Marina One in Singapur
Die Downtown von Singapur wurde um ein Milliarden-Projekt erweitert – ein Großkomplex mit 1042 Wohnungen, 220.000 Quadratmeter Bürofläche und einem Fleckchen Dschungel. Den Entwurf lieferte das deutsche Büro Ingenhoven Architects.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
-
Vorne die Wohntürme mit überdachten Poolanlagen. Hinten die Bürotürme mit der größten zusammenhängenden Bürofläche Asiens.
Foto: HG Esch
Vorne die Wohntürme mit überdachten Poolanlagen. Hinten die Bürotürme mit der größten zusammenhängenden Bürofläche Asiens.
Foto: HG Esch
-
Sonnenschutz als Gestaltungselement
Foto: HG Esch
Sonnenschutz als Gestaltungselement
Foto: HG Esch
-
Die 1,20 bis 2,00 Meter breiten Lamellen ziehen sich auf einer Gesamtlänge von 35.000 Metern durch den Innenhof.
Foto: HG Esch
Die 1,20 bis 2,00 Meter breiten Lamellen ziehen sich auf einer Gesamtlänge von 35.000 Metern durch den Innenhof.
Foto: HG Esch
-
-
Im Gartenbereich des Erdgeschosses, im „Green Heart“, befindet sich ein Großteil der insgesamt 37.000 Quadratmeter Grünfläche.
Foto: HG Esch
Im Gartenbereich des Erdgeschosses, im „Green Heart“, befindet sich ein Großteil der insgesamt 37.000 Quadratmeter Grünfläche.
Foto: HG Esch
-
Foyer im 2. Obergeschoss eines Büroturms mit Blick zu den gegenüberliegenden Wohnhochhäusern.
Foto: HG Esch
Foyer im 2. Obergeschoss eines Büroturms mit Blick zu den gegenüberliegenden Wohnhochhäusern.
Foto: HG Esch
-
Naturbeherrschung mit Nachhaltigkeitsanspruch: die Küste von Singapur. Blick von den Bürotürmen über die Parkanlage Gardens by the Bay.
Foto: HG Esch
Naturbeherrschung mit Nachhaltigkeitsanspruch: die Küste von Singapur. Blick von den Bürotürmen über die Parkanlage Gardens by the Bay.
Foto: HG Esch
-
Fassade zur Stadtseite
Foto: HG Esch
Fassade zur Stadtseite
Foto: HG Esch
-
Foyer im 2. Obergeschoss
Foto: HG Esch
Foyer im 2. Obergeschoss
Foto: HG Esch
-
Vor den Wohntürmen von Marina One soll ein Park entstehen.
Foto: HG Esch
Vor den Wohntürmen von Marina One soll ein Park entstehen.
Foto: HG Esch
Die Geburt der modernen Stadt Singapur muss eine schwierige gewesen sein. Nicht nur, weil auf der Tropeninsel die Temperaturen selten unter 28 Grad fallen oder weil das rechtwinklige Straßenraster, das die Briten in den Wildwuchs schlugen ließen, so wenig zu dem Ort passte wie zu jeder anderen Stadtneugründung der Kolonialzeit. Sondern auch, weil diese Lichtung im Dschungel stets ein Ort der Freiheit war, ein Ort des Handels und der Zuflucht, des Opiumkonsums und des Glücksspiels. Der Prozess, dieses lebendige Fischerdorf einer britischen Regelfreudigkeit inklusive Linksverkehr zu unterwerfen, wird seine Anstrengungen gefordert haben – und wurde doch mit Erfolg gekrönt. Heute ist Singapur bekannt für die strengsten Gesetze und Kaugummi freiesten Straßen der Welt. Hochhäuser funkeln als Sinnbild menschlicher Naturbeherrschung an der Südspitze des Inselstaates und die gleichbleibend klimatisierte Raumtemperatur erinnert frappierend an das Wetter einer nordenglischen Schafswiese.
Schatten, Schatten, Schatten
Warum die Singapurer die Sonne meiden und die Hitze verachten, wird jedem Landesgast klar, sobald er sich zur Mittagszeit in die Downtown begibt. Hemden tragende Angestellte drängen sich unter Hochhausvordächern und Kolonadengängen, als müssten sie sich für ihre Finanzgeschäfte einen kühlen Kopf bewahren. Die erhitzte Luft mischt sich mit dem Dampf scharfer und süßlicher Gewürze zu einem nebulösen Brei, den man zwar nicht sieht, aber dennoch meint, mit seinen Händen zur Seite schieben zu müssen. Wer sich aus Angst vor einer 500 Dollar Strafe an einer roten Fußgängerampel von der Sonne durchgaren lässt, kann bei der nächsten Kreuzung sein Hemd wechseln – oder sich zu einer der vielen Fruchtbars retten wie zu einer erlösenden Oase.
Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass das jüngste Neubauprojekt, das Mitte Januar südwestlich der Downtown auf dem Marina-Bay-Areal eröffnet wurde, vor allem auf das Klima reagiert. Marina One von Ingenhoven Architects bildet einen der ersten Bausteine eines Neubaugebietes zwischen der Parkanlage Gardens by the Bay und dem Schiffshafen der Stadt. Das flache Gelände mit noch jungfräulich grünen Bauparzellen ist das Ergebnis einer großen Landaufschüttung – die einzige Möglichkeit für den dichten Stadtstaat zu wachsen.
Wer bei Singapur an eine Architektur für Neureiche mit Cocktail-und-Yacht-Feeling denkt, an Marina Bay Sands, dem Resort mit einer auf Hoteltürmen liegenden Poolplattform, der wird beim ersten Blick auf Marina One beruhigt feststellen, wie wenig der Büro- und Wohnkomplex nach Außen um Aufmerksamkeit buhlt, trotz seiner Maße von 200 mal 200 Metern. Die Glasfassade des Neubaus lässt sich von den benachbarten Hochhäusern kaum unterscheiden. Erst beimAnnähern gibt sich der Komplex als ein blockartiges Gebäude zu erkennen, das sogleich wieder in zwei Bürotürme auf der Stadt- und zwei Wohntürme auf der Wasserseite zerfällt. Die oberen Geschosse der Bürotürme werden durch eine Gebäudebrücke verbunden. Als schnüre es den Komplex zusätzlich zusammen, lässt sich zwischen den Türmen ein Netz aus Sonnenschutzlamellen erahnen, das in einer kraterartigen Hofanlage seine Kreise zieht. Hinter der Glasfassade schimmern Betonstützen, die sich in den unteren Geschossen vollständig zu erkennen geben – ein für Singapur ungewöhnlich nackter Anblick. Im Gegensatz zur klaren Fassadenstruktur der Bürotürme springen die Balkone der Wohntürme in einem undurchschaubaren Rhythmus. Unruhig bleibt auch ihr Abschluss, bei dem Überdachungen wie unterschiedlich hohe Zinnen in den Himmel ragen und den Bewohnern der Penthouses einen Schatten über Pool und Dachgarten bieten sollen.
Domestizierte Oase
Die Stärke von Marina One, so lässt sich das Versprechen der Projektunterzeile „Green Heart“ lesen, verbirgt sich im Innern, im „grünen Herzen“. 125 Prozent der Grundfläche des Gebäudes, insgesamt 37.000 Quadratmeter, und 350 Pflanzensorten, haben die Architekten als Grünfläche wieder integrieren können – das Fünffache der in Singapur gültigen Vorgabe für Neubauten. Der kleinere Teil davon wurde mit Bepflanzungen auf den Balkonen und Zwischenebenen erfüllt, der größere soll in den unteren Geschossen wachsen, als erobere sich der Dschungel ein Stückchen Land zurück.
Wer die Grünanlage betritt, hat jedoch keinen Tiger zu befürchten, noch steht man vor einem Dickicht, das die Orientierung raubt. Vielmehr kann bei dem Grün von einem kontrollierten Wildwuchs die Rede sein – wenn Bäume, Palmen und Kletterpflanzen noch ein halbes Jahr gewachsen sind. Die Wege bleiben brav frei von Geäst und verbinden zielgerecht Geschäfte und Eingänge in den Erdgeschossen. Dennoch wird es erwartungsgemäß kühler, schreitet man durch die Botanik und setzt sich neben einen der plätschernden Wasserfälle. Angenehm ist auch der Windzug, der zwischen den Türmen weht. Alleine hiermit ist für die im Hitzeinsel-Effekt schwitzende Downtown viel gewonnen. Für einen Innenhof ungewöhnlich ist auch die konkave Aushöhlung der Bürotürme. Die Form, bei der die oberen Geschosse der Bürotrakte großflächiger werden, ergibt sich aus der Windlenkung und der Verlagerung der Fläche aus den für den öffentlichen Grünraum benötigten Geschossen in den Kopfbereich. Hinzu kommt der Vorteil, die unteren Geschosse durch die oberen verschatten zu können. Singapur liegt am Äquator: Sonnenstrahlen knallen das gesamte Jahr fast senkrecht auf die Erde. Verstärkt wird die dynamische Form der Hofanlage aber vor allem durch die perforierten, bis zu zwei Meter breiten Sonnenschutzlamellen aus Aluminium-Streckmetall. Sie kragen in den unteren Geschossen weit ins Innere, um auch den Wegen und Außenflächen Schatten zu spenden. Es ist gerade dieses funktionale Element, durch das der Hof erst seine charakteristische, schwingende Struktur erhält.
Ein Milliarden- und Zwei-Staaten-Projekt
Wie kommt ein Düsseldorfer Büro an ein solches Milliarden-Projekt in Fernost? Ingenhoven Architects hatten bereits ein Projekt in Singapur realisiert, gemeinsam mit dem ortsansässigen Büro architects61. Über architects61 lernte Christoph Ingenhoven den Vorsitzenden einer großen staatlichen Entwicklungsgesellschaft Singapurs kennen, der eine Vorliebe für deutsche Architektur und nachhaltiges Bauen zeigte. Regelmäßig flog Ingenhoven nach Singapur, zur Kontaktpflege, für Baustellenbesichtigungen und gemeinsame Abendessen. Sein Büro, das eine Niederlassung in Singapur hat, erhielt schließlich Anfragen zur Beteiligung an zwei Projekten. Aus dem ersten wurde nichts; beim zweiten, Marina One, klappte es: Sie wurden zu einem Wettbewerb geladen und gewannen.
Als Bauherr fungierte eine Kooperation der singapurischen und einer malaysischen staatlichen Entwicklungsgesellschaft. Seit sich Singapur 1965 von Malaysia unabhängig erklärte, befinden sich beide Staaten in einem Abhängigkeitsverhältnis. Singapur ist auf Arbeitskräfte, Wasser und Rohstoffe aus Malaysia angewiesen; Malaysia will über Investitionen vom Boom des Nachbarlandes profitieren. Zur Eröffnung von Marina One drückten sich die beiden Staatschefs feierlich die Hände. Nicht zuletzt versprechen die 220.000 Quadratmeter Bürofläche (einer der Mieter wird Facebook) und die Wohnungen mit Weitblick eine gute Rendite.
Auf die Arbeit der Architekten hatte die Länderübergreifende Kooperation keinen besonderen Einfluss, da der Bauherr mit einer Stimme sprach. Doch auch dieser brauchte bei manchen Vorstellungen des deutschen Büros – bei den unverputzten Betonstützen oder der dominanten Struktur der Lamellen – Überzeugungsarbeit, berichtet Projektleiter Olaf Kluge. Dazu mussten die Planer nicht wenige Vorgaben der Urban Redevelopment Authority berücksichtigen. Eine davon, das Baugrundstück durch eine Kreuzung in vier Blocks zu teilen, mündete in der Vierteilung des Komplexes, der nun in vier Richtungen durchquert werden kann. Die entstandene Blockrandbebauung mit Innenhof – eine übergroße Version des europäischen Gründerzeitbaus – feiern Bauherr und Architekten als klimagerechte Antwort auf die wachsenden Metropolen Asiens. Auch wenn die Innenräume weiterhin klimatisiert werden, mindern die Lamellen, die Grünflächen und die Mischung des Komplexes den ökologischen Fußabdruck, ohne ihn freilich ausgleichen zu können.
Dass die Angestellten und Bewohner daran erinnert werden, sich trotz ihrer entfremdeten Büro- und Wohnwelt noch immer in den Tropen zu befinden, auch dafür steht die lebendige Flora und Fauna. Bleibt zu hoffen, dass dieses Grün auch wilder wachsen darf und nicht im Ordnungsrausch doch noch auf die Höhe eines englischen Rasens zurechtgestutzt wird.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare