Andermatt Konzerthalle
Andermatt drohte nach Aufgabe eines Eidgenössischen Militärstützpunkts der Abstieg. Auf der Suche nach Investoren mit neuen Ideen für den Ort wurde vom Kanton Uri die Orascom Development Holding angefragt. Sie baut nun seit einigen Jahren ein zweites Andermatt – als Resort. Die Concert Hall von Christina Seilern hat eine sonderbare Planungsgeschichte.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
-
Das zweite Andermatt wird sich auf 150 Hektar ausbreiten. Die Durchgangsstraße und Bahngleise trennen das Areal vom alten Dorfteil.
Foto: Roland Halbe
Das zweite Andermatt wird sich auf 150 Hektar ausbreiten. Die Durchgangsstraße und Bahngleise trennen das Areal vom alten Dorfteil.
Foto: Roland Halbe
-
Die Holzlatten-Decke und -Wände des Saals und die drei Reflektoren gestaltete die Architektin mit Kahle Acoustics.
Foto: Roland Halbe
Die Holzlatten-Decke und -Wände des Saals und die drei Reflektoren gestaltete die Architektin mit Kahle Acoustics.
Foto: Roland Halbe
-
Durch die Neunutzung ergaben sich einige Zwänge. Das Foyer mit kleiner Galerie ist sehr beengt.
Foto: Roland Halbe
Durch die Neunutzung ergaben sich einige Zwänge. Das Foyer mit kleiner Galerie ist sehr beengt.
Foto: Roland Halbe
-
Durch die Erhöhung während der Umplanung zeigt sich der Saal mit flach geneigtem Dach und einem Schaufenster im Außenraum.
Durch die Erhöhung während der Umplanung zeigt sich der Saal mit flach geneigtem Dach und einem Schaufenster im Außenraum.
-
Der Übergang zum Hotel Radisson Blu.
Foto: Roland Halbe
Der Übergang zum Hotel Radisson Blu.
Foto: Roland Halbe
-
Eine Treppe führt hinunter zum Saal.
Foto: Roland Halbe
Eine Treppe führt hinunter zum Saal.
Foto: Roland Halbe
-
Durch die Verglasung des Saals sieht man nur ein wenig die Alpenkulisse. Die Bühne und die Bestuhlung des Parketts sind flexibel.
Foto: Roland Halbe
Durch die Verglasung des Saals sieht man nur ein wenig die Alpenkulisse. Die Bühne und die Bestuhlung des Parketts sind flexibel.
Foto: Roland Halbe
„Als Student genoss ich Hunderte von Konzerte der Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan.“ Der Ägypter Samih Sawiris erinnert sich gerne an sein Bauingenieurstudium an der TU Berlin Ende der 70er Jahre. Er wohnte damals nahe der Philharmonie und begeisterte sich für klassische Musik. Sawiris’ weiterer Lebensweg ist von Erfolg gekrönt. Er stieg mit seiner Orascom Development Holding (ODH) in die große Geschäftswelt ein. Als Developer von Resort-Projekten bekleidet er auch die Position des Verwaltungsratspräsidenten der Andermatt Swiss Alps AG. Schon seit 2005 engagiert er sich im abseits liegenden Ort Andermatt am Rande des Gotthardpasses, nachdem ihn Josef Dittli, der damalige Finanzdirektor vom Kanton Uri, und die Urner Kantonalbank eingeladen hatten. Sein Unternehmen startete nach der Zusage für das Projekt die umfassende Entwicklung. Die Einwohner wurden zuvor befragt und waren einverstanden. Hintergrund der ungewöhnlichen Einladung war, dass der 1400 Meter hoch gelegene und per Auto über gewundene Passstraßen erreichbare Militärstützpunkt deutlich reduziert wurde. Nach dem Abzug der Soldaten und dem Abriss mehrerer Kasernengebäude drohte ein wirtschaftlicher Abstieg. Heimische Entwickler hatten zuvor abgewinkt, da sie in Andermatt keine Potenziale erkannten.
A very sleepy Village
Mit dem Projekt, das der aus einer steinreichen Baukonzern-Familie stammende und meist in London lebende Sawiris vorschlug, eröffnete sicheine neue Perspektive für „the very sleepy village“. Wichtig war ein überzeugendes Vermarktungskonzept, nicht nur mit den Skigebieten, die massiv ausgebaut wurden, sondern einem ganzjährigen „Nutzungsprogramm“. Das Unternehmen Andermatt Swiss Alps spricht sogar von einer Transformation in eine „weltweit führende Ganzjahres-Destination“. Ein mutiges Ziel in einem Tal, das seit Jahrhunderten vor allem der Nord-Süd- und Ost-West-Passage nach Graubünden, ins Tessin, ins Wallis und nach Bern dient. Andermatt verfügt außerdem über einen Bahnhof des Glacier Express von Zermatt nach St. Moritz und der Matterhorn Gotthard Bahn.
Die Investitionen laufen: Ein angeblich schottisch anmutender 18-Loch-Golfplatz wurde bereits angelegt, Trails für Mountainbikes, Wege zum Wandern, Felsen zum Klettern sind vorhanden. „The Chedi Andermatt“, das erste 5-Sterne-Deluxe-Hotel von den indonesischen Architekten Denniston International und einem belgischen Luxushoteldesigner mit „asiatischen Nuancen“ entworfen, wurde schon 2013 fertig. Es folgte mit einem Masterplan von IttenBrechbühl das „neue Dorf“ Andermatt Reuss, deutlich abgesetzt vom alten Dorf auf der anderen Seite des Flusses Reuss, der Bahntrasse und der Durchgangsstraße. Im neuen Dorf wurde Ende 2018 das Radisson Blu Hotel Reussen mit angrenzendem Apartmentgebäude „Gotthard Residences“ von Burkhalter Sumi eröffnet, dazu sind dicht an dicht stehend zehn von 42 geplanten Apartmenthäusern fertig oder in Bau. Sie heißen Gemse, Steinadler, Hirsch, Biber, Fuchs, Alpenrose, Eisvogel, Edelweiß, Schneefalke usw. und sehen sehr unterschiedlich aus. Ihre Baupläne wurden, so der Bauherr, „nicht nur in Zürich entworfen, sondern auch in Antwerpen und Jerewan“. Das Ergebnis ist bisher ein künstlich wirkender, bunter Mix mit Anklängen an traditionelle schweizerische Architektur. Autos und die Anlieferung verschwinden in einem mächtigen, alle Neubauten verbindenden Sockel. Mitten drin ist eine „Piazza Gottardo“ entstanden. Von den rund 28 geplanten alpinen Chalets am äußeren Rand des neuen Dorfs steht nur eins mit Bruchsteinfassaden einsam herum. Stockt der Verkauf?
Zum Gesamtpaket des Projekts gehören die Finanzspritzen durch den Kanton bei der Neuplanung der SkiArena Andermatt-Sedrun und des Golfplatzes. Trotz allem Engagement wird es aber das Hochtal von Andermatt wohl schwer haben mit anderen, renommierten Ferienregionen in den Schweizer Bergen zu konkurrieren. Ein Sonderrecht von großem Vorteil muss hier aber Erwähnung finden: Eigentlich ist in der Schweiz der Erwerb von Immobilien durch Personen aus dem Ausland stark eingeschränkt. In Andermatt kann man jedoch bewilligungsfrei und uneingeschränkt Wohnungen und Häuser von Andermatt Swiss Alps erwerben und ohne Haltefrist wieder veräußern. Damit ist Sawiris sicherlich ein ganz entscheidender Coup für seine Investition gelungen.
Die Konzerthalle
Die Begeisterung für klassische Musik ist bei Samih Sawiris ungebrochen. Damit sein neues Andermatt noch mehr bietet, kam ihm die Idee, durchsein Unternehmen Andermatt Swiss Alps einen Konzertsaal für Touristen und Musikinteressierte des Kantons zu bauen.
Der Saal bietet mit rund 650 Sitzplätzen eine eher beschauliche Atmosphäre und verfügt über eine flexible Bühne mit Platz für ein 75-köpfiges Orchester. Der seit einigen Jahren Klavierspielende Milliardär machte es nun zur Eröffnung am 16. Juni sogar möglich, für ein Konzert „seine“ Berliner Philharmoniker hierher zu holen. Der Grieche Constantinos Carydis dirigierte Mozart und Schostakowitsch. Samih Sawiris: „Mit der Eröffnung unserer fantastischen Konzerthalle durch dieses Orchester wird für mich ein langgehegter Traum war. Als Kunstform steht die klassische Musik am Scheideweg und braucht mehr Unterstützung denn je.“
Die Geschichte dieses Gebäudes verwundert. Denn eigentlich war neben Burkhalter Sumis Hotel und den „Gotthard Residences“ eine Kongresshalle geplant gewesen. Erst als der im mehrgeschossigen Parkhaus-Sockel versenkte Rohbau der Halle betoniert war, änderte man das Programm. Für das Konzerthaus wurde der rechteckige Block nicht nur oben erhöht und teilweise als Vitrine geöffnet, sondern für den hinteren Zuschauerbereich vis-à-vis der Bühne ein Stück ergänzt. Damit das nun größere Volumen zu einem akustisch und atmosphärisch angepassten Musiksaal mutieren kann, fügte man oberhalb des Rangs ein Origami aus dreieckigen Feldern mit schmalen Holzlatten ein. In der Mitte der Halle hängen drei Akustikreflektoren. Durch die Erhöhung ist der Saal aus dem Sockel emporgewachsen und präsentiert sich im neuen Dorf als eingeschossiger Pavillon mit einem schwer wirkenden geneigten Dach, der eher ein kleines Wellnessbad als einen Konzertsaal vermutet lässt. Aus- und Einblicke sind durch das Fensterband im erhöhten Teil möglich. Statt in die Bergkulisse zu schweifen endet der Ausblick meist an der Hotelfassade. Das unterirdische Foyer ist viel zu eng, vor allem auf der niedrigen und schmalen Galerie. Zudem müssen die Zuschauer nach dem Ende des Konzerts warten, bis die Orchestermitglieder den Saal über die zwei Ausgänge seitlich der Bühne verlassen haben. Einen separaten Bühneneingang und eine Hinterbühne gibt es nicht. Den Musikern steht als Umkleide ein Raum hinter der Treppe zur Verfügung, der über das Foyer erreicht wird.
Christina Seilern, die Architektin des Konzertsaals, ist bisher außerhalb Großbritanniens kaum bekannt. Sie baute aber schon eine Villa auf einem Felsen in Simbabwe. Ein Wohn-, Büro-, Spa- und Restaurantgebäude in Vilnius wird bald fertig. Sawriris wählte sie aus, da sie sich mit Veranstaltungssälen auskennt, die sie noch als Leiterin des Londoner Büros von Rafael Viñoly geplant hatte. Die Architektin wuchs am Genfer See auf, studierte an der Columbia und hat ihr Büro in London. Seilern baut zurzeit am Ort auch neben der Skistation Gütsch auf 2600 Meter Höhe ein japanisches Restaurant, als Dependence vom „The Japanese“ im Hotel „The Chedi Andermatt“. Sie erhielt von Sawiris noch einen weiteren, deutlich größeren Auftrag. Im Mai war Baubeginn des Projekts El-Guna bei Hurghada am Roten Meer, rund 400 Kilometer südöstlich von Kairo. Zwischen mehreren Resorts entsteht wieder ein Konzertsaal, diesmal in einem großen Wasserbecken in Kombination mit zwei weiteren Sälen für ein neues Filmfestival und für Kongresse. Ob die Berliner Philharmoniker, für sicherlich sehr viel Geld, auch in der sandigen und windigen Wüstengegend zur Eröffnung spielen werden?
Im kleinen Saal von „Andermatt Music“ erwartet Samih Sawiris während der Skisaison im Januar 2020 keinen geringeren als Daniel Barenboim. Alles ist nun möglich im aufgeweckten Kanton Uri.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare