Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Am Ende ist sie doch noch fertig geworden, die „Scuola per l’Europa“ in Parma von Paolo Zermani. Schon vor fünf Jahren, als ich den Architekten traf, um das Krematorium und einige weitere von ihm in der Umgebung der Provinzhauptstadt geplante Gebäude zu besichtigen (Bauwelt 13.2015), stand die große Anlage am Südrand der Stadt fast fertiggestellt da, doch lag die Baustelle still, und der Abschluss der Restarbeiten bis zur Inbetriebnahme war nicht absehbar – im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise waren ausführende Firmen in Insolvenz gegangen, und so mussten die übrig gebliebenen Leistungen neu ausgeschrieben und vergeben werden. Im letzten Jahr, zehn Jahre nach Start der Planungen, aber war es soweit, dass endlich Pausenlärm in den Höfen widerhallte, Lehrer und Schüler das große Gebäude in Besitz nehmen konnten, genauer: seine einzelnen Komponenten, die sich nördlich und südlich der 210 Meter langen Hauptachse aufreihen.
Die unterschiedlichen Einheiten, die hier zusammengeführt worden sind, nehmen Heranwachsende unterschiedlicher Altersstufen auf, von der Vorschule bis zur Sekundarstufe II – eine Besonderheit dieses Projekts. Sie teilen sich Turnhalle, Bibliothek, Mensa und Auditori-um, was diese Sonderräume besser auslastet, und auch die Verwaltungs- und Lehrerräume sind, im Kopfbau, zusammengefasst. Das hier seitlich anschließende Auditorium allerdings harrt als letzter Teil der Gesamtanlage noch der Fertigstellung; durch den jahrelangen Baustop verursachte Schäden an der Dachkonstruktion müssen noch beseitigt werden. Das ist aber kein Hindernis für eine architektonische Betrachtung des Projekts, ist das Thema des „Unvollendeten“ doch in ihm eingeschrieben.
So geschlossen die Europäische Schule in ihrem gemeinsamen Bereich, dem lang gestreckten Hof, auch wirkt, so fragmentarisch wirkt die Anlage von außen betrachtet – sofern man nicht gerade vor den streng gereihten Pfeilern der Portikusfassade auf der Ostseite steht, die, weithin sichtbar, den Eingang formulieren. Dahinter aber ragen auf Nord- und Südseite unterschiedlich viele und unterschiedlich lange Gebäudeflügel in die Landschaft, öffnen die einzelnen Institutionen wie die Gesamtanlage in die weite Po-Ebene bzw. in Richtung der bald hügeligen Landschaft in Richtung Apennin. Das westliche Ende besetzt nur ein großer Turnhallen-Baukörper südlich der Hauptachse, während das Äquivalent auf der Nordseite fehlt. Ursprünglich Teil des Projekts, entfiel dieses aus Kostengründen; für den Architekten eine zusätzliche Unterstützung des Entwurfsthemas. Apropos Kosten: Die Schule wurde zu einem fast absurd niedrigen Preis von 1300 Euro/Quadratmeter realisiert.
Schnell freilich kommt Zermani von den funktionalen, konstruktiven und ökonomischen Erläuterungen, die das Projekt in den Problemen der Gegenwart verankern, zu grundsätzlicheren Fragen, die sein dem Razionalismo verbundenes architektonisches Schaffen umkreist: solche der Zeit und des Vergehens, der Präsenz der Architektur zwischen Vergangenheit und Zukunft, der Analogie von Gebautem und dem menschlichen Körper. Bei der Konzeption der Schule hat er lan-ge über das Bild „Cristo morto“ von Andrea Mantegna nachgedacht, das einzige Bild, das der Renaissance-Künstler nie verkauft hat und auf dem er, ganz entgegen seiner sonstigen streng klassischen Bildaufbauten, den ausgestreckt daliegenden Leichnam perspektivisch dargestellt hat, im Moment des Übergangs vom Leben zum Tod, vom Dasein zum Vergehen. Die Analogie zur Schule, mit der Turnhalle als Kopf und dem Kreuzgang als Wirbelsäule, ist aber nicht die einzige Bedeutungsebene, die der Architekt dem Gemälde beimisst, für ihn ist das Bild des leidenden, vergänglichen Körpers auch auf die Landschaft der Pianura Padana im Ganzen übertragbar. Die noch in die Antike zurückreichende Struktur des großen, fruchtbaren Gartens zwischen Alpen und Apennin mit dem großen Strom und der römischen Via Emilia als Längsachsen und den aus dem Gebirge im Po mündenden Flüssen als Querachsen, dem orthogonalen Raster der Felder und Entwässerungskanäle sowie den in der Ebene verteilten Städten sieht Zermani durch immer weiter wuchern-de Suburbanisierung, durch Gewerbehallen und Infrastrukturbauten bei gleichzeitigem Verfall der landwirtschaftlichen Gebäude, bedroht; „die Landschaft weint“, so scheint es ihm. Und so führen alle seine Projekte, die er in den letzten dreißig Jahren hier realisiert hat, immer auch eine Auseinandersetzung mit der historischen Struktur dieser Kulturlandschaft – im Fall der Europäischen Schule etwa mit der Ausrichtung der Anlage an Cardo und Decumano der Landschaft, sprich an der Via Emilia und der Strada Langhirano. Mit dem langgestreckten Hof will der Architekt den Kreuzgängen der Klöster Referenz erweisen, die, als historische Räume des Studierens und der Erkenntnis, offen und abgeschlossen zugleich, die europäische Kultur und Kulturlandschaft mitgebildet haben. Dass schließlich auch das Fassadenmaterial aus lokaler Produktion stammt, versteht sich fast von selbst: Seit Anbeginn arbeitet Zermani mit Ziegeln aus dem nahen Reggio.
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