Hotel Maistra 160 in Pontresina
Gion A. Caminada demonstriert mit dem Hotel Maistra 160, dass er nicht nur den Holzbau beherrscht, sondern auch mit Beton und Naturstein zu arbeiten versteht.
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
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Die Via Maistra ist die Haupt- straße von Pontresina.
Foto: Ralph Feiner
Die Via Maistra ist die Haupt- straße von Pontresina.
Foto: Ralph Feiner
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Der Neubau mit der Hausnummer 160 fügt sich ein in die Reihe der historischen Hotels.
Foto: Ralph Feiner
Der Neubau mit der Hausnummer 160 fügt sich ein in die Reihe der historischen Hotels.
Foto: Ralph Feiner
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In der Lobby sind die großen Kronleuchter ein Blickfang, die den Weg zu Restaurant und Bar beleuchten.
Foto: Ralph Feiner
In der Lobby sind die großen Kronleuchter ein Blickfang, die den Weg zu Restaurant und Bar beleuchten.
Foto: Ralph Feiner
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Der Aufenthaltsraum im Wellnessbereich ...
Foto: Ralph Feiner
Der Aufenthaltsraum im Wellnessbereich ...
Foto: Ralph Feiner
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... grenzt direkt an den „Kreuzgang“. Auf dem Boden rosa-rötlicher Marmor aus dem Steinbruch Arzo im Tessin.
Foto: Ralph Feiner
... grenzt direkt an den „Kreuzgang“. Auf dem Boden rosa-rötlicher Marmor aus dem Steinbruch Arzo im Tessin.
Foto: Ralph Feiner
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Der weitläufige Wellness-Bereich im zweiten und dritten Untergeschoss erhellt Tageslicht (und frischen Schnee) ...
Foto: Ralph Feiner
Der weitläufige Wellness-Bereich im zweiten und dritten Untergeschoss erhellt Tageslicht (und frischen Schnee) ...
Foto: Ralph Feiner
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... durch ein kreisrundes Oberlicht.
Foto: Ralph Feiner
... durch ein kreisrundes Oberlicht.
Foto: Ralph Feiner
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Auf der Hangseite, nach Südwesten hin, ...
Foto: Ralph Feiner
Auf der Hangseite, nach Südwesten hin, ...
Foto: Ralph Feiner
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... ist dem Eingangsgeschoss eine steinerne Terrasse vorgelagert.
Foto: Ralph Feiner
... ist dem Eingangsgeschoss eine steinerne Terrasse vorgelagert.
Foto: Ralph Feiner
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In den Gästezimmern dominieren helle Farben, Holzböden und Wandverkleidungen – und der Blick auf die Berge.
Foto: Ralph Feiner
In den Gästezimmern dominieren helle Farben, Holzböden und Wandverkleidungen – und der Blick auf die Berge.
Foto: Ralph Feiner
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Das Restaurant orientiert sich zur Hauptstraße und steht nicht nur den Hotelgästen offen – es gibt sogar Platz für Stammtische.
Foto: Ralph Feiner
Das Restaurant orientiert sich zur Hauptstraße und steht nicht nur den Hotelgästen offen – es gibt sogar Platz für Stammtische.
Foto: Ralph Feiner
... – und aus den Motiven der Grand Hotels in der Bergwelt des Fin de siècle zu schöpfen weiß.
Traumland Engadin – Sehnsuchtsort der Lichtanbeter, Wahrheitssucher, Kunstumwälzer, Spielwiese der letzten jeuness doreé. Wo sonst findet man beeindruckende Paläste, nur körperlichem Wohl, geistiger Gesundung oder schlichtem Zeitvertreib gewidmet? Deren Zeit doch unwiederbringlich abgelaufen scheint. Haben wir nicht gelernt, dass Bündner Heimatschutz die barocke Opulenz abgelöst hat? Dass heute Materialwahrheit, Elementargeometrie und Reduktion das Signum hochgeschätz-ter Schweizer Architektur ist? Und haben wir nicht im Holzbauer Gion A. Caminada einen exponierten Vertreter dieser Weltsicht liebgewonnen?
Vorsicht! Da hat in Pontresina – nach Sankt Moritz vielleicht der zweite Kristallisationsort des Engadin – Ende letzten Jahres ein Hotel eröffnet, das eine Leerstelle schließt in einer Reihe von Villen, darunter auch ein solches Grandhotel. Auch wenn kein neuer Palast, ist der Neubau mit rund 200 Betten und einer Bausumme von 35 Millionen Schweizer Franken gewiss kein Leichtgewicht. Ein Haus am Steilhang, drei Stockwerke über und fünf unter der Eingangsebene. Initiiert von Bettina und Richard Plattner, geführt von Irene und Martin Müller, geplant von Gion A. Cami-nada, der nun mit einem Haus aus Stein verblüfft – Maistra, high alpin living.
Ein Haus fürs „Bleiben auf Zeit“, so sein Auftrag. Ein Haus, das beherbergt und behagt, das unterhält und nahekommt, das wirkt und schön sein will. Ein Haus mit Räumen unterschiedlicher Atmosphäre, besser: Charakter. „Am Anfang war das Zimmer“, sagt der Architekt, erprobt in lebensgroßem Modell. Das erweitert sich zu Ferienwohnungen. Dann gibt es eine Badelandschaft um einen Kreuzgang mit Turell-Himmelsauge, Fitnessräume, „Pöstli“ (Jugendclub), Kreativbereich für Kinder, Bibliothek, Lounge, Zirben-Stube. Zentral ist die vier Meter hohe Halle des Erdgeschosses, mit fließendem Übergang der Lobby zu Rezeption, Bar und Speisesaal. Mit seinen großen Fenstern und Kristallleuchtern fühlt man sich da wie auf einem Dampfer, der Kurs auf die Berge nimmt und ablegt von der Hauptstraße, wo vor dem mittigen Eingang ein cour d’honneur eingeräumt wird, dem rückwärtig eine mediterrane Piazza über dem Talgrund entspricht.
Ein Raumgefüge, das „Hotel“ neu definiert. Neu und doch nicht – Caminada spricht vom Weiterbauen im Fast-Gleichen. Er weiß mit Heideg-ger: Räume „empfangen ihr Wesen aus Orten“, und Orte versammeln: Menschen, Landschaft, Wege, Geschichten, Ein- und Ausblicke. Pontresina mit seiner alten Pracht ist so ein Ort; ein komplexes Gewebe, das Caminada die para-doxe Übung erlaubt, ganz nah dran zu bleiben und doch weit auszuholen. Er baut aus dem Ort, für Fremde, die hierherkommen, doch wieder für den Ort – das Restaurant, die Bar sind zugänglich für alle. Autonomie und Kontext, Bleiben und verrinnende Zeit: zwiespältig, paradox und doch möglich – vielschichtig gewiss, monokausal kaum.
So zeigt es sich – das Haus aus Stein. Pfeiler aus massivem Naturstein, stereometrisch gefügt; graugrüner Bodio Nero, tragend, betonte Blöcke, stockwerksweise sich verjüngend. Die eng und regelmäßig gestellten Pfeiler im Erdgeschoss vor der Holz-Glas-Fassade bilden mit der Betondecke einen „Tisch“, auf dem drei Geschosse Gästezimmer ruhen. Oben zeigen die Pfeiler die Gliederung der Räume. Diese öffnen sich stirnseitig mit Balkon und „Stuvetta“ (Erker), sind dagegen längsseitig geschlossen. Die Wände sind hell eingefärbte Betonfertigteile. Ein Gesims bildet den oberen Abschluss mit betontem Stoß der Fertigteile. Gegliederte Ansicht, die auf die Nachbarvillen anspielt.
Stein ist das Material der Fassade; die Struktur zeigt die strenge Tektonik des Holzbaus. Da-zu kommen schräg gestellte Wandscheiben, die sich überlagern und mit großen Bolzen fixiert sind. Holzschindeln fallen einem ein oder Cami-nadas Verwaltungsgebäude des Museums Ballenberg, wo geschuppte Bretter mit „Nägeln“ den Holzbau umhüllen. Ein schönes Beispiel für die Lehre vom Stoffwechsel, mit der Semper Baukunst gegen die „wahre“ Form verteidigte. Das Spiel der Pfeiler und Brüstungen der Balkone mit den schrägen Wänden bringt die Vielfalt des Baustoffs dieser Fassade zum Tanzen.
Die Gegenwart des Stofflichen
Dass Caminada mit dem Stein Erwartungen unterläuft, ist das eine; wie er Akzente setzt, das andere. Dominant ist der Baustoff Beton – in einer Fülle von Ausführungen: gestampft, in Betoplan oder Schaltafeln gegossen, abgerieben, hell oder grün eingefärbt, sandgestrahlt. Es gibt – nicht nur im Hang – regelrechte Betongrotten. In der zentralen Halle tritt er in einen Dialog mit dem grünlichen Bodio Nero. Dazu kommen die Natursteine heller Cresciano, lebhafter Arzo Tessin. Der helle Terrazzo der Halle brilliert durch Jadeeinschlüsse. Natursteinpigmente differenzieren die Kalkputze andernorts.
Die Härte des Steins ist vielfach kontrastiert durch Stoff – fein bearbeitet durch Textilkünst-ler, dezent bei den Decken der Halle, kräftig blau in der Zirbenstube. Ums Holz kommt man nicht herum; die privaten Zimmer haben Böden, Wandverkleidungen, Fenster, einige Möbel aus Zirbe; so ist auch das Kaminzimmer neben dem Speisesaal ausgekleidet. In der Halle sind Wandverkleidung und Fassade aus Eiche, Tische und Sondermöbel aus Nussbaum. Holz dominiert bei beweglichen Möbeln von erstklassigen Herstellern mit Schwerpunkt Skandinavien und Italien. Herausragender Blickfang in der Halle: die enormen Kronleuchter, zu gestuften Kränzen gereihte Kristallglas-Zylinder, im Zentrum eng und dicht, im Speisebereich weit ausladend. Und dann gibt’s noch Urushi, Deckengemälde...
Erlesen ist das gewiss, etwa die regionale Herkunft des Steins, die Verarbeitung durch lokale Betriebe: Sorgfalt und Raffinesse allenthalben. Und doch: Der Kult des perfekten Architektendetails spielt keine Rolle – hier weiß einer, wozu eine Leiste taugt, und zwischen feinen Stoffen begegnet dem Betrachter auch mal ruppiger Beton. Solche Robustheit bezeugt die Souveränität des Baumeisters aus den Bergen.
Eine Gegenwelt zum Alltag ist dieses Haus – vom heimeligen Zimmer ausgehend, lädt es ein zum Szenenwechsel charakteristischer Räume – als sei man Teil eines Spiels. Polychromie vertreibt monochrome Langeweile. Das Grandhotel des Fin de siècle klingt an, die leicht muffige Opulenz dort wird ausgetrieben durch die Fülle klarer Kompositionen hier. Theater bleibt es – Weiterbauen am Fast-Gleichen, Stoffwechsel, Spiel als Grund der Baukunst. „Jedes Kunstschaffen einerseits, jeder Kunstgenuss andererseits setzt eine gewisse Faschingslaune voraus“, hat Semper festgestellt, und sein „Karnevalskerzendunst“ zieht durch dieses Haus.
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