Turnhalle am Ex-Flugfeld
Tempelhofer Feld
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Ein gewöhnlicher Bau von 1960 und eine alltägliche Bauaufgabe: ludloff + ludloff Architekten stellen den üblichen Sanierungsverlauf in Frage und gelangen dadurch zu architektonischer Qualität.
Die „Grundschule auf dem Tempelhofer Feld“ ist kein Meisterwerk der Baukunst. Sie wurde nach einem Entwurf des Bezirkshochbauamts 1960 fertiggestellt. Der zweigeschossige Bau besteht aus zwei langen Klassentrakten, die an ein Foyer anschließen, sowie einem quer dazu liegenden Verwaltungsriegel. Die etwas abseits liegende Turnhalle ist durch einen gekurvten überdachten Gang an das Hauptgebäude angebunden. Der luftige Städtebau ist zeittypisch, die Baukörper sind von der Straße abgerückt. Die Idee von einer Schule im Grünen ist noch heute erkennbar, obwohl der großzügige Freiraum für spätere Ergänzungen benutzt wurde, etwa einen brachialen Ergänzungsbau aus Betonfertigteilen. Der Hof vor dem Haupteingang ist heute mit Autostellplätzen belegt – kein angemessenes Entrée. Der Umgang mit dem Gebäude war offensichtlich über Jahrzehnte hinweg von Pragmatismus geprägt.
Jahrzehntealter Material-Mix
Doch scheint inzwischen bei den Verantwortlichen in Schule und Verwaltung ein Bewusstsein dafür vorhanden zu sein, dass Investitionen in die architektonische Qualität das Schulprofil stärken können: Im Rahmen des Ganztagsschulprogramms entstand im verangenen Jahr an der Südseite ein Mensa-Anbau von ludloff + ludloff, ein avancierter Holzbau mit experimenteller Dachkonstruktion (Bauwelt 7–8.2010). Dasselbe Büro hat nun die Turnhalle umgebaut.
Jens Ludloff und Laura Fogarasi-Ludloff hegen eine Grundsympathie für die Architektursprache der Nachkriegsmoderne, die sich durch Leichtigkeit, reduzierte Farbgebung und eine Bescheidenheit in der Konstruktion auszeichnet. Zeichen der Aufbruchstimmung und des Neubeginns, die an dieser Stelle, nur wenige hundert Meter westlich von Ernst Sagebiels Flughafenmonument, sofort zu begreifen sind. Nach umfassender Analyse des Bestands kamen die Architekten zu dem Schluss, dass die Turnhalle mit den Jahren ein wildes Konglomerat von Materialien geworden war. Frühere Teilsanierungen – zum Beispiel der Ersatz des Hallenparketts durch PVC und der Holz- durch Kunststoff-Fenster sowie die nachträgliche Applizierung von Wärmedämmung – hatten den Bau zu einem Gehäuse überformt, das in den Augen der Architekten außen wie innen jegliche Atmosphäre verloren hatte. Unter jeder weiteren Reparaturwelle mit den „Bordmitteln“ des Bezirksamts, so befürchteten sie, würde die architektonische Plausibilität des Ensembles leiden; dass sich manch ein Sportlehrer hingegen einfach nur eine neue und vor allem größere Turnhalle gewünscht haben dürfte, kann man sich vorstellen.
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg als Bauherr konzentrierte sich schließlich auf die Verbesserung der Energieeffizienz des Gebäudes, wodurch entsprechende Fördergelder eingebunden werden konnten. Das Paket aus unterschiedlichen Einzelmaßnahmen kostete insgesamt rund 1,3 Millionen Euro – von den Duschen bis zur Lüftung, vom Heizsystem über Putzausbesserungen bis hin zu den Außenanlagen. Das Ziel der Architekten war es, die Halle energetisch zu optimieren, ohne dass sie aus dem formalen Rahmen des Ensembles fällt. Aber: „Je mehr wir bei der Bestandsaufnahme über den Altbau in Erfahrung brachten, desto schwerer fiel es uns, aus ihm ein architektonisches Thema abzuleiten“, sagt Jens Ludloff. Erst als es um die Ausschreibung der Abbrucharbeiten ging, hatte man eines gefunden: den progressiven Umgang mit der „Grauen Energie“. Das ist laut Definition jene Energiemenge, die sich aus Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produkts zusammensetzt. Widersprüche tauchten auf: Ist es sinnvoll, eine in die Jahre gekommene acht Zentimeter starke Polystyrol-Wärmedämmung zu entsorgen, weil heute zwölf Zentimeter gefordert sind? In welcher Bilanz würde dann die verlorene Herstellungsenergie dieses erdölbasierten Dämmstoffes auftauchen? Wie viel Energie fiele dazu noch bei der Zerlegung des Wärmedämmverbundsystems an? Welche Deponiekosten? Solche Fragen stellten sich ebenso an vielen anderen Positionen. Die Materialwahl wurde damit nicht nur zur Gestaltungs-, sondern auch zur Gewissensfrage: Was heute neu eingebaut wird, sollte sich später möglichst sortenrein trennen lassen, und zwar nicht irgendwo auf der Welt, sondern „am besten hier bei uns auf dem Arbeitstisch“. Was wie eine etwas naive Spielregel klingt, ist der Blick auf die grundsätzliche Frage, ob bei Altbausanierungen der Begriff der Energieeffizienz sich lediglich über die Bilanz, also die rechnerische „Vorher-Nachher-Differenz“, definieren darf oder ob nicht auch der Rückbau- und Entsorgungsprozess in diese Betrachtung einfließen muss. Verbindliche Richtlinien, wie sie etwa für die Zertifizierung von Neubauten existieren, fehlen dazu bislang. Der Baustoffindustrie dürfte es ganz recht sein.
Strategie: simplifizieren
Was bedeutete dieser Ansatz nun konkret für die Turnhalle auf dem Tempelhofer Feld? Wenn es das Wort gäbe, könnte man von einer „Wiederverschlichtung“ sprechen. Nachträglich angebaute Geräteschuppen fielen weg, innen wurde die Struktur der Nebenräume vereinfacht. Das frühere Labyrinth aus Umkleiden, Schleusen und Nasszellen wurde ersetzt durch zwei großzügige Räume mit einer jeweils eigenen originellen Duschenskulptur in der Mitte. Richtig beobachtet: Schulkinder duschen selten, haben aber immer zu wenig Platz zum Umziehen. Einziger Nachteil der neuen Organisation: Hallenschuhe und Straßenschuhe kreuzen sich im Eingangsfoyer.
Die Betonkonstruktion der Halle wurde bis auf den Rohbau freigelegt, ihre nur sechs Zentimeter starke Decke erhielt einen um 20 Prozent höheren Dämmstandard; der Hallenboden konnte vom Kriechkeller her isoliert werden. Dank dieser beiden großen Posten war es in der rechnerischen Energiebilanz möglich, die markanten Ziegelwände an den Stirnseiten ungedämmt zu lassen und die Westseite über die gesamte Höhe zu verglasen. Ebenso genügte es, das oben erwähnte WDVS aus den 80er Jahren lediglich auszubessern; seine noch immer – trotz neuen Anstrichs – banale Gestalt wird von dem umlaufenden Paravent aus Zedernholz weitestgehend verschleiert bzw. harmonisiert.
Auf ähnliche Weise, eben im Sinne einer additiven, auf leichte Zerlegbarkeit ausgerichteten Konstruktion, haben ludloff + ludloff das Innere der Halle behandelt. Anstatt Leitungen, Leuchten, Brandmelder und Akustikpaneele in eine abgehängte Systemdecke zu pressen, erfinden sie ein neues Element: den Baldachin aus transluzentem Glasfasergewebe, der eine einheitliche Untersicht ermöglicht. Er schützt die Technik, die an der Sichtbetondecke hängt, vor fliegenden Bällen und streut außerdem das Tageslicht. Die Halle bleibt auch bei Sonne blendfrei und dürfte so im Vergleich zu fensterlosen Bauten einiges an Strom sparen. Nach Angaben der Architekten wird der Energieverbrauch der sanierten Halle rund 20 Prozent unter dem liegen, was die EnEV derzeit für Neubauten vorsieht. Rechnet man hinzu, wie viel „Graue Energie“ durch Nichteinbau von neuem Material bzw. durch den Erhalt von Substanz eingespart wurde, dann ist die kleine Turnhalle nach 51 Jahren vielleicht doch noch ein bedeutendes Bauwerk geworden.
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