Wohnheim für Gastwissenschaftler in Paris
Die Maison Julie-Victoire Daubié der Cité Universitaire von Paris bietet 106 Unterkünfte für Gastwissenschaftler. Bruther Architectes kombinieren das Weiterdenken minimalistischer Wohnkonzepte in einer seriellen Großform mit einem besonderen Augenmerk auf die Details.
Text: Dana,Karine, Paris
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Das Gästehaus steht unmittelbar am Boulevard périphérique.
Foto: Maxime Delvaux
Das Gästehaus steht unmittelbar am Boulevard périphérique.
Foto: Maxime Delvaux
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Die Architekten setzten den Mehrzwecksaal mit Bibliothek geschützt vom Lärm ins unterste Geschoss. Darüber liegt die offene Eingangsebene.
Foto: Julien Hourcade
Die Architekten setzten den Mehrzwecksaal mit Bibliothek geschützt vom Lärm ins unterste Geschoss. Darüber liegt die offene Eingangsebene.
Foto: Julien Hourcade
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Die Eingangsebene wird von den Bewohnern über Passerellen erreicht.
Foto: Marvin Leuvrey
Die Eingangsebene wird von den Bewohnern über Passerellen erreicht.
Foto: Marvin Leuvrey
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Der gläserne Mehrzweckraum ist von Böschungen umgeben.
Foto: Salem Mostefaoui
Der gläserne Mehrzweckraum ist von Böschungen umgeben.
Foto: Salem Mostefaoui
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Die Möbel wurden von den Architekten entworfen.
Foto: Maxime Delvaux
Die Möbel wurden von den Architekten entworfen.
Foto: Maxime Delvaux
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Die Glasfront der Erschließungsgänge mit den einfachen Lüftungsklappen ...
Foto: Maxime Delvaux
Die Glasfront der Erschließungsgänge mit den einfachen Lüftungsklappen ...
Foto: Maxime Delvaux
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... liegen sich bei den zwei Gebäuderiegeln gegenüber.
Foto: Maxime Delvaux
... liegen sich bei den zwei Gebäuderiegeln gegenüber.
Foto: Maxime Delvaux
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Blick auf den Boulevard périphérique
Foto: Marvin Leuvrey
Blick auf den Boulevard périphérique
Foto: Marvin Leuvrey
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Die spartanische, auf ein Minimum reduzierte Möblierung lässt den Bewohnern viele Freiheiten der eigenen Einrichtung.
Foto: Maxime Delvaux
Die spartanische, auf ein Minimum reduzierte Möblierung lässt den Bewohnern viele Freiheiten der eigenen Einrichtung.
Foto: Maxime Delvaux
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Im obersten Geschoss eines der Riegel liegt der Fitnessraum.
Foto: Maxime Delvaux
Im obersten Geschoss eines der Riegel liegt der Fitnessraum.
Foto: Maxime Delvaux
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Der Bau für junge Gastwissenschaftler aus dem Ausland steht in der weitläufigen Parkanlage der Cité Internationale Universitaire, einem architekturhistorisch bedeutsamen Gelände am südlichen Rand der Pariser Innenstadt. Dazu zählen u.a. Le Corbusiers Pavillon Suisse aus dem Jahr 1930, das frühere Maison d’Iran aus der Feder von Claude Parent und André Bloc von 1962 oder Willem Dudoks Collège Néerlandais von 1929-38.
Im Dialog mit diesem von architektonischen Glanzstücken bespielten Ort schreiben die Architekten Stéphanie Bru und Alexandre Theriot einige Grundideen fort. Sie greifen insbesondere soziale Gedanken auf, lassen aber zugleich den Wunsch nach einer architektonischen Abgrenzung gegenüber ihren Vorgängerbauten der Cité deutlich werden. Besonders augenfällig wird dies in ihrer Weigerung, die Idee der Pavillon-Architektur weiter zu verfolgen. Stattdessen sehen sie ihren Entwurf grundlegend anders. Er ist geprägt von der Mischung aus einem bescheiden gestalteten Landschaftserlebnis und heutiger Hyper-Urbanität auf engstem Raum.
Die direkt an einer Kante der Cité zum Boulevard périphérique gelegene Parzelle hat neben der knapp bemessenen Grundfläche vor allem mit dem extremen Verkehrslärm des Boulevard zu kämpfen, und so blieb den Architekten keine andere Wahl, als auf diese Einschränkungen zu reagieren. Hieraus erklärt sich auch die Entscheidung, verstärkt mit der Topografie des Geländes zu arbeiten. Mithilfe eines tiefen Einschnitts wurde ein unter die eigentlichen Erdoberfläche verlagerter Bereich geschaffen, der als offener Raum vor allem gemeinschaftliche Funktionen aufnimmt. Dieser Ansatz, das Gelände aufzugraben und es im Anschluss landschaftsgärtnerisch neu zu fassen, zeigt Wirkung: Das Grundstück wird so an die durch die Cité verlaufende Avenue André Rivoire am Fuß des Hangs angebunden und vor den Belastungen des Boulevards geschützt. Vor allem aber erzeugt dieser entschiedene Eingriff eine von außen gesehen völlig unerwartete Wirkung eines „Innenraums“. Über schmale, mit Metallrosten ausgelegte Passerellen werden die Besucher quasi ins Innere des Gebäudes hineingeführt. Es entsteht ein Raum von großer Tiefenwirkung, der zwar öffentlich zugänglich ist, aber von einer geschützten Intimität bestimmt wird. So wird das in den Erdboden eintauchende Geschoss mit den Gemeinschaftsflächen trotz seiner verglasten Außenfassaden zu einem Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit.
Neues zur minimalistischen Wohnzelle
Die Funktion Wohnen liefert den konzeptionellen Gegenpart dieser „paysage incroyable“, die durch die Stadtautobahn geprägt ist: „Für einen angemessenen Umgang mit dieser ungemein schwierigen Situation in der Großstadt haben wir uns die einzelne Wohnzelle als Ausgangspunkt genommen und das Gesamtgebäude daraus entwickelt – von innen nach außen, vom kleinen Einzelnen zum großen Ganzen“, erläutert Stéphanie Bru. Das Architekturbüro hatte sich vor diesem Auftrag noch nicht an Wettbewerben zu zweckgebundenen Wohnprojekten, etwa Wohnheime für Studierende, Senioren oder akademische Gästehäuser, beteiligt, aber seit ihren Anfängen eine Reihe von Bauten zum Thema minimalistisches Wohnen vorgelegt. Zudem arbeiten sie schon immer an Cross-over-Recherchen im Sinne konstruktiver Lösungsfindungen. Sie sehendarin die Chance, althergebrachte Typologien aufzubrechen. Dazu gehört auch ihre Leitfrage, wie Aspekte von Großzügigkeit und Weite in Nutzungsprogrammen Beachtung finden, um gewohnheitsmäßig unvermeidlich scheinende Banalität zu konterkarieren. Entsprechend konzipierten sie dieses Gästehaus mit größtmöglicher Öffnung und abgesetzt vom Boden. Im Ergebnis sind viele Begrenzungen aufgehoben und die räumlichen Möglichkeiten um ein Vielfaches erweitert worden.
Ausgehend von einem einfachen Gesamtgrundriss – zwei Blöcke, die über einen Zwischenraum für die Verkehrsflächen zusammengespannt sind – ist jedes der durchgesteckten Mini-Apartments weitgehend in Sichtbeton gestaltet. Die Größe der Wohnungen variiert zwischen einem bis vier Räumen, wobei der weitaus größte Teil Ein- oder Zweiraum-Wohnungen sind, und alle Typen als multifunktionale Einheiten mit separater Küchennische und Innenbad konzipiert worden. Der Wohnraum und ein separater Schlafbereich liegen direkt an der Fensterfront. Die Öffnung der Schiebewand zum Schlafraum lässt einen durchgehenden Wohnbereich zu.
Der Ausarbeitung der Details fällt dabei eine herausragende Rolle zu: „Bei diesem Auftrag hatten wir das große Glück, dass wir auch die Innenausstattung mit den Möbeln übernehmen durften, was wir als deutliche Aufwertung erlebt haben. Diese Option sollte bei Bauaufträgen viel häufiger in Anspruch genommen werden. Die Frage nach der Ausstattung steht mit der Fassade in engem Zusammenhang“, ergänzt die Architektin. Fensterbänke, Heizkörper, Türzargen, Tische, Stühle, Zwischenwände oder Stützen werden als gleichrangige Entwurfsaufgaben betrachtet. Die weitläufigen, auf ganzer Höhe verglasten Erschließungsflure fungieren auch als Begegnungszonen.
Aktiv gestaltete Fassade
Ob das Mobiliar, etwa die aus lackierten Stahlrohren gestalteten Sitzinseln oder Tische und Stühle aus simplem Blech, die Glaspaneele der eingehängten horizontalen Fensterbänder, die Vorhänge aus lichtundurchlässigem Material oder auf wechselnde Längen zugeschnittene Bahnen aus leichtem Nessel: Jedem Element wird dieselbe Aufmerksamkeit zuteil und wird zum Anlass, die Eigenständigkeit der Einzelteile im großen Zusammenhang zu reflektieren. Die Architekten begreifen somit das Detail als Fortführung und Weiterdenken der konzeptuellen Grundidee des Entwurfs. So war der Plan, trotz der lärmbelasteten Ausgangssituation nur eine einfache Fassade aus Schallschutzglas vorzusehen, in Hinblick auf die damit verbundenen Einschränkungen eine durchaus wagemutige Entscheidung. Zugleich ist die auf diese Weise erreichte Einheitlichkeit der Glashaut entscheidend, um die Fassade als ein Zusammenspiel der einzelnen Elemente wahrnehmen zu können – etwa wenn die hellen, teilweise farbigen Textilvorhänge zugezogen vor den Fensterscheiben hängen. An den Schmalseiten des Gebäudes dämpft ein System aus doppelt auf das Aluminium-Rahmenwerk aufgebrachten Längslamellen den Schall, sodass angeblich die Lärmschutzauflagen eingelöst werden konnten.
Der Innenraum erfährt bei aller Homogenität im Zusammenspiel mit den nach außen aufgespannten Sonnensegel, zusätzlich aufgebrachten Spiegelflächen an den seitlichen Stoßkanten der Innenwände, den textilen Schichten an den Fassadeninnenseiten und den vorgesetzten Fensterbänken eine gewisse Lebendigkeit.
Leidenschaft für Einfachheit
Bereits in der Wettbewerbsphase vor sechs Jahren lieferten die Architekten aufwendige Planzeichnungen mit hoher Detailtiefe. Die Bauphase war dann aber eine besondere Herausforderung, was die Umsetzung ihrer Ideen betraf: „Zweifel gibt es immer. Auf der Baustelle werden manche Dinge plötzlich sehr eindeutig, und andere Details, an denen man sich abgearbeitet hatte, sind auf einmal gar nicht mehr so wichtig“. Ein Beispiel: Die Decken der Eingangebene, die den Übergang zwischen dem darunter liegenden Gemeinschaftsraum und den Wohnzellen markiert, wurden direkt auf der Baustelle „erfunden“. Diese messerscharf ausgeführten Wellen aus Beton, die in einer Verschalung aus Stahl gegossen wurden, bringen eine subtile Leichtigkeit und eine neuartige Lichtführung mit sich, was über eine plane Deckenoberfläche niemals hätte erreicht werden können.
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke
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