sprung in Bus, Bahn oder Boot vor die Tür. Immerhin könnte ein Gutachten zeigen, wie man die Gäste ins offenbar vorzeigbarere Rixdorf, den historischen Kern des Bezirks, führt.
Diejenigen, die es in die unwirtliche Gegend aus Schrottplatz, Schrebergärten und Gewerbegebiet verschlägt, können derzeit am Kanal auf einem Sonnendeck des Hotels ausspannen. Mit der Erweiterung soll die Uferpromenade nach Südwesten ausgebaut werden, was von Barkow Leibinger (1. Preis) und, über den Zugang durch eine Rampe, auch von Meixner Schlüter Wendt (3. Preis) einladender gelöst wurde, als von schneider + schumacher (2. Preis). In deren Entwurf muss sich der Passant zunächst an Hotelturm und Buswendeplatz vorbeikämpfen.
Fürs Auge?
Mit einer erkennbaren Zusammengehörigkeit von Bestands- und Neubau taten sich alle Teilnehmer schwer. Barkow Leibinger versuchen mit Dachschrägen das alte Estrel zu spiegeln. Die Fassade – auf Modell und Rendering schwer zu verifizieren – soll aus einem Raster aus Metallstreben bestehen, das vor „konventionelle“ Fassaden gehängt wird. Ausgeklügelte Gestaltungen des Büros wie beim Hochhaus Tour Total (Bauwelt 28.2013) lassen aber erwarten, dass hier mit dem höchsten Hotel Deutschlands ein Gebäude entsteht, an dem der Berliner im Auto oder in der S-Bahn nicht vorbeifährt, wie an den Treptowers oder dem Steglitzer Kreisel: stumm und ohne den Kopf zu heben.
Einladungswettbewerb nach RPW 2013
1. Preis Barkow Leibinger, Berlin
2. Preis schneider + schumacher, Frankfurt a.M.
3. Preis Meixner Schlüter Wendt, Frankfurt a.M.
Anerkennung Kleihues + Kleihues, Berlin
Anerkennung Sauerbruch Hutton, Berlin
Anerkennung ingenhoven architects, Düsseldorf
2. Preis schneider + schumacher, Frankfurt a.M.
3. Preis Meixner Schlüter Wendt, Frankfurt a.M.
Anerkennung Kleihues + Kleihues, Berlin
Anerkennung Sauerbruch Hutton, Berlin
Anerkennung ingenhoven architects, Düsseldorf
0 Kommentare