Pont Neuf in Aarau
Die Aare trennt den alten Kern des Schweizer Städtchens Aarau im Süden von moderneren Wohngebieten im Norden. Seit Jahrhunderten verbanden schon mehrere Brücken die Viertel am Fluss. Die Pont Neuf von Christ und Gantenbein ersetzt ihre baufällige Vorgängerin.
Text: Wittmann, Franziska, Zürich
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Infrastrukturen begleiten und überqueren die Aare – heute mehr als 150 Brücken, oft ausformuliert als steinerne Bögen. Die Pont Neuf möchte als ein solches Element ein Teil der Stadt Aarau sein.
Foto: Stefano Graziani
Infrastrukturen begleiten und überqueren die Aare – heute mehr als 150 Brücken, oft ausformuliert als steinerne Bögen. Die Pont Neuf möchte als ein solches Element ein Teil der Stadt Aarau sein.
Foto: Stefano Graziani
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Das romantische Bild aus der Ferne – Bögen in einer Flusslandschaft – ergänzen näherkommend Erinnerungen an städtische, mehrbogige Steinbrücken.
Foto: Stefano Graziani
Das romantische Bild aus der Ferne – Bögen in einer Flusslandschaft – ergänzen näherkommend Erinnerungen an städtische, mehrbogige Steinbrücken.
Foto: Stefano Graziani
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Die neue Aarebrücke überspannt mit drei Bögen aus Stahlbeton den Fluss, an den Ufern kommt je ein weiterer hinzu. Die Öffnungen in den Bögen nehmen dem Raum unter der Brücke die Bedrohlichkeit.
Foto: Stefano Graziani
Die neue Aarebrücke überspannt mit drei Bögen aus Stahlbeton den Fluss, an den Ufern kommt je ein weiterer hinzu. Die Öffnungen in den Bögen nehmen dem Raum unter der Brücke die Bedrohlichkeit.
Foto: Stefano Graziani
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Pro Tag überqueren 22.000 Fahrzeuge die Segmentbogenbrücke. Hinter den Widerlagern ist eine Bewegungsfuge angeordnet, während die Pfeiler fest mit dem Brückenkörper verbunden sind.
Foto: Stefano Graziani
Pro Tag überqueren 22.000 Fahrzeuge die Segmentbogenbrücke. Hinter den Widerlagern ist eine Bewegungsfuge angeordnet, während die Pfeiler fest mit dem Brückenkörper verbunden sind.
Foto: Stefano Graziani
Wasser zirkuliert auf der Erde. Es verdunstet unter der Wärme der Sonne zu Wasserdampf in der Luft, bis sich Wolken bilden, die der Wind weiterträgt. Andernorts gelangt Regen oder Schnee wieder zurück auf die Erdoberfläche. Wasser ist der einzige Stoff auf dem Planeten, der flüssig, fest und gasförmig vorkommt – in der Luft, zu Eis gefroren, fließend in Meeren, Seen, Flüssen.
Das veränderte Klima bringt einen veränderten Wasserkreislauf mit sich. Das Verhältnis von Wasser in seinen verschiedenen Zuständen wie auch die Konzentration von Wasser an verschiedenen Orten hat sich gewandelt. Die Gletscher gehen zurück. Die Atmosphäre ist wärmer und kann mehr Wasserdampf halten. Wird ihre Sättigung überschritten, kommt es lokal zu heftigerem Niederschlag. Wir befinden uns häufiger in einem Zuviel oder Zuwenig an Wasser. Architektur befindet sich immer in Resonanz zu den Phänomenen der Natur an einem Ort. Deren Nähe bringt ein Eingebundensein mit sich. Wetter, Hindernisse oder Gefahren verlangen Überwindung, Schutz oder Distanz. Architektur muss ihre Beziehung zu einem Ort ausloten, um ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Die Aare ist der längste Fluss der Schweiz, ihr Quellgebiet liegt im Oberaargletscher, sie durchfließt mehrere Seen und mündet in den Rhein. Flüsse begünstigten die Entstehung von Siedlungen an ihren Ufern – sie leisteten die Wasserversorgung mit Trinkwasser wie für die Landwirtschaft, waren Transport- und Handelsweg oder Barriere. Im 20. Jahrhundert kommt die Gewinnung von Elektrizität in Wasserkraftwerken hinzu, dann die Nutzung von Kühlwasser für Kernkraftwerke. Flüsse sind uns mehr Ressource als Lebendigkeit.
Der Kern der Stadt Aarau wurde auf einem Felssporn aus Kalkstein gebaut: vier um ein Achsenkreuz angeordnete Quartiere, von einer kreisförmigen Bebauung umgeben. Nach Norden zur Aare hin fällt der Fels steil ab. Der Zollrain führt von der Altstadt zur Aare auf die Neue Aarebrücke, die Christ & Gantenbein entworfen haben. Von hier oben ist die Aarauer Pont Neuf kaum wahrnehmbar – sie ist gleich anderen Straßen asphaltiert, mehrspurig für alle Verkehrsteilnehmer. Die Brücke verbindet die Altstadt südlich mit dem Stadtteil Scheibenschachen nördlich der Aare und ist darüberhinaus als Kantonsstraße Teil des Verkehrsnetzes. Vom Zollrain mit Blick zur Aare liegt die Altstadt hinter uns, geschützt und sorgfältig gepflegt, vor uns die schnell gewachsene, infrastrukturell geprägte Stadt. Beginn und Ende der 119 Meter langen und 17,5 Meter breiten Pont Neuf sind nicht erkennbar – Mobilität hat immer noch zum Ziel möglichst halt- und grenzenlos zu sein.
Die erste Brücke in Aarau wurde kurz nach der Stadtgründung um 1248 gebaut – eine Holzbrücke, von der oft Hochwasser führenden Aare mehrmals zerstört. Auch die Holzbrücke aus dem 15. Jahrhundert musste wegen Hochwasserschäden wiederkehrend ersetzt werden. 1851 wurde die Kettenbrücke gebaut und zur Symbolträgerin der Stadt: eine Hängebrücke, beidseitig an Torbauten aus Muschelkalk verankert. Mitte des 20. Jahrhunderts kam die Kettenbrücke – beliebt und bis heute namensgebend – dem gestiegenen Verkehrsaufkommen nicht mehr nach, sie wich 1949 einer Brücke aus Eisenbeton, diese nun 2023 der Pont Neuf, wieder aus Beton.
Die Geschichte der Brücken an diesem Ort zeigt verschiedene Beziehungen zum Fluss. Die ersten Holzbrücken standen im Wasser und waren den Kräften, dem Wetter ausgeliefert. Sie wurden nach Hochwasser oder Stürmen wieder und wieder aufgebaut. Im 19. Jahrhundert erlaubt das Wissen der Ingenieure, den Fluss ohne Berührung des Wassers zu überspannen. Metall, Stein und Holz leisteten gemeinsam ihren je eigenen Beitrag – feingliedrige Elemente, massive Tore und leicht austauschbare Balken und Geländer. Die folgende Brücke aus Eisenbeton von 1949 hat Funktionalität und Dauerhaftigkeit versprochen und wurde doch ersetzt.
Die Pont Neuf knüpft bildhaft an Mauern und Bogenformen im Kontext an – präzise in der Detaillierung, als Ganzes mehr spektakulär als sensibel. Die Linien der Bögen lassen das statische Gefühl bald fragend zurück. Steht man unter der Brücke, löst sich das Monolithische auf; die Pfeiler sind oval durchlöchert. Die Brückenflanken schwanken und werden zu Stützmauern, den Bau im Grundriss insgesamt als H-Form in die Stadt setzend. Geste und Materialaufwand sind enorm.
Die bekannteste Pont Neuf überquert in Paris als Steinbogenbrücke die Seine und die westliche Spitze der Île de la Cité. Man überwindet hier die Flussarme wie auch die Insel – die Brücke webt sich in den Ort und macht die Situation vielschichtig erfahrbar. Zu ähnlicher Zeit wurde auch in Toulouse eine Pont Neuf gebaut. In den steinernen Bögen sind dort in den Pfeilern Durchläufe in Fließrichtung ausgespart, die die Garonne bei Hochwasser hindurchströmen lassen. Die Brücke scheint den Fluss in seinen verschiedenen Pegelständen zu kennen und kommt ihm ein Stück weit entgegen. Die Lösung hat sich in Toulouse bewährt, die nahegelegene Pont Saint-Michel nimmt das Thema auf – ihre Bögen sind in eine feingliedrige Betonstruktur aufgelöst. Dass Beton sparsam eingesetzt werden muss, ist heute wieder selbstverständlich.
Brücken verbinden Orte und überwinden Hindernisse. Manchmal sind sie mehr als ein Hinwegsetzen, und sie werden zu Orten an sich, zu Treffpunkten, Wahrzeichen. Brücken werfen Fragen auf – zu unserer Beziehung zu Flüssen, zum Wasser, zur Natur. Setzen wir Kraft entgegen, versuchen wir Berührungen zu vermeiden oder gibt es Wege, architektonisch mit den Kräften zu gehen? Wasser ist Grundlage unseres Lebens auf der Erde. Unser Bezug zum Wasser ist physische Beschaffenheit, Abhängigkeit und Sehnsucht. Wir lieben Gewässer – im Sommer am Meer den Horizont, das Rauschen und Salz auf der Haut, im Winter Wochenenden im Schnee. Manchmal gelingt es auch Architektur, uns einzubinden in Lebendigkeiten und damit eine Existenz spürbar zu machen, in der an einem Ort ein Geflecht, ein Wechselspiel der Phänomene entsteht.
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