Bauwelt

RIBA North Centre in Liverpool


Mit der Architektur, die ein Architekturzentrum für sich wählt, setzt es unweigerlich ein Zeichen. In Liverpool eröffnete das Royal Institute of British Architects seine erste Niederlas­sung außerhalb Londons. Dafür bezog es am alten Hafen ausgerechnet einen Gebäudekomplex, der in der Stadt seit Jahren für Dis­kussionen sorgte.


Text: Crone, Benedikt, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Der Neubaukomplex neben den „drei Grazien“: Royal Liver Building, Cunard Building und Port of Liver-
    pool Building (v. l.). Vorne: das Stadtmuseum von 3XN.
    Foto: Edmund Sumner

    • Social Media Items Social Media Items
    Der Neubaukomplex neben den „drei Grazien“: Royal Liver Building, Cunard Building und Port of Liver-
    pool Building (v. l.). Vorne: das Stadtmuseum von 3XN.

    Foto: Edmund Sumner

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Südseite der Büro- und Wohngebäude auf Mann Island, verbunden durch ein Glasfoyer.
    Foto: Johannes Marburg

    • Social Media Items Social Media Items
    Südseite der Büro- und Wohngebäude auf Mann Island, verbunden durch ein Glasfoyer.

    Foto: Johannes Marburg

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Eingang zum RIBA North Centre. Foto: Johannes Marburg

    • Social Media Items Social Media Items
    Eingang zum RIBA North Centre.

    Foto: Johannes Marburg

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die drei Baukörper umlagern historische Hafengebäude wie die wiederaufgebaute George’s Dock Kontroll­station für den Queensway Tunnel.
    Foto: Edmund Sumner

    • Social Media Items Social Media Items
    Die drei Baukörper umlagern historische Hafengebäude wie die wiederaufgebaute George’s Dock Kontroll­station für den Queensway Tunnel.

    Foto: Edmund Sumner

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Blick von der Straße.
    Foto: Edmund Sumner

    • Social Media Items Social Media Items
    Blick von der Straße.

    Foto: Edmund Sumner

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Eingangsbereich mit Shop. Foto: Johannes Marburg

    • Social Media Items Social Media Items
    Eingangsbereich mit Shop.

    Foto: Johannes Marburg

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Interaktives Stadtmodell im 1. Obergeschoss
    Foto: Johannes Marburg

    • Social Media Items Social Media Items
    Interaktives Stadtmodell im 1. Obergeschoss

    Foto: Johannes Marburg

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    In Schieflage für die „drei Grazien“: Blick von den Albert Docks auf das Port of Liverpool und das Royal Liverpool Building.
    Foto: Edmund Sumner

    • Social Media Items Social Media Items
    In Schieflage für die „drei Grazien“: Blick von den Albert Docks auf das Port of Liverpool und das Royal Liverpool Building.

    Foto: Edmund Sumner

Der Wind pfeift durch die Docks und pustet einen einsamen Plastikbecher über die Steinplatten des Hafens. Lastwagen brettern eine sechsspurige Straße entlang. Unter einer Hochhausscheibe, die mit ihrer anthrazitfarbenen Fassade im Abendhimmel zu verschwinden scheint, taumelt eine betrunkene Gruppe grölender Frauen, die sich kaum auf ihren High Heels halten können. Wie die Beatles von dieser rauen Industriestadt aus ihren Siegeszug der Liebe und des fröhlichen Pops starten konnten, scheint ein Rätsel. Die einfachste Erklärung ist wohl, dass sich vier bunte Paradiesvögel zusammenfanden, um eine Antithese gegen ihre graue Umgebung zu formieren.
Nicht nur auf die Musikgeschichte setzt Liverpool, um Besucher und Bewohner nach Nordwestengland zu locken. Auch die Baugeschichte, geprägt durch den Seehandel und die Architektur der Sechziger und Siebziger Jahre, soll als Touristenmagnet fungieren. Als Aushängeschild gilt der historische Hafenabschnitt, dem 2004 der Weltkulturerbe-Titel verliehen wurde. Zu ihm zählen in vorderster Reihe die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden „drei Gra­zien“, die Three Graces: das Port of Liverpool Building, das Cunard Building und das Royal Liver Building, das zur Fertigstellung 1911 mit knapp 100 Metern höchste Gebäude Europas.
Doch 2012 musste die Stadt um den neuen Unesco-Titel bereits wieder bangen. Im Rahmen einer allzu leidenschaftlichen Entwicklung ehemaliger Hafenareale klemmte sich Liverpool einige banale Gewerbe- und Wohnbauten an den Beckenrand zum River Mersey. Als Pläne auftauchten, diese Neubauten in den kommenden Jahrzehnten großspurig zu ergänzen, schlug die Unes­co Alarm und setzte das Hafengebiet auf die rote Liste. Ein Warnschuss, der ähnlich wie beim Bau der Waldschlößchenbrücke in Dresden eine Diskussion über die Vorzüge und Nachteile des Unesco-Titels auslöste.
Kein Hintergrundgebäude

In dieser sensiblen Gegend am „Pier Head“ bezog das Royal Institute of British Architects im letzten Sommer die Räume eines Büro- und Wohnkomplexes, errichtet von den Entwicklern ION und Countryside Properties und entworfen von dem Architekturbüro Broadway Malyan. Der aus drei Baukörpern bestehende Neubau versuche laut Architekt Matt Brook zwar gerade Rücksicht auf den Bestand zu nehmen. Doch nicht wenige Liverpudlians störten sich zur Fertigstellung an der schwarzen Granitfassade, den abgedunkelten Fenstern der zwei Wohn- und Bürogebäude und der Höhe der an der Straße errichteten Hochhausscheibe. Eine britische Zeitung verunglimpfte die Neubauten als drei im Hafen abgestellte „Riesensärge“; einfach nur deplatziert, monierten andere.
„Ich verstehe die schockartige Wirkung des Neuen“, entgegnet Matt Brook den Kritikern. „Aber wir konnten nicht einfach ein unauffälliges Hintergrundgebäude planen.“ Liverpool habe eine lange Tradition in der Neuerfindung und Grenzüberschreitung. Etwas zu errichten, was keine Erwähnung findet, wäre der Stadt nicht angemessen. „Viele denken, gute Architektur zeichne sich durch eine hohe Anpassung, durch augenscheinliche Bezüge zu ihrer Umgebung aus“, sagt Brook. Ihn interessiere anstelle des Offensichtlichen jedoch das „Unterschwellige“ eines Ortes. Brook, der lange Zeit die Liverpooler Niederlassung des international agierenden Büros Broadway Malyan leitete und inzwischen sein eigenes Büro Matt Brook Architects gegründet hat, wird nicht müde, die Idee hinter den drei Neubauten fragenden Journalisten und Skeptikern näherzubringen.
Die dunkle Fassade? Sie nehme die Farbe des Beckenwassers auf, das nicht türkis sei, sondern schwarz. Die glatte Oberfläche? Dank ihr spiegeln sich die historischen Nachbargebäude in der Fassade. Die Dachneigung der beiden Bauten, die wie zwei aus der Form gezogene Kuben auf- und absteigen? Sie lasse den Blick vom Albert Dock auf die Kuppel des Port of Liverpool Building zumindest in Teilen frei (siehe Bild S. 35). Die Unterteilung in drei Baukörper? Dadurch gingen die Neubauten weniger in Konkurrenz zu den historischen Three Graces, wie ein einzelner Großbau es getan hätte.

Leben vom Bestand

Wer heute die sechsspurige Straße am Hafen entlang in Richtung Süden läuft, passiert die Three Graces nun mit der Hochhausscheibe von Broadway Malyan als Abschluss. Beim Annähern lugt zwischen den hellen, im Stahlbeton errichteten Hafengebäuden die dunkle Granitfassade der beiden ineinandergeschobenen Baukörper hervor. Sie kann man auf den ersten Blick auch mit einem in den Hafen ragenden Schiffsbug verwechseln. Besonders auffällig: die in weißen Buchstaben angebrachten Schriftzüge „Explore“ an der Nord- und „Discover“ an der Südseite des Komplexes.
Schnell wird deutlich, dass die Stärke des Ensembles vor allem auf dem historischen Bestand beruht, der sich in der Fassade spiegelt. Matt Brooks erklärte Absicht, kein Hintergrundgrundgebäude entworfen zu haben, verkehrt sich damit aus einzelnen Perspektiven ins Gegenteil. Durch die glatte, monotone Oberfläche der verformten Kuben werden die historisierenden Nachbarbauten schwarz hinterlegt und treten mit ihren verzierten Fassaden noch stärker in den Vordergrund.
Erreicht man den Hafenabschnitt dagegen aussüdlicher Richtung, verstellen die Neubauten den historischen Bestand, vor allem das Port of Liverpool Building, das nur noch zu erahnen ist. Eine städtebaulich plumpe Situation, die für Ärger bei einigen Bewohnern sorgen musste. Nicht zuletzt deswegen, weil dieser als Mann Island bezeichnete Hafenabschnitt schon eine hitzige Diskussionsgeschichte hinter sich hatte.
Bis 2008, als Liverpool europäische Kulturhauptstadt wurde, sollte an diesem Ort anstelle alter Lagerhallen eine „Forth Grace“, eine Großbebauung mit Büros, Hotel und Museum, die bestehenden drei Grazien erweitern. Dass das hoch gesteckte Ziel schon mit Blick auf die griechische Mythologie anmaßend daherkommen musste, hielt den Entwickler nicht von einem Einladungswettbewerb ab, in dem die teilnehmenden Teams um Norman Foster, Richard Rogers und Edward Cullinan mit bis 145 Meter hohen Glastürmen aufwarteten.
Die Realisierung des Gewinnerbeitrags aus dem Büro Alsop, ein wie ein Kristall geschliffe­ner Rundbau, wurde 2004 aufgegeben. Grund war weniger die Empörung in Feuilleton und Öffentlichkeit, sondern ständig steigende Kostenberechnungen. Anstelle des Großprojekts sprach sich die Stadt für eine verteilte, schrittweise Entwicklung von Mann Island aus. 2011 entstand darauf als erster Baustein das Museum of Liverpool nach Plänen der Architekten 3XN und des Büros Happold. Ihm folgten schließlich die drei Neubauten von Broadway Malyan.

Eine Krisenentscheidung

Dass ausgerechnet ein Architekturzentrum sich an diesem von öffentlichen Debatten beladenen Ort niederlässt, war nicht von Anfang an Teil der Planung. Um ihren nordenglischen Mitgliedern einen Arbeitsort und Ausstellungsflächen in ihrer Nähe zu bieten, plante das Royal Institute of British Architects seit längerem eine erste Niederlassung außerhalb Londons.
Das Institut, vergleichbar mit den deutschen Architektenkammern, liebäugelte für das RIBA North Centre mit einer Reihe nordenglischer Städte, worunter – nach Manchester – Liverpool als Favoriten hervorging. „Erst schwärmten wir von einem eigenen, großen Neubau,“ erinnert sich Suzy Jones, Direktorin bei RIBA North. „Ein Architekturzentrum, ergänzt um ein Hotel und aller­lei anderen öffentlichen oder privaten Nutzungen.“ Dann kam die Finanzkrise 2008 – und die großen Pläne wurden auf ein realistisches Niveau heruntergekocht. Eine Kommission besichtigte in Liverpool einige Gebäude und kam schließlich ins Gespräch mit den Architekten von Broadway Malyan und dem Entwickler von Mann Island, dessen Neubauten vor der Fertigstellung standen. „Wir hatten in unserem Entwurf ohnehin Ausstellungsräume vorgesehen“, erinnert sich Matt Brook.
In dem östlichen der beiden Wohn- und Bürogebäude richteten Broadway Malyan darauf Ausstellungs- und Arbeitsbereiche für RIBA North und dessen Mitgliedern ein; verteilt auf zwei Geschosse. Eine im strahlenden Rot gehaltene Wand zieht sich über beide Ebenen und kragt in ein Glasfoyer, das beide Baukörper verbindet.

Liebe auf den zweiten Blick

„Für unsere Ausstellungen ist dieses Foyer ein Segen“, sagt Jones. Es kann als erweiterte Ausstellungsfläche dienen und auch Touristen, die den Komplex auf ihrem Hafenspaziergang passieren, in das Gebäude und das Architekturzentrum locken. Zur Eröffnung des Zentrums errich­teten die Londoner Architekten KHBT in dem Foyer einen Pavillon aus rotem Stoff, der bereits außerhalb des Gebäudes ins Auge fiel.

Ein interaktives Stadtmodell, das historische und zukünftige Entwicklungen Liverpools visu­alisiert, soll ebenfalls die Besucher ins erste Obergeschoss ziehen – und von hier in einen Raum mit temporären Ausstellungen zur zeitgenössischen Architektur.
Von der ersten Idee des Zentrums bis zum Bezug 2017 dauerte es acht Jahre. Heute gilt das RIBA North Centre als weitere, kleine Kulturinstitution im Hafen. Die Büroräume im Hochhaus und im Erdgeschoss der zwei Neubauten sind weitgehend vermietet: an Reise-Unternehmen, IT-Startups und die Stadtverwaltung. Cafés und Bistros beleben das Glasfoyer und den zum Hafenbecken abgetreppten Vorplatz an der Südseite.
„Wir hatten durchaus Bedenken bei der Wahl des Gebäudes,“ sagt Suzy Jones von RIBA North. Inzwischen aber fühlt sie sich bestätigt, schließlich sei die öffentliche Wahrnehmung zu den Neubauten von Skepsis in Zustimmung umgeschlagen. Zur Fertigstellung wurde der Komplex noch für den Carbuncle Cup als hässlichstes Gebäude Großbritanniens nominiert; im Frühjahr 2018 befand es sich dagegen laut einer Zuschauerumfrage der BBC unter den Top 5 der wichtigsten Neubauten Nordenglands.
„Diesen Meinungswechsel spüren wir auch bei unseren Architekturführungen – und auf Instagram, wo der Komplex einer Studie nach zu den drei am häufigsten abgelichteten Gebäuden der Stadt zählt.“
Die Hoffnung, dass ihre „mutige“ Standortwahlauch die richtige war, untermauert Jones mit einem beliebten Kunstgriff in die Geschichtskiste. Das benachbarte Royal Liver Building, eine der „drei Grazien“, sei zur Fertigstellung von der Presse zerrissen und von den Bewohnern verflucht worden. Heute gilt das Gebäude, neben den Beatles, als wichtiges Kulturerbe der Stadt.



Fakten
Architekten Broadway Malyan, Liverpool
Adresse 21 Mann Island, Liverpool L3 1BP, Vereinigtes Königreich


aus Bauwelt 11.2018
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

24.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.