Leerstands-Potenzial in zwei fränkischen Gemeinden
Den Bestand nutzen und die Zersiedlung stoppen: Mit Umbauprojekten und Machbarkeitsstudien arbeiten Schlicht Lamprecht Architekten an der Zukunft ländlicher Ortszentren.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Leerstands-Potenzial in zwei fränkischen Gemeinden
Den Bestand nutzen und die Zersiedlung stoppen: Mit Umbauprojekten und Machbarkeitsstudien arbeiten Schlicht Lamprecht Architekten an der Zukunft ländlicher Ortszentren.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Die Belebung des ländlichen Raums war auch im letzten Bundestagswahlkampf ein oft gehörtes Versprechen. Dessen Umsetzung ist jedoch weder eine Selbstverständlichkeit noch ein Selbstläufer. Dabei liegt in dem vielen Leerstand der Kleinstädte und Dörfer des Landes tatsächlich das Potenzial für eine breite Re-Use Offensive.
Stefan Schlicht von Schlicht Lamprecht Architekten begegnet den verborgenen Altbau-Schätzen bei seiner täglichen Arbeit. Kerngeschäft des Schweinfurter Büros ist die Überarbeitung – oder gar Herstellung – von Ortszentren. Voraussetzung dafür ist der Wille zur Veränderung seitens der Gemeinde: „Es braucht vor allem einen für Ideen offenen Stadtrat und einen engagierten Bürgermeister oder eine engagierte Bürgermeisterin“, sagt Schlicht. Sein Büro arbeitet an der Schnittstelle von Architektur und Stadtplanung, erstellt Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzepte (ISEK), Machbarkeitsstudien und Kommunale Denkmalkonzepte. Diese offenen, teils städtebaulichen Instrumente bieten die Möglichkeit, einem Ort neue Chancen aufzuzeigen. „Manche Kommunen sehe nur noch ihre Defizite, nicht ihre Stärken“, sagt Schlicht.
Für Machbarkeitsstudien besucht sein Team die Gemeinden, spricht mit den Verantwortlichen und kartiert den Ort in Bezug auf Bevölkerung, Bebauung, Grünflächen, Dienstleistungen und Gewerbe. Es folgen Workshops mit den Bürgern, denn diese bringen wesentliche Wünsche, Ideen und Kompetenzen ein. Ohne eine solche ausführliche Vorplanung verstolpern sich Gemeinden schnell: Sie setzen den zweiten Schritt vor dem ersten und verlieren sich in die Verlockungen eines Neubaus, dessen Funktion am Ende womöglich kaum nachgefragt wird. Auch ist seitens der Planungsbüros oft eine begleitende Beratung der Kommune über Jahre nötig, sonst können erste Initiativen wieder im Sand verlaufen.
In Niederwerrn, einem Vorort von Schweinfurt, ging dem Planungsprozess ein Grundstückserwerb- und tausch voraus. Erst der Kauf und Verkauf privater und öffentlicher Parzellen ermöglichte es der Gemeinde, an zentraler Stelle ein Wohnhaus und eine Scheune umzubauen und sie mit einer Schule, Turnhalle und Bücherei zur neuen Ortsmitte zu verbinden. Ergänzend ist der Neubau eines Bürgerzentrums geplant. Für dessen Konstruktionsbauteile wird Recyclingbeton einer abgebrochenen Autobahnbrücke nahe Würzburg verwendet; das Obergeschoss soll als Holzbau ausgeführt werden. Die Scheune wird saniert und im Zeichen der Energiewende mit Photovoltaik, Pelletheizung und Wärmepumpe als öffentliche „Energiescheune“ ausgestattet. Im alten Bauernhaus sind Ausstellungsräume vorgesehen, die die Privatsammlung eines Ortsbewohners mit Objekten der Konsumwelt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zeigen.
Auch in der unterfränkischen Kleinstadt Mainbernheim soll der Umbau eines alten Gehöfts dem Ort auf ihn zugeschnittene Nutzungen bringen. Neben bewährten Funktionen wie einem Café, Ausstellungsräumen, dem Stadtarchiv und einer Bücherei, soll der Umbau auch Gewerbetreibenden die Möglichkeit bieten, in einem alten Anbau offene Werkstätten durchzuführen: für Einblicke in die Prozesse des Bierbrauens und der Weinherstellung oder für das Ausprobieren einer historischen Etiketten-Druckmaschine. Ortsansässige Firmen erhalten dadurch zusätzliche Präsentations- und Vertriebsflächen inmitten der Kleinstadt.
Schlicht lenkt den Blick der Gemeinden bevorzugt auf leerstehende Häuser, auch wenn die Altbauten aufgrund ihres schlechten Zustands oft Berührungsängste hervorrufen. Was zur allgemeinen Beruhigung beiträgt, sind seriöse Kostenschätzungen, basierend auf den Voruntersuchungen eines Statikers, Vermessers oder Restaurators. Bei einem Gehöft wie in Mainbernheim sei es für die weitere Planung unerlässlich zu wissen, hält jene Stütze und dieser Balken oder müssen sie erneuert werden? Einige Planungsbüros geben nur grobe Schätzungen ab – und am Ende entstehen überraschend Mehrkosten, die dann die Gemeinde öffentlich rechtfertigen muss. Solide Zahlen überzeugen dagegen auch Fördergeber. In Bayern trägt das Land in besonders förderungswürdigen Fällen bis zu 80 Prozent der Gesamtkosten.
All das dauert. Und dass es dauert, muss die Kommune allen Beteiligten ehrlich vermitteln. Die Bürgermeisterin von Niederwerrn, wo die neue Ortsmitte nach dem Grundstückstausch nun in die Realisierung geht, drückte es gegenüber ihrer Gemeinde so aus: Wer einen hohen Turm bauen will, muss eben lange am Fundament arbeiten.
0 Kommentare