Neue Fußgängerbrücke über der Moldau in Prag
Die Prager Brücken rhythmisieren den Lauf der Moldau und erinnern, aus der Ferne betrachtet, an regelmäßige Ackerfurchen. Sie sind aus dem Stadtpanorama nicht wegzudenken. Die älteste, die berühmte Karlsbrücke, stammt aus dem 14. Jahrhundert; die jüngste ist die Štvanická lávka, eine Fahrrad- und Fußgängerbrücke von Atelier Bridge Structures und Blank Architekti. Sie wurde im Sommer 2023 eröffnet.
Text: Jirkalová, Karolina, Prag
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Die 300 Meter lange Štvanická lávka-Brücke vereinfacht Radfahrerinnen und Fußgängern den Weg vom Prager Norden in den Süden und führt auf die Spitze einer Moldauinsel.
Foto: Alex Shoots Buildings
Die 300 Meter lange Štvanická lávka-Brücke vereinfacht Radfahrerinnen und Fußgängern den Weg vom Prager Norden in den Süden und führt auf die Spitze einer Moldauinsel.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Der Steg wirkt abstrakt, fast träumerisch, aus der Ferne immateriell. Wie eine bloße Visualisierung ist ein dünnes weißes Band von Ufer zu Ufer gespannt. Es fehlt nur noch ein Seiltänzer. Wo die Brücke sich auf die Insel herabsenkt, ist die Plastik eines Frauenkörpers zu erkennen.
Foto: Alex Shoots Buildings
Der Steg wirkt abstrakt, fast träumerisch, aus der Ferne immateriell. Wie eine bloße Visualisierung ist ein dünnes weißes Band von Ufer zu Ufer gespannt. Es fehlt nur noch ein Seiltänzer. Wo die Brücke sich auf die Insel herabsenkt, ist die Plastik eines Frauenkörpers zu erkennen.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Der neue Prager Steg stellt eine Direktverbindung zwischen den Stadtteilen Karlín im Süden und Holešovice im Norden her und führt auf die Insel Štvanice.
Foto: Alex Shoots Buildings
Der neue Prager Steg stellt eine Direktverbindung zwischen den Stadtteilen Karlín im Süden und Holešovice im Norden her und führt auf die Insel Štvanice.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Diese war zuvor nur über eine stark befahrene, vierspurige Straße erreichbar.
Foto: Alex Shoots Buildings
Diese war zuvor nur über eine stark befahrene, vierspurige Straße erreichbar.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Ein hydraulischer Kolbenmechanismus hebt die Brücke bei Hochwasser um bis zu drei Meter in die Höhe.
Foto: Alex Shoots Buildings
Ein hydraulischer Kolbenmechanismus hebt die Brücke bei Hochwasser um bis zu drei Meter in die Höhe.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Die Konstruktion besteht aus 57 Fertigteilen ausgebildet als H-Träger aus Stahlbeton.
Foto: Alex Shoots Buildings
Die Konstruktion besteht aus 57 Fertigteilen ausgebildet als H-Träger aus Stahlbeton.
Foto: Alex Shoots Buildings
In den letzten Jahren sorgten die Brücken in Prag für Diskussionspotenzial. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob die denkmalgeschützte Brücke Libeňský most des modernen Architekten Pavel Janák aus dem Jahr 1928 nun abgerissen, renoviert oder durch eine originalgetreue Kopie ersetzt werden solle. Kurz darauf rückte die historische Prager Eisenbahnbrücke aus Stahlbögen mit Nietverbindungen aus dem Jahr 1901 in den Fokus. In diesen Auseinandersetzungen stehen sich zwei Lager gegenüber: der Denkmalschutz, Architekturhistoriker und große Teile der Öffentlichkeit auf der einen und technokratische Vertreterinnen, die mit ökonomischen und utilitaristischen Argumenten drastische Lösungen vorschlagen, auf der anderen Seite. Auch der 2017 durchgeführte Architekturwettbewerb für eine neue Fußgängerbrücke zwischen den Prager Stadtteilen Holešovice und Karlín über die Moldauinsel Štvanice verlief alles andere als friedvoll. Der Siegerentwurf von Petr Tej und Marek Blank aus ultrahochfestem, faserverstärktem Beton wurde von konservativen Brückenbauern sofort kritisiert: Das Projekt sei technologisch und baulich allzu innovativ und nicht durchdacht. Die Jury und die Stadt Prag als Investorin ließen sich allerdings nicht beirren: die Brücke wurde in relativ kurzer Zeit realisiert.
Für die Architekten war es nicht das erste Mal, dass sie mit ultrahochfestem Beton arbeiteten. Petr Tej ist neben seiner Tätigkeit als Architekt auch im Prager Klokner-Institut der Tschechischen Technischen Hochschule (ČVUT) tätig, wo er sich mit der Erforschung von Baustoffen und Konstruktionen beschäftigt. Dies ermöglichte die Realisierung und Finanzierung einiger Bauten aus ultrahochfestem Beton, und so entwarf Tej bereits 2019 gemeinsam mit Ondřej Císler einen kleinen Steg über einen Bach im Stadtteil Vrapice in Kladno unweit von Prag.
Der Steg Štvanická lávka zeigt den bisherigen Höhepunkt von Tejs Bemühungen. Dieses Projekt ist viel anspruchsvoller als seine bisherigen. Tej und Blank nutzten die Möglichkeiten des ultrahochfesten Betons, der ermöglicht, Querschnitte der Konstruktionen zu reduzieren und freier zu arbeiten. Die Brücke besteht aus mehreren vorgefertigten Segmenten, die in ihrer Form dem kleinen Steg in Kladno ähneln und mit Spannkabeln verbunden sind. Bei Hochwasser kann die Brücke auf der Holešovicer Seite durch einen hydraulischen Kolbenmechanismus angehoben werden. Durch diese Hebevorrichtung ist der Steg auch auf dieser Uferseite vom gegenwärtigen Geländeniveau aus begehbar.
Nach der Eröffnung der Brücke sind die kritischen Stimmen verstummt, aber erst in den kommenden Jahren wird sich zeigen, wie die Konstruktion dem Zahn der Zeit und der Witterung standhält. Die dezente weiße Fußgängerbrücke wurde sowohl vom Fachpublikum als auch von der gegenüber auffälligen Neubauten oftmals kritisch eingestellten Prager Bevölkerung durchweg positiv aufgenommen. Für viele hat sich die Fortbewegung in der Stadt verbessert, die täglichen Wege sind kürzer geworden: Holešovice und Karlín liegen sich zwar gegenüber, aber um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Stadtteil in den anderen zu gelangen, muss man mehrmals umsteigen. Zu Fuß hat es vorher kaum jemand versucht. Die Štvanická lávka-Brücke führt auch auf die Insel Štvanice. Zuvor war sie nur über eine stark befahrene vierspurige Straße erreichbar, und daher trotz ihres Potenzials als Naherholungsgebiet wenig frequentiert. Mit dem Steg tat sich für die Menschen auf beiden Seiten eine neue Welt auf; der Fluss, der zuvor eine unangenehme Barriere darstellte, ist nun physisch präsent und scheint zum Greifen nah.
Der Steg öffnet sich als weich geformter Weg, ohne die Schwere und Wuchtigkeit, die wir von Betonbauten gewohnt sind. Er ist nicht nur eine praktische Verbindungsachse, sondern auch eine elegante Promenade mit Ausblicken auf den Fluss und die Stadt, wodurch die Brücke zum Ziel von Spaziergängen wird. Die Brückenenden integrieren sich behutsam in den städtebaulichen Kontext und bilden natürliche Anschlüsse an das Gelände und die Gehwege. Die abstrakt-minimalistische Brückenform wirkt keineswegs unterkühlt: Einen Ausgleich schaffen ihre sanften Kurven, die an den Verlauf des Flusses erinnern, und die handwerklichen Details. Die Enden des leicht historisierenden Bronzegeländers sind mit ornamentalen Tierköpfen verziert, entworfen von Bildhauer Aleš Hvízdala.
Am Aufgang des Stegs auf der Štvanice-Insel steht eine figurale, teilweise abstrahierte Plastik einer Frauengestalt von Jan Hendrych. Ein weiteres Werk des Prager Bildhauers befindet sich unter anderem auch an dem oben erwähnten Steg über einen Bach in Kladno-Vrapice. Der figurale Torso mit dem Namen „Fluss“ am Brückenaufgang in Prag ist auf den ersten Blick verstörend und unschön, und doch anziehend. Die Platzierung dieser von den Architekten selbst gewählten Skulptur im öffentlichen Raum ist für tschechische Verhältnisse durchaus mutig. Es ist keine schöne junge Frau, sondern eine von Alter und Müdigkeit gezeichnete Figur, die dennoch Würde ausstrahlt. Man kann sich eigentlich keine kontrastreichere Statue für den eleganten, zierlichen Steg vorstellen, und doch passen beide hervorragend zusammen. Vielleicht liegt es daran, dass sowohl die Statue als auch die Brückenteile aus ultrahochfestem Beton bestehen. Für Jan Hendrych ist die Verbindung von Statuen und Brücken ein lebenslanges Thema, unter anderem war der Bildhauer viele Jahre als Restaurator tätig, dabei sind Dutzende von „Brückenheiligen“ durch seine Hände gegangen. Auch einige seiner frei geschaffenen Plastiken haben die Form einer Bogenbrücke mit Figuren an beiden Seiten. Die Statue an der Brücke Štvanická lávka wurde allerdings – im Gegensatz zur Brücke selbst – von der Öffentlichkeit abfällig kommentiert, viele fanden sie schlicht „abscheulich“. Die Sphären des oberflächlichen Wohlgefallens zu verlassen, erfordert eine gewisse intellektuelle Anstrengung.
Die weiße Brücke verbindet zwei Ufer, die von einer dynamischen Veränderung geprägt sind: Auf der ehemaligen Insel Rohanský ostrov in Karlín und in Bubny-Zátory in Holešovice entstehen völlig neue Stadtviertel. Auch das historische Areal der Prager Markthalle, in dem sich früher ein Schlachthof befand und das am linken Moldauufer direkt gegenüber dem Steg liegt, verändert sich. Ein Stück weiter, an der U-Bahn-Station Vltavská, soll das ambitionierte Projekt der Moldau-Philharmonie nach Plänen der Bjarke Ingels Group realisiert werden. Hier stellt sich die Frage, wie sich die mit der Eröffnung der Fußgängerbrücke verbundenen steigenden Besucherzahlen und die fortschreitende Gentrifizierung der Stadtteile an beiden Ufern auf die dazwischen liegende Štvanice-Insel auswirken werden. Lange Zeit war sie ein vergessenes Fleckchen Erde mit viel Grün, ein paar Sportplätzen und -anlagen, die von Menschen aus allen sozialen Spektren genutzt werden – hier wird Tennis gespielt, Skateboard gefahren, geangelt oder der Hund ausgeführt, auch Obdachlose sind anzutreffen. In dem baufälligen funktionalistischen Gebäude des Architekten Josef Fuchs, das schon lange auf seine Rekonstruktion wartet, befindet sich der Club Fuchs 2 für elektronische und alternative Musik. Gleich neben dem Club steht die klassizistische Villa Štvanice mit Café und Veranstaltungssaal, der von mehreren kleinen Theatergruppen genutzt wird. Es wäre schade, wenn große Unternehmen dieses bunte Treiben verdrängen würden und aus diesem einzigartigen Ort für alle ein exklusives Viertel mit globalem Einheitscharakter würde.
Aus dem Tschechischen von Julia Miesenböck
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