Hofhaus in Zürich
Ein beschwingtes Hofhaus wie ein Gartenhaus, wie gebettet in einen sommerlichen Biergarten, wie einem impressionistischen Gemälde entwachsen: Pürckhauer & Knorrs Gemeindehaus in der Zürcher Innenstadt
Text: Kunst, Jasmin, Zürich
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Das Gebäude liegt im Stadtteil Werd.
Foto: Philip Heckhausen
Das Gebäude liegt im Stadtteil Werd.
Foto: Philip Heckhausen
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Umstanden ist der Hof von Wohngebäuden der Zeit um die vorige Jahrhundertwende und 60er-Jahre-Bürogebäuden.
Foto: Philip Heckhausen
Umstanden ist der Hof von Wohngebäuden der Zeit um die vorige Jahrhundertwende und 60er-Jahre-Bürogebäuden.
Foto: Philip Heckhausen
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Unter den geschwungenen Dachverkleidung befinden sich Holzsparren.
Foto: Philip Heckhausen
Unter den geschwungenen Dachverkleidung befinden sich Holzsparren.
Foto: Philip Heckhausen
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Das Haus bedient die Leichtigkeit eines Zelts.
Foto: Philip Heckhausen
Das Haus bedient die Leichtigkeit eines Zelts.
Foto: Philip Heckhausen
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Die zur Akzentuierung verwendete rote Farbe entlehnen die Architekten einem Nachbargebäude.
Foto: Philip Heckhausen
Die zur Akzentuierung verwendete rote Farbe entlehnen die Architekten einem Nachbargebäude.
Foto: Philip Heckhausen
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Motiv Bullauge: Die runden Blicköffnungen sind einmal durch glubschige Markisen, im Dach, ...
Foto: Philip Heckhausen
Motiv Bullauge: Die runden Blicköffnungen sind einmal durch glubschige Markisen, im Dach, ...
Foto: Philip Heckhausen
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... ein anderes Mal, im Treppenhaus, mit perforierter Blende verschattet.
Foto: Philip Heckhausen
... ein anderes Mal, im Treppenhaus, mit perforierter Blende verschattet.
Foto: Philip Heckhausen
Statt um Alterswohnungen, wie ursprünglich geplant, erweiterten die Architekten Philipp Knorr und Moritz Pürckhauer den Baubestand der Gemeinde St. Peter und Paul in der Zürcher Innenstadt um einen kleinen Sakralbau. Dieser kann aber mehr, als nur Gotteshaus zu sein, und auch dem klassischen Bild eines solchen widersetzt er sich. Der Block, in dessen Mitte das neue Hofhaus seit dem vergangenen Jahr steht, besteht aus ungleichen Nachbarn: Bürotürme aus den 1970er Jahren reihen sich an gründerzeitliche Blockrandhäuser, daneben stehen die 1874 gebaute, neugotische Kirche St. Peter und Paul als Solitär und das dazugehörige Alterszentrum, das von außen ebenfalls eher wie ein Bürohaus als ein Pflegeheim anmutet. Die Straßen im Quartier sind belebt, es gibt viele Cafés und Restaurants. Hier zu wohnen ist teuer. Die Innenhöfe sind, wenn überhaupt öffentlich zugänglich, ruhig. Üblicherweise findet man darin Parkplätze, manchmal Werkstätten, Arztpraxen oder Büros.
Die Geschichte dieses Hofgebäudes beginnt eigentlich mit einer angedachten Erweiterung des Alterszentrums um 24 Wohnungen: 2015 lobt die Stadt Zürich dafür einen Wettbewerb aus, durch den die letzte Lücke im Block um St. Peter und Paul ausgefüllt werden sollte. Sie übertrug dazu die Parzelle am Werdgässchen 23 baurechtlich an die Stiftung St. Peter und Paul. Von den fünf eingeladenen Büros überzeugte der Entwurf von Knorr & Pürckhauer die Jury und bescher-te dem jungen Büro seinen ersten Wettbewerbssieg.
Die 2,5- bis 3-Zimmer-Wohnungen richteten sich an ältere Paare oder Einzelpersonen aus dem Quartier, die auch im höheren Alter ihre Autonomie behalten möchten. Die Pläne für das Siegerprojekt liegen also bereit – gebaut wurde es allerdings nicht. Ein Nachbar hat Rekurs eingelegt, wegen befürcheten Baustellenlärms. Das Projekt steht für den Moment still. Einen Ort der Gemeinschaft, den sich die Bewohnerinnen, die Verwaltung und Nachbarn aus dem Quartier teilen, haben die Architekten in der Zwischenzeit schon einmal gebaut.
Der Hof
Die Idee, den Hof für die die Anwohner nutzbar zu machen, kam den Architekten während der Entwicklung der Alterswohnungen und der Auseinandersetzung mit dem Bestandsbau. Darin gab es zwar zwei große Gemeinschaftsräume, jedoch im Untergeschoss und ohne Tageslicht. „Das Haus platzte aus allen Nähten“, sagt Philipp Knorr bei einem Rundgang durch den kleinen, nichtsdestoweniger großzügig wirkenden Hof: „Die Stiftung war von der Idee begeistert und unterstütze sie von Anfang an.“
Bis dato war der Innenhof mit hohen Zäunen und Hecken verbaut gewesen. Nach einigen Gesprächen waren alle Nachbarn einverstanden, ihre Anteile am Hof zugunsten einer zusammenhängenden, gemeinsamen Fläche, die bis an die Häuser heranreicht, zu verbinden.
Inspiriert von einem Biergarten, wie auf dem Gemälde „Biergarten in Brannenburg“ von Max Liebermann, vereinheitlichten die Architekten dieunterschiedlichen Oberflächen des Hofs und führen den Kiesbelag bis an die Sockel der Häuser heran. In der Mitte der Fläche steht, der Analogie folgend, das neue Hofhaus als eine Art Festzelt.
Der Gedanke, diesen Innenhof weder sich selbst zu überlassen, noch gewerblich zu nutzen, sondern aus ihm einen Ort des Vergnügens und der Gemeinschaft zu schaffen, scheint simpel, und obwohl Biergärten sich in Zürich nur spärlich finden, wirkt dieser – wenn auch bislang ohne Schankbetrieb – selbstverständlich. Bald sollen die Bewohnerinnen und Nachbarn hier Gartenfeste feiern, kochen, basteln und gärtnern. Auch das Restaurant im Erdgeschoss des Alterszentrums könnte bald seine Türen zum Hof öffnen. Der Hof ist möbliert mit losen Stühlen und Tischen sowie unterfahrbaren Pflanzenschalen aus Faserzement. Die Farben Weiß und Rot der Metalluntergestelle verweisen darauf, wer für die Bepflanzung des jeweiligen Kastens zuständig ist: der Gärtner oder die Bewohner.
Das Haus
Die Abmessungen und Form des Hofhauses ergaben sich aus den baurechtlichen Vorgaben, und die Architekten schöpften die erlaubte Fläche und Höhe komplett aus. Es steht auf drei Seiten frei, an einer Seite schließt es an einen bestehenden Bau an.
Die Struktur des Hauses ist einfach: Auf dem massiven Untergeschoss steht ein Betontisch mit vier Beinen. Darauf liegt das hölzerne Dach. Die drei gestapelten, rechteckigen Räume sind mit einer Grundfläche von etwa sechs auf zwölf Meter gleich groß. Während der Raum im Untergeschoss als multifunktionale Aula ausgestaltet ist, liegt im Erdgeschoss der eigentliche Gemeinschaftsraum mit Küche, darüber ein Büro mit zwei Besprechungszimmern für die Verwaltung.
Die drei Räume sind verbunden durch eine spiralförmige Treppe, belegt mit Terrazzo, die mit ihrer kompakte Form die Erschließungsfläche minimiert. Weiße Trittstufen wechseln sich ab mit roten Setzstufen. Sie entfalten sich wie ein bunter Fächer. Der rote Terrazzo zieht sich weiter, sowohl durch den Kirchen- als auch den Gemeinschaftsraum.
Die unterirdische Aula wird über ein halbkreisförmigen Oberlicht in der Apsis natürlich belichtet, durch einen Sternenhimmel aus Leuchtspots auch künstlich. Dunkelblaue Vorhänge fassen den Raum seitlich. Unter dem Oblicht steht ein mobiler Altar aus rot lackiertem Holz, so bleibt der Raum flexibel nutzbar. Momentan finden hier vor allem Videoübertragungen von Gottesdiensten statt, in Zukunft soll der Raum aber auch vermietet und für Lesungen und Vorträge genutzt werden. Im Geschoss darüber liegt ebenerdig der Gemeinschaftsraum. Es gibt eine Teeküche und Sitzgruppen. Die tragenden Betonstützen stehen nicht in den Ecken des Raumes, sondern mittig und eingerückt an den Seiten. Über die Schiebetüren kann der verglaste Sockel großzügig geöffnet werden.
Die akustischen Anforderungen haben die Architekten mit einer Akustikdecke gelöst, bei der sich Vierecke unterschiedlicher Körnung zu einemMuster zusammenfügen. Darin eingelassen sind dreieckige Leuchten, die eine gleichmäßige Beleuchtung des Raums ermöglichen. Bei Bedarf können weiße Vorhänge den Raum abschirmen.
Der Dachstuhl ist eine klassische, hölzerne Sparrenkonstruktion mit Kupferkleid. Unterbrochen wird die Dachkonstruktion durch große, runde Öffnungen, die nach außen drücken. Dadurch entsteht eine schwungvolle, innere Geometrie. Im Inneren des Bürogeschosses dominiert das Weiß des Gipsputzes und der lackierten Einbaumöbel aus gebürstetem Eichenholz.
Das Festzelt
Inspiriert ist das Hofhaus in seiner Erscheinung von einem Pavillon des schwedischen Architek-ten Sigurd Lewerentz sowie von einem an ein Zelt erinnernden Wach-Bau im Schlossgarten des ebenfalls schwedischen Drottningholm. Wie seine Vorbilder sollte das Hofhaus möglichst nicht zweigeschossig wirken. Das grüne Dach aus voroxidiertem Kupfer sollte die Leichtigkeit und Bewegtheit einer textilen Bekleidung ausstrahlen: Die schmalen Stege erinnern an den Faltenwurf eines Kleides, das Umfließen der runden Fenster an die Bewegung eines Vorhangs, den ein Schausteller mit zwei Händen aufzieht, um ins Publikum zu spähen. Das Rot des Saums, der Dachkanten und der kugeligen Markisen haben die Architekten von einem Streifen am Dachrand des Nachbarhauses übernommen.
Das Motiv, die Bewegung eines Textils in Architektur zu übersetzen, findet sich bereits in einem früheren Entwurf der Architekten. Den Wettbewerb für das Stadion des Zürcher Eishockey-Clubs gewannen sie noch im Wettbewerbsteam von Caruso St. John. Dort ist der Vorhang allerdings aus weißem Sichtbeton, der mit einer äußerst komplexen Matrize geschalt wurde.
Besondere Ein- und Ausblicke finden sich im Haus immer wieder. Die sonderlichen Öffnungen, wie über der Apsis, das ornamental verblendete Fenster im Treppenhaus oder die Rundfenster im Dach rahmen den Blick auf die Baumkronen, den Hof und die benachbarten Fassaden. Im Gegensatz dazu lässt der gläserne Sockel die Grenze zwischen Innenraum und Hof verschwimmen.
Der Entwurf spielt mit Assoziationen und bedient sich frei an Analogien. Mit seinem tiefen Blätterdach und und den schwingenden Linien des Hofhauses wirkt der Hof nun verträumt, fast romantisch. Der Neubau ist eine eigenartig anmutende Ergänzung. Es wirkt wie aus der Zeit gefallen, rückwärtig inspiriert und vorwärts gewandt. „Klar, man hätte auch etwas weniger Aufwändiges machen können“, sagt Philipp Knorr, „die Stiftung wollte aber weg vom klassischen Bild des Alterszentrums und suchte für sich selbst ein neues Gesicht.“
Das Resultat ist in vielerlei Hinsicht ein Gewinn: Es muntert das Quartiersleben auf, verleiht der Stiftung die gewünschte Frische und bedeutete für das Architekturbüro eine kreativ dankbare Bauaufgabe. Die Vorgaben für das Hofgebäude waren weit weniger streng, als es jene für die Alterswohnungen gewesen waren, die sich in Volumetrie und Fassade eng an den Nachbarn des Blockrands zu orientieren und strengen wirtschaftlichen Anforderungen standzuhalten hatten. Die Architekten haben die Freiheit der Bauaufgabe in Programm und Ausdruck zelebriert.
Das Hofgebäude setzte der besinnlichen Schwere und Ernsthaftigkeit von Ort und Nutzung Leichtigkeit entgegen. Es bereitet Freude beim Anschauen und es lässt auch die Freude ahnen, die in der Entwurfsarbeit stecken mag.
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