Solidarisch Wohnen im Hochhaus
Wie das Land Berlin den gestiegenen Bodenrichtwert seiner Grundstücke nutzen könnte, um neben städtischer Infrastruktur bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, skizziert eine Studie von zanderroth
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Solidarisch Wohnen im Hochhaus
Wie das Land Berlin den gestiegenen Bodenrichtwert seiner Grundstücke nutzen könnte, um neben städtischer Infrastruktur bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, skizziert eine Studie von zanderroth
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Es ist das ewige Klagelied von Projektentwicklern, Investoren, Bauherren, Politik und Publikumsmedien: Architekten würden sich nicht für die wirtschaftlichen Zusammenhänge beim Bauen interessieren, sondern nur für ästhetische Belange ihrer Projekte. (Weshalb man ihnen im nächsten Schritt auch so gut die Verantwortung für Baukostensteigerungen in die Schuhe schieben kann.) Wenn diese Klage denn überhaupt jemals berechtigt gewesen sein sollte – heutzutage sind Architektinnen und Architek-ten, die den ökonomischen Hintergrund beim Bauen schlicht ausklammern würden, eine aussterbende Spezies. Vor allem Büros, die im Wohnungsbau tätig sind, kommen, wenn sie irgendeine Art von besonderem Anspruch umzusetzen suchen, gar nicht mehr darum herum, selbst hervorragend rechnen zu können.
Aus dem Effeff beherrschen das Sascha Zander und Christian Roth, die seit 1999 in Berlin das Architekturbüro zanderroth führen und sich zu Spezialisten für Wohnungsbau vor allem für Bauherrengemeinschaften entwickelt haben. Seit 2005 betreiben sie zusätzlich eine Projektentwicklungsgesellschaft, mit der sie Baugruppenprojekte unterschiedlichster Größenordnung umgesetzt haben. Wenn also jemand weiß, wie man mit explodierenden Grundstückskosten undhorrend steigenden Baukosten umgehen muss, um trotz dieser widrigen ökonomischen Umstände Wohnungen zu bauen, die bezahlbarer sind als die üblichen vom Bauträger und darüber hinaus sogar noch eine höhere architektonische Qualität bieten, dann die beiden.
Warum es wichtig ist, das hier zu betonen? Damit deutlich wird, vor welchem Hintergrund Sascha Zander und Christian Roth ihre Projektstudie „pionier“ angefertigt haben, mit der sie die Mischung von Sozialwohnungen und Eigentumswohnungen in einem Wohnhochhaus vorschlagen. Die Studie ist keine dieser mal eben hinskizzierten Ideen, die man dem befreundeten Redakteur einer Tageszeitung zuspielt, um damit kurzfristige Aufmerksamkeit zu erregen (man erinnert sich an einige derartige Beispiele aus den vergangenen Jahren, vor allem für spektakuläre Hochhäuser in Berlin). Die Studie von zanderroth ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, dem ins Straucheln geratenen Neubau von Wohnungen in Berlin – vor allem von Sozialwohnungen – auf die Beine zu helfen.
Die Architekten haben ein 20-geschossiges Typenhochhaus entwickelt, das je zur Hälfte Eigentumswohnungen und geförderte Wohnungen (letztere zum Mietpreis von 6,60 Euro beziehungsweise 9 Euro gemäß den aktuellen Förderrichtlinien) aufnehmen soll, insgesamt 320 Wohnungen unterschiedlicher Größe. Im Sockel könnte darüber hinaus städtische Infrastruktur Platz finden – eine Kita, ein Kulturzentrum, eine Bibliothek oder auch die Nebenräume eines benachbarten Schwimmbads oder einer Sporthalle. Für neun innerstädtische Standorte haben zan-derroth das Gebäude exemplarisch geplant und durchgerechnet – auf brach liegenden oder stark unternutzten öffentlichen Grundstücken, die sie als dafür passend ausgemacht haben.
Das Konzept für die ungewöhnliche Kombination von Eigentumswohnungen und Sozialwohnungen unter einem Dach fußt auf der Idee, dass sich Sozialwohnungen selbst in Lagen mit hohen Bodenpreisen finanzieren ließen, wenn die Eigentumswohnungen die finanzielle Belastung durch die Grundstückskosten für die Sozialwohnungen mittragen würden. Das verteuert freilich die Eigentumswohnungen, aber, wie die Architekten es vorrechnen, in einem Umfang, den sich Menschen, die sich Wohneigentum leisten können, leisten könnten. (In der Modellrechnung kosten die Eigentumswohnungen im „pionier“ im Schnitt 7000 Euro pro Quadratmeter.) Am besten würde das Konzept funktionieren, wenn nicht klassische Bauträger die Häuser projektierten, sondern Bauherrengemeinschaften oder Genossenschaften. Letztere trügen nämlich ihr Risiko selbst, was die Wohnungskaufpreise gut 1000 Euro pro Quadratmeter günstiger mache als bei einem Bauträger, der mit etwa dieser Summe sein Risiko absichern müsse.
Wie kommen Sascha Zander und Christian Roth auf genau diese Konstellation? Während ihrer langjährigen Beschäftigung mit den Mechanismen des Wohnungsbaus sei ihnen aufgefallen, dass die Berliner Wohnungsgesellschaften, denen die Politik die Zuständigkeit für den Neubau bezahlbaren Wohnraums übertragen hat, ihrer Verpflichtung dort nachkommen würden, wo sie auf Grundstücken bauen können, die bereits in ihrem Besitz sind. Auf Grundstücken, die dem Land Berlin gehören, würde das aber oft nicht geschehen.
Der Grund dafür: Europäisches Recht verbietet es der öffentlichen Hand, den Wohnungsbaugesellschaften, die formal eigenständige Unternehmen sind, Grundstücke zu schenken. Wenn sie es tut, muss das kompensiert werden. Die Kompensation besteht darin, dass keine Förderung bezahlt wird. Ohne Förderung können die Wohnungsbaugesellschaften aber keine Sozialwohnungen finanzieren.
Deshalb der Vorschlag, für solche Grundstücke andere Akteure ins Boot zu holen. Das landeseigene Stück Boden könnte der Bauherrengemeinschaft oder Genossenschaft in Erbbaupacht überlassen werden. Der Erbbauzins würde als Einmalzahlung entrichtet, was für jeden einzelnen der Standorte, die zanderroth projektiert haben, einem zweistelligen Millionenbetrag entspräche – von 11,5 Millionen Euro in Lichtenberg bis zu 38,2 Millionen auf der Fischerinsel in Mitte. Insgesamt könnte die Vergabe der neun Grundstücke 267 Millionen Euro in den Landeshaushalt spülen, die sich entweder in dringend benötigte Infrastruktur wie Schulen, Kitas etc. oder in den Bau weiterer Sozialwohnungen investieren ließen. Oder in beides.
Nun ist es keinesfalls so, dass die „pionier“-Studie bislang unter Verschluss gelegen hätte, vielmehr haben die Architekten reichlich Post an denBerliner Senat und in die Bezirke verschickt. Bisher war die Reaktion verhalten bis nicht existent. Ob sich das in der neuen politischen Konstellation ändert? Anregung und Diskussionsstoff liefert die Projektstudie schließlich reichlich.
0 Kommentare