Wider die Abrissbirne
Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum plädiert für Erhalt von Bausubstanz
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Wider die Abrissbirne
Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum plädiert für Erhalt von Bausubstanz
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Das Deutsche Architekturmuseum am Schaumainkai wird seit Oktober 2021 saniert. Im Interimsquartiert DAM Ostend (bis 2023) – in einem zwischen 1951 und 1961 nach Plänen von Hans Hach entstandenen ehemaligen Versandhaus, das derzeit seine Eignung für viele andere Nutzungen beweist und über dem nach zwei Verkäufen innerhalb von sechs Jahren das Damoklesschwert „Abriss“ schwebt – ist eine kleine, aber feine Ausstellung zu sehen, die sich vielfältigen Um-, An- und Weiterbauten weltweit und auch einigen Frankfurter Beispielen widmet. Dass Gebäude bei der Herrichtung und im jahrzehntelangen Betrieb für einen Großteil des Ressourcen- und Energieverbrauchs verantwortlich sind, ist nichts Neues. Die in Frankfurt (auf recycelten Ausstellungstafeln) präsentierten Zahlen erschrecken dennoch: So werden in Deutschland pro Kopf im Lebensschnitt 307 Tonnen mineralische Rohstoffe verbaut (90 Prozent der Rohstoffentnahme dienen dem Bauen), aktuell ist jeder einzelne hierzulande sogar von 490 Tonnen Baumaterialien umgeben (weltweit sind es „nur“ 115 Tonnen pro Person). Wesentlich dafür ist die „Alles neu“-Mentalität und die daraus resultierende hohe Abbruchquote, mit der Folge, dass Bau- und Abbruchabfälle fast 55 Prozent des gesamten Abfalls ausmachen, obwohl 90 Prozent des Abbruchvolumens recycelt werden könnten – jedoch greifen bislang entsprechende gesetzliche Vorschriften nicht.
Dabei mangelt es nicht an guten Beispielen für erfolgreiche Transformationen von Bestandsbauten, die oft mit vergleichsweise wenig Aufwand um- und ausgebaut werden können. Im DAM Ostend sind in sechs Kapiteln – Umbauen, Anbauen, Rückbauen, Reaktivieren, Stadt und Dorf erneuern sowie Bauen im Denkmal – sowohl einige häufig publizierte Beispiele als auch erstaunlich viele Neuentdeckungen von allen Kontinenten zu sehen. Etwa das Kulturzentrum SESC 24 de Maio in einem ehemaligen Kaufhaus in São Paulo aus dem Jahr 1940, das von MMBB Architects in eine „gestapelte Stadt“ mit vielfältigen Nutzungen auf zwölf Stockwerken um- und ausgebaut wurde. In Winterthur stockte das „baubüro“ in situ einen dreigeschossigen Gewerbebau (1913) gleich um drei weitere Stockwerke für Werkstätten und Ateliers auf, wobei zu 70 Prozent recycelte Bauelemente verwendet wurden. Dass auch denkmalgeschützte Bauwerke durch behutsame Eingriffe einer neuen Nutzung zugeführt werden können, belegt der Umbau des Spaardersbad in Gouda: Mei architects and planners implantierten dem Schwimmbad (1939) sechs Wohnungen, das ehemalige Schwimmbecken – unter einem zentralen gläsernen Dach – dient nun als Gemeinschaftshof.
Doch warum in die Ferne schweifen, wenn gute Beispiele auch vor der eigenen Haustür zu finden sind? Das dreiköpfige Kuratorenteam hat für eine „Bestandsaufnahme“ neben dem erwähnten ehemaligen Versandhaus noch sechs weitere Frankfurter Bauwerke ausgewählt, die eine Transformation wert wären oder bereits hinter sich haben. Die Aufstockung der Fritz-Kissel-Siedlung in Sachsenhausen mit Modulen in Holzbauweise durch Menges Scheffler Architekten belegt, dass auch eine späte Ernst May-Siedlung (1955) mit Anstand nachverdichtet werden kann. Wie es bei gleich zwei Universitätsbauten, an denen Ferdinand Kramer beteiligt war, weitergehen wird, steht dagegen noch in den Sternen. Klar ist, dass sowohl das Juridicum in Bockenheim (1963–70) als auch das seit 2011 leerstehende Botanische Institut im Westend (1954–56 bzw. 1966) unbedingt erhalten und für neue Nutzungen hergerichtet werden sollten.
Nichts Neues. Besser bauen mit Bestand
DAM Ostend, Henschelstraße 18, 60314 Frankfurt am Main
Bis 15. Januar 2023
0 Kommentare