Landratsamt in Neustadt an der Waldnaab Bruno Fioretti Marquez
Bruno Fioretti Marquez haben das Landratsamt in Neustadt an der Waldnaab erweitert – mit einem Gebäude, das nicht nur die unterschiedlichen stadtgeschichtlichen und topographischen Bezüge fortschreibt, sondern auch räumliche Überraschungen für die Besucher bereithält.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Die Altstadt von Neustadt hoch über der Mündung der Floß in die Waldnaab. Rechts der Erweiterungsbau für das Landratsamt von Bruno Fioretti Marquez
Foto: Frieder Salms
Die Altstadt von Neustadt hoch über der Mündung der Floß in die Waldnaab. Rechts der Erweiterungsbau für das Landratsamt von Bruno Fioretti Marquez
Foto: Frieder Salms
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Eine massive Schale aus Ortbeton nach außen, ein filigranes Holzskelett nach innen: Wer von Osten nach Neustadt kommt, kann die tatsächliche Dimension des Landratsamts und seinen konzeptionellen Aufbau nicht sogleich ahnen.
Foto: Stefan Müller
Eine massive Schale aus Ortbeton nach außen, ein filigranes Holzskelett nach innen: Wer von Osten nach Neustadt kommt, kann die tatsächliche Dimension des Landratsamts und seinen konzeptionellen Aufbau nicht sogleich ahnen.
Foto: Stefan Müller
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Ein hochrechteckiges Fenster schafft Sichtbeziehung ...
Foto: Stefan Müller
Ein hochrechteckiges Fenster schafft Sichtbeziehung ...
Foto: Stefan Müller
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... zwischen dem schluchtartigen Treppenhaus und dem Eingangsbereich.
Foto: Stefan Müller
... zwischen dem schluchtartigen Treppenhaus und dem Eingangsbereich.
Foto: Stefan Müller
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Der einhüftige Grundriss erlaubt großzügige ...
Foto: Stefan Müller
Der einhüftige Grundriss erlaubt großzügige ...
Foto: Stefan Müller
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... Öffnungen in die Umgebung.
Foto: Stefan Müller
... Öffnungen in die Umgebung.
Foto: Stefan Müller
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Das Foyer reicht über die ganze Tiefe des Grundrisses und verbindet Hof- und Straßenseite.
Foto: Stefan Müller
Das Foyer reicht über die ganze Tiefe des Grundrisses und verbindet Hof- und Straßenseite.
Foto: Stefan Müller
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In den Innenecken des Gebäudes sind die Besprechungsräume angeordnet.
Foto: Stefan Müller
In den Innenecken des Gebäudes sind die Besprechungsräume angeordnet.
Foto: Stefan Müller
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Die feingliedrige Holzfassade zum Innenhof erinnert an bundesdeutsche Verwaltungsbauten der fünfziger Jahre.
Foto: Stefan Müller
Die feingliedrige Holzfassade zum Innenhof erinnert an bundesdeutsche Verwaltungsbauten der fünfziger Jahre.
Foto: Stefan Müller
Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Neustadt an der Waldnaab fährt, sollte Zeit haben. Nach Nürnberg kommt man ja noch gut, mit dem ICE, von dort aber heißt es, sein Schicksal einem Dieseltriebwagen anzuvertrauen, der über die Fränkische Alb in die Oberpfalz zuckelt und unterwegs geteilt wird: Die vordere Hälfte setzt ab Neukirchen die Fahrt fort in Richtung Weiden, die hintere gen Regensburg. Achtzig Minuten dau-ert die Reise laut Fahrplan, Neustadt ist Endstation. Die eingleisige, nicht elektrifizierte Strecke endet dort vor einem Prellbock, dahinter setzt eine Asphaltdecke die Trasse als Radweg fort. An diesem Tag Ende Januar aber dauert die Fahrt geschlagene zwei Stunden: „Aufgrund von Verzögerungen im Betriebsablauf“ beginnt die Fahrt schon mit 15 Minuten Verspätung in Nürnberg, weitere 25 Minuten steht der Zug vor Vilseck auf freier Strecke, bis eine Signalstörung behoben ist.
Jahrzehntelang kam zur bescheidenen Verkehrsanbindung mit der europäischen Teilung noch eine weitere Bürde hinzu, die die Entwicklung der 5700 Einwohner kleinen Stadt behindert hat; etliche renovierungsbedürftige Häuser am Stadtplatz im historischen Zentrum, das auf einem Hügelrücken über der Mündung der Floß
in die Waldnaab thront, künden noch heute davon. Doch seit kein „Eiserner Vorhang“ mehr das nahe Tschechien abriegelt, steht der Ort nicht mehr im Abseits des Geschehens; der Niedergang der Glasindustrie konnte zwar nicht ungeschehen gemacht werden, doch sind Unternehmen aus anderen Branchen erblüht, zum Beispiel aus der Automobilzuliefererindustrie, so dass heute quasi Vollbeschäftigung herrscht. Auf der Bundesstraße 15, die über den Stadtplatz längs durch die Altstadt führt, herrscht reger Verkehr.
Auch für den Berliner Architekten Piero Bruno, Büropartner von Donatella Fioretti und José Gutierrez Marquez, die die Erweiterung des Neustädter Landratsamts geplant haben, war die vermeintlich etwas abgeschiedene Lage kein Problem; von München, wo er lehrt, lag die Baustelle sozusagen auf dem Heimweg. Und ein Auftrag in einem Ort wie Neustadt hat auch angenehme Seiten: Entscheidungswege sind kurz, die Zahl der Beteiligten ist überschaubar, die Ansprechpartner sind untereinander bekannt, Zusagen verbindlich, und eigene Probleme werden nicht auf das Projekt projeziert. Die Unterstützung für die Architekten war jedenfalls die ganze Realisierung hindurch spürbar: „Wenn wir immer solche Bauherren hätten, wäre alles gut“, so Bauleiter Anton Zenk.
Bruno Fioretti Marquez hatten sich Anfang 2016 in einem nicht offenen Realisierungswettbewerb mit 19 Teilnehmern für den Erweiterungsbau des Landratsamts qualifiziert. Das Amt ist in einem historischen Gebäude untergebracht, dem Neuen Schloss der böhmischen Adelsfamilie von Lobkowitz, das, ab 1684 vom Tessiner Baumeister Antonio Porta direkt neben dem knapp 200 Jahre älteren Alten Schloss gebaut, den Stadtplatz nach Osten abschließt, gegenüber von Rathaus und Kirche auf der Westseite.
Was man vom Platz nicht ahnt: Es ist ein Fragment, nur ein Flügel einer geplanten H-förmigen Anlage. Insofern ist die Erweiterung nach Osten hin im Neuen Schloss quasi angelegt, und tatsächlich hat der Neubau von Bruno Fioretti Marquez einen Vorgänger, erbaut 1972, der allerdings räumlich wie technisch den Ansprüchen nicht mehr genügte: Der Ersatzneubau war der Gegenstand des Verfahrens. Sieben unterschiedliche Ämter nutzen das Gebäude, von denen Sozialamt und Zulassungsstelle die höchste Besucherfrequenz mit sich bringen.
Den besten Blick auf den Anbau hat man von der in die Stadt hineinführenden Knorrstraße aus. Hier wird deutlich, wie der Anbau die Sockelhöhe des Neuen Schlosses aufnimmt mit seiner Sichtbetonfassade, die den einstigen Lauf der Stadtmauer nachzeichnet, aber auch an die später hier angeordneten Wirtschaftsgebäude des Schlosses erinnert – die Überarbeitung dieser Ansichten, weg von der gleichmäßigen Lochfassade des Wettbewerbsentwurfs, hin zu wenigen, großen Öffnungen, verstärkt diesen „Mauercharakter“ noch. Das Schloss bleibt durch die niedrige Höhe des Anbaus sichtbar, empfängt die Ankommenden.
Erst, wenn man vor dem Neubau nach links abbiegt, entwickelt sich die vermeintliche Betonmauer zu einem Gebäude: Die Straße Am Hohlweg führt so steil nach unten, dass der Anbau an der nächsten Ecke schon drei Geschosse zählt; die Betonwand öffnet sich hier mit großen, querformatigen Holzfenstern. Das Konzept der Erweiterung erschließt sich aber erst zur Gänze, wenn man den schmalen Durchgang zwischen Schloss und Neubau benutzt, um den Weg zurück zum Stadtplatz abzukürzen: Plötzlich öffnet sich ein weiter Hof, der noch ein Geschoss tiefer reicht und mit seinen Terrassen an ein Amphiteater erinnert – tatsächlich wurde er im vergangenen Sommer schon für Konzerte genutzt. Zu diesem Hof hin orientieren sich die einhundert Einzel- oder Doppelbüros, die im Grunde der einzige Bestandteil des Raumprogramms waren, mit einer streng gerasterten, sehr feingliedrigen Fassade aus Lerchenholz, die an die Eleganz von Bürohausfassaden der fünfziger Jahre denken lässt. Ein ebenso starker wie überraschender Kontrast zur massiven, maßstäblich ganz anderen Außenseite, der sich auch konstruktiv abbildet: Hinter die 60 Zentimeter dicke „Stadtmauer“ aus Ortbeton ist eine Holzverbundkonstruktion gesetzt, die sich nach außen mit ihren auf der Mauer aufliegenden Dachsparren abzeichnet. Der einhüftige Grundriss ist stützenfrei, die Trennwände der Büros stehen auf dem Estrich und sind grundsätzlich entfernbar, so dass die Raumaufteilung flexibel ist.
Außer dem Hof hält das Gebäude aber noch eine weitere räumliche Überraschung bereit: die „Stadtmauer“ ist auf der Ostseite als raumhaltige Schale ausgebildet, in der nicht nur sämtliche Nebenräume Platz gefunden haben, sondern auch eine lange, einläufige Treppe – und spätestens hier könnten den Besucher Zweifel überkommen, ob er sich tatsächlich im neuen Landratsamt oder in einem sakralen oder musealen Rahmen befindet, so pure Architektur ist dieser 14 Meter hohe, sich mit einem Oberlicht gen Himmel öffnende Treppenraum; ein Werk, das den Besucher der alltäglichen Erledigungen enthebt und in eine andere Sphäre versetzt. Die Meisterschaft der Architekten, die sich hier zeigt, wird noch besser wahrnehmbar werden, sobald das Projekt vollständig umgesetzt ist. Bruno Fioretti Marquez beließen es nämlich nicht bei dem Anbau, sondern schlugen vor, mit dessen Anbindung ans Neue Schloss auch die dortige Erschließungssituation zu bereinigen, die an die zentrale Durchfahrt grenzenden Erschließungsflure des Barockbaus wieder zu öffnen und so eine Art Rundgang zu schaffen, der das eindrucksvolle Treppenhaus in der „Stadtmauer“ in Dialog treten lässt mit der Architektur Antonio Portas: ein Dialog über die Epochen hinweg, der sich nicht in einem schlichtem Kontrast erschöpft.
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