Böckstiegel-Museum in Werther
Im ostwestfälischen Werther wurde im Herbst 2018 ein Ausstellungsgebäude eröffnet, das sich dem Werk des heimischen Expressionisten Peter August Böckstiegel widmet. Der Bau, geplant von den Lemgoer Architekten Habermann Decker, kostete kaum drei Millionen Euro und bietet nicht viel mehr als 1100 Quadratmeter BGF. Doch manchmal ist Größe in Zahlen allein nicht gut messbar.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Ein Findling auf der Wiese war die Assoziation, die die Architekten beim Entwurf geleitet hat.
Foto: Claudia Dreyße
Ein Findling auf der Wiese war die Assoziation, die die Architekten beim Entwurf geleitet hat.
Foto: Claudia Dreyße
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Wo heute der Museumsneubau steht, postierte einst der Maler Böckstiegel seine Staffelei, mit Blick auf den elterlichen Katen.
Foto: Olaf Mahlstedt
Wo heute der Museumsneubau steht, postierte einst der Maler Böckstiegel seine Staffelei, mit Blick auf den elterlichen Katen.
Foto: Olaf Mahlstedt
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Kalksteinplatten sollten auch das Dach bedecken, wurden aus Kostengründen aber auf die Fassaden beschränkt.
Foto: Olaf Mahlstedt
Kalksteinplatten sollten auch das Dach bedecken, wurden aus Kostengründen aber auf die Fassaden beschränkt.
Foto: Olaf Mahlstedt
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Die Ortbetonwände wurden weiß gestrichen, doch sind sie dank der Abdrücke der Schaltafeln als massiv erkennbar. Stromschienen wurden einbetoniert.
Foto: Olaf Mahlstedt
Die Ortbetonwände wurden weiß gestrichen, doch sind sie dank der Abdrücke der Schaltafeln als massiv erkennbar. Stromschienen wurden einbetoniert.
Foto: Olaf Mahlstedt
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Der Cafébereich bietet Blick auf das Elternhaus Böckstiegels.
Foto: Olaf Mahlstedt
Der Cafébereich bietet Blick auf das Elternhaus Böckstiegels.
Foto: Olaf Mahlstedt
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Der Altbau ist im Rahmen von Führungen zugänglich.
Foto: Olaf Mahlstedt
Der Altbau ist im Rahmen von Führungen zugänglich.
Foto: Olaf Mahlstedt
Es sind nur zehn Kilometer vom Bielefelder Hauptbahnhof zum Böckstiegel-Museum in Werther-Arrode, dennoch ist die Anreise nicht ganz einfach. Bis zur Universität und dann immer weiter stadtauswärts auf der Wertherstraße gelangt man nach Grossdornberg. Dann heißt es rechts abbiegen Richtung Deppendorf. Von nun an geht es durch die Felder: Am Gut Wittenbach links in den Arroder Weg (tatsächlich eher ein Weg als eine Straße, aber immerhin asphaltiert), vorbei an der „Gemüselust Klingelhöfer“ und am Isingdorfer Bruch rechts, biegt man kurz danach an der Schloßstraße links ab; hinter den Bäumen rechter Hand taucht dann der „geschliffene Findling“ auf, den die Lemgoer Architekten Habermann Decker als Neubau des Museums geplant haben.
So umständlich, wie die Wegbeschreibung klingt, ist sie tatsächlich. Die Anfahrt ist auch eine passende Einstimmung auf den Besuch des Museums, denn die ostwestfälische Landschaft und das Leben der Bauern in und mit ihr war für Peter August Böckstiegel (1889–1951) sein Leben lang Thema des Schaffens als Maler und Bildhauer, obwohl er von 1913 bis 1945 in Dresden lebte und nur den Sommer über seine Staffelei in der Heimat aufbaute. Auch deshalb ist es ein Glück, dass sich der Kreis Gütersloh, der 2007, als der Sohn des Künstlers starb, den Nachlass erbte, 2014 zum Neubau des Museums entschloss, einen Wettbewerb auslobte und den 1. Preis auch realisierte, sodass das Oeuvre nun dort zu sehen ist, wo es seinen Ursprung hat, und nicht etwa in der sächsischen Landeshauptstadt, wo man ebenfalls daran interessiert war. Schließlich ist Ostwestfalen nicht eben reich an Künstlerbiographien.
Nötig war ein Neubau: Das Elternhaus, von Böckstiegels Frau Hanna noch bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 bewohnt, hatte bis dahin zwar seine Werke aufgenommen, bot aber unter konservatorischen Gesichtspunkten alles andere als optimale Bedingungen. Um die rund 1300 Arbeiten – darunter etwa 400 Gemälde, außerdem Graphiken, Mosaiken, Skulpturen und Glasfenster – auf Dauer zu erhalten und angemessen präsentieren zu können, aber auch, um den Verleihbedingungen anderer Museen zu genügen, mit denen das Böckstiegel-Museum kooperiert, bedurfte es anderer Räume.
Der künstlerische Blick Böckstiegels zurück auf seine Herkunft aus einfachsten Verhältnissen – auf seine Eltern, die ein arbeitsreiches Leben als Kleinbauern führten und immer wieder von ihm porträtiert wurden, auf Verwandte und Nachbarn, die in ähnlichen Verhältnissen lebten, aber auch auf die Landschaft, in denen sie verwurzelt waren – leitete auch die Architekten, als sie ihren Beitrag zum Wettbewerb entwarfen. Zeigt nicht eines seiner Werke den Blick über den Ackerauf den elterlichen Katen? Und ist dieser, mit seinen vom Maler vorgenommenen Atelier-Anbauten und der roten Bemalung sowie den zahlreichen Kunstwerken darin nicht selbst das größte Exponat des Museums? Habermann Decker haben ihren Neubau direkt gegenüber und mitten auf der Wiese platziert, freistehend im einstigen Feld, das heute eine Streuobstwiese ist, und mit einem großen Fenster zum Elternhaus geöffnet. Das scharfkantige Volumen mit seinen Oberflächen aus Muschelkalk mag an Formen erinnern, die dem Expressionismus wie dem Kubismus nicht fremd sind, fällt aber vor allem sogleich als ein Bau für andere Zwecke als die ringsum in die Felder gesprenkelten Wohn-, Landwirtschafts- und Kleingewerbe-Typologien ins Auge: Es mag schlicht und reduziert erscheinen, um eine gewisse Ausdruckskraft gleichwohl bemüht, folgt aber vor allem einer Raumidee mehr als dem Ablauf einer bestimmten Nutzung darin. Dies wird spätestens dann deutlich, wenn man den Ausstellungsraum betritt.
„Die Kanten der Schnittflächen waren für die Rohbauer eine Herausforderung“, bemerkt Architekt Christian Decker beim gemeinsamen Rundgang. Denn die Einstülpungen der Fassade zeichnen sich innen ab, führen zu einer Raumgestalt, deren geometrische Komplexität erst auf den zweiten Blick deutlich wird – der erste dürfte der durchaus überraschenden Höhe des Raums gelten, weil die Knicklinien der umhüllenden Flächen aufgrund des leicht dämmerigen Lichts und der weißen Bemalung der Betonwände nicht gleich ins Auge fallen. Die von den Architekten angedachte Ausführung des Inneren in Sichtbeton hätte die Wirkung der Raumform vermutlich noch verstärkt. So, wie es ist, stehen dagegen ganz die Bilder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie gruppieren sich in den vier Bereichen, in die der Raum von den beiden Wandscheiben geteilt wird, die nicht nur das Betondach tragen, sondern auch die Haustechnik aufnehmen. Das Zenitlicht, das Habermann Decker eigentlich mit einem Oberlicht einfangen wollten, wurde ebenfalls nicht realisiert, allerdings eher aus konservatorischen Gründen denn aus kuratorischen Überlegungen. Der von den Architekten geplante Ausbau in heimischer Eiche aber wurde wie geplant umgesetzt. Statt der ursprünglich eingeschossigen Anlage konnte ein Untergeschoss realisiert werden, in dem vor allem das Depot, aber auch ein Vorführraum und Nebenbereiche Platz gefunden haben: Zuwendungen aus privater Hand haben diese ebenso sinnvolle wie räumlich klärende Erweiterung möglich gemacht.
Ein gutes Jahr ist der Museumsbau nun geöffnet, und die Wirkung hat auch die Institution selbst überrascht: Statt 10.000 Besucher im Jahr wie zuvor zählte man nun schon den 40.000-sten Gast. Wer weiß, vielleicht lohnt sich irgendwann sogar eine Buslinie vom Bielefelder Hauptbahnhof zum Böckstiegel-Haus und weiter in den Nachbarort Halle; wenigstens am Nachmittag, wenn das Museum geöffnet ist.
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