Brauner Schafspelz
Caroline Kraft gruselt sich vor Menschenfeinden, ob in der Stadtplanung oder im Bundestag
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Brauner Schafspelz
Caroline Kraft gruselt sich vor Menschenfeinden, ob in der Stadtplanung oder im Bundestag
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Selbstversuche sollen ja guten Stoff für Geschichten liefern. Oder Erkenntnisse bringen. Deshalb, rein dienstlich, habe ich im Januar in Berlin nach einer Wohnung gesucht. Stunden am Tag bin ich mit Tram, Bus, U- und S-Bahn durch die Stadt gependelt, um dann am Abend zu wissen: Ich finde den Gedanken, in einem freistehenden Haus am Stadtrand zu wohnen, beklemmend. Ich möchte belebten Block und Innenhof. So trat ich eines Tages durch ein von Steinlöwen oder -bären flankiertes Tor in einen von mehreren graubeige verputzten Siedlungsblöcken am Grazer Damm am Rand Berlin-Schönebergs. Ich fand mich auf einem großzügigen Freiraum mit Blick auf die Blockmitte wieder. Begrünt und ruhig! Die kleinen Fenster, die niedrigen Decken, das Holztreppenhaus, die einfache, walmdachbedeckte Wohnung, die ich mir ansah – seltsam heimelig. Nichtsahnend war ich! Auf dem Rückweg zur S-Bahn googelte ich: Ich hatte gerade eine Gehilfin Germanias besucht. Nach der Verordnung von 1935 entstanden am Grazer Damm 2000 „Volkswohnungen“ für Arbeiter, „billigste Mietwohnungen in ein- oder mehrgeschossiger Bauweise, die hinsichtlich Wohnraum und Ausstattung äußerste Beschränkung aufweisen“. Es ist die größte zur Nazizeit fertiggestellte Wohnsiedlung Berlins. In den 1980ern wurde sie modernisiert, ist allerdings heute noch sehr einfach ausgestattet, wenn auch inzwischen Balkone und Loggien den Schein trügen. Auch „Abrissmieter“ – Vertriebene also, die durch Flächenabrisse zugunsten des Fiebertraums Speers ihr Zuhause in den Vorkriegsjahren schon verloren hatten (hier für die „Nord-Süd-Achse“ durch Schöneberg), sollten am Grazer Damm unterkommen. Naheliegend, dass das vermeintlich Gute hier dunkles Kalkül hatte: Der Freiraum im Blockinneren sowie die Lücken an wenig repräsentativen Stellen des Blockrands unterlagen den Planungsgrundlagen der „Luftschutzgerechten Stadt.“ Bei einer Bombenexplosion sollte der Luftdruck gut entweichen können, bei Bränden einem Kamineffekt vorgebeugt werden. Das war 1938. Die asozialen Absichten der Naziregierung waren vorher im nationalsozialistischen Wohnungsbau ablesbar. Diese Unverhohlenheit ist zurück. Wir müssen die Bodenplatte unserer Gesellschaft stützen, wenn wir nicht wollen, dass sie eingerissen wird. Ich baue auf Sie.
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