Text: Schürch, Tiziano, Zürich/Lugano; Rolli, Rina, Zürich/Lugano
Wie kam das Projekt im Tessiner Bergdorf Monte zustande?
Die Gemeinde Castel San Pietro ließ 2018 angesichts der zunehmenden Alterung der Bevölkerung eine soziologische Studie durchführen, um das Wohlbefinden der in der Region lebenden älteren Menschen zu ermitteln. Auf Grundlage dieser Studie beauftragte uns der damalige Stadtrat Giorgio Cereghetti mit der Ausarbeitung eines architektonischen Vorschlags für die Neugestaltung der öffentlichen Räume im Ortsteil Monte. Ziel des Auftrags war es, eine Art Pilotprojekt zu schaffen. Mit großem Mut vertrauten die Gemeinde und die Bürgermeisterin Alessia Ponti uns – wir waren 25 und 26 Jahre alt – ein sehr experimentelles Projekt an.
Ihr Ansatz ist es, dass „Architektur aus dem Ort geboren wird“. Tiziano Schürch war auch bei einer Ausgrabung in Mosul beteiligt. Speist sich Ihre Herangehensweise aus Forschungstechniken anderer Disziplinen?
Die Teilnahme an einer archäologischen Ausgrabung bedeutet eine direkte Konfrontation mit der Fähigkeit der Materie, die Handlungen aufeinander folgender Generationen zu enthalten. Schicht um Schicht bildet die Oberfläche, die unsere Gegenwart enthält. Als Architekten wollen wir die Spuren des Vorangegangenen vergegenwärtigen und einen Ort auf einer Zeitachse verorten. Deshalb bezeichnen wir, was wir bauen, gerne als Begegnungen (ENCOUNTERS). Das fasst die Idee einer Architektur zusammen, die entfernt ist von der Obsession des autonomen Objekts: Sie kann nicht in Abwesenheit einer Präexistenz bestehen. Sie findet ihre Daseinsberechtigung in der Erfahrung des Ortes.
Wären wir einmal vor und einmal nach der Umsetzung des Projekts nach Monte kommen – inwiefern hat sich das Leben im Dorf verändert?
Die Arbeiten wurden Anfang Oktober abgeschlossen, und mit dem Beginn des kalten Wetters werden die öffentlichen Räume nicht mehr mit der gleichen Intensität wie im Sommer erlebt. Wir glauben jedoch, dass es falsch wäre, tiefgreifende Veränderungen in der Dynamik des Dorfes zu erwarten. Wir haben bewusst Eingriffe vorgenommen, die die Räume von Monte nicht stören oder spektakulär machen, geschweige denn das Leben, das sich darin abspielt. Es sind kleine Ergänzungen, die das Alltagsleben der Menschen im Dorf stärken, unterstützen und begleiten.
Ihre Arbeit strahlt Zuversicht aus, sich auf einen Moment einzulassen. Wie gelingt es Ihnen, sich auf Wesentliches zu konzentrieren?
Unnötiges lässt sich nur vermeiden, wenn man einen klaren Blick auf alles hat, was vor dem Eingriff bereits existiert. Gespräche mit den Bewohnern, Studien des Tals und unzählige Besuche in Monte und umliegenden Dörfern, um die Logik des Bauens zu verstehen, haben unserer Meinung nach das nötige Grundwissen geschaffen.
Welche Studieninhalte haben Ihnen bei der Bearbeitung des ersten Auftrags gefehlt?
Erfahrung ist das, woran es am meisten mangelt und was keine Schule vermitteln kann. Wir halten es jedoch für wünschenswert, dass Universitäten eine experimentellere Auseinandersetzung mit Materialien und Bautechniken anregen.
Was ist die größte Schwierigkeit auf dem Weg in die Selbstständigkeit?
Bauen ist teuer. In vielen Fällen stecken die Ersparnisse eines ganzen Lebens in einem Gebäude. Aus diesem Grund sind nur wenige Bauherren bereit, Risiken einzugehen. Es ist daher wichtig, dem Bauherrn Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln.
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