Bauwelt

Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin


Das Schweriner Schloss beherbergt auch den Landtag Mecklenburg-Vorpommern. Der Einbau eines neuen Plenarsaals erwies sich für die Architekten Dannheimer & Joos als ein Auftrag von weit größerem Ausmaß, als noch im Wettbewerb vorstellbar: Hinter unverdächtigen Verkleidungen aus DDR-Zeiten trat ein schwierig zu entschlüsselndes konstruktives Geflecht aus tausend Jahren Bauen auf labilem Untergrund zu Tage.


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Im neuen Plenarsaal können die Bürger ihren Abgeordneten von den Balkonen „auf die Finger schauen“.
    Foto: Jens Passoth

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    Im neuen Plenarsaal können die Bürger ihren Abgeordneten von den Balkonen „auf die Finger schauen“.

    Foto: Jens Passoth

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    Blick auf Burgsee- und Schlossgartenflügel des Schweriner Schlosses
    Bild: Architekten

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    Blick auf Burgsee- und Schlossgartenflügel des Schweriner Schlosses

    Bild: Architekten

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    Foto: Jens Passoth

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    Die Besucherbereiche befinden sich im vierten Obergeschoss.
    Foto: Jens Passoth

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    Die Besucherbereiche befinden sich im vierten Obergeschoss.

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    Helles Eschenholz-Parkett wurde im dritten Obergeschoss verlegt. Die Lobbies stellen auch gestalterisch eine Übergangszone zwischen dem modernen Plenarsaal, den Räumen des Schlossmuseums und der Roten Marmortreppe her.
    Foto: Jens Passoth

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    Helles Eschenholz-Parkett wurde im dritten Obergeschoss verlegt. Die Lobbies stellen auch gestalterisch eine Übergangszone zwischen dem modernen Plenarsaal, den Räumen des Schlossmuseums und der Roten Marmortreppe her.

    Foto: Jens Passoth

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    Seit dem Umzug in den neuen Plenarsaal tagen die Landtagsabgeordneten in Kreisform; für die Architekten die naheliegendste Sitzordnung für ein demokratisches Parlament.
    Foto: Jens Passoth

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    Seit dem Umzug in den neuen Plenarsaal tagen die Landtagsabgeordneten in Kreisform; für die Architekten die naheliegendste Sitzordnung für ein demokratisches Parlament.

    Foto: Jens Passoth

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„Muddekegel“ - das Wort allein kann ein mulmiges Gefühl in der Magengegend auslösen; jenes schmatzende Geräusch ins Ohr zaubern, mit dem unergründlich dunkler Morast allzu Schweres schlicht verschluckt. Dass das Schweriner Schloss, dieser mecklenburgische Traum von Chambord, auf einem solch wenig Vertrauen schenkenden Grund erbaut ist, überrascht nicht, angesichts all des Wassers drumherum; tatsächlich sinkt es jährlich drei, vier Millimeter tiefer.

Andererseits: Es steht schon über 1000 Jahre dort, auf seiner Insel im See vor der Stadt; immer wieder umgebaut und erneuert. Die Bauphasen des 16., vor allem aber des 19. Jahrhunderts, als Großherzog Friedrich Franz II. seine Residenz nach Plänen von Demmler, Semper, Stüler und Zwirner im Stil der Neo-Renaissance erneuern ließ, prägen seine heutige Gestalt. Was man nicht sieht: Zwei Trakte des Schlosses, der nach Nordwesten, zur Stadt, blickende Burgsee- und der nach Südwesten ausgerichtete Schlossgartenflügel, wurden im 20. Jahrhundert verwüstet, beim Brand des Schlosses im Jahr 1913. Ihr Äußeres war rasch wiederhergestellt, der Innenausbau aber zog sich über Jahrzehnte. Im Burgseeflügel wurde 1949 ein Raum für den Landtag geschaffen, jener langgestreckte Saal, in dem die Abgeordneten bis vor kurzem noch in Reihenbestuhlung tagten und den sie aufgrund seiner Proportion auch als „Bus“ bezeichneten. Die letzte, im wahrsten Sinne schwerwiegende Maßnahme war Anfang der siebziger Jahre der Einbau einer Betonkonstruktion für einen Konzertsaal im Schlossgartenflügel, und zwar im Bereich des ehemaligen „Goldenen Saals“, jenes opulent ausgestatteten Festsaals, der sich bis zum Brand im dritten und vierten Obergeschoss dieses Trakts erstreckte – just dort, wo seit En­-de September letzten Jahres die Landtagsabgeordneten in ihrem neuen Plenarsaal zusammenkommen.
Das Tückische an dem speziellen Baugrund schildert Architekt Tilman Joos, welcher mit seiner Büropartnerin Veronika Dannheimer den Plenarsaal als Sieger des 2010 ausgelobten Wettbewerbs gestaltet hat, mit dem Bild eines Schwamms: Drückt man drauf, wird er komprimiert, entlastet man ihn, dehnt er sich wieder. Die mit dem Einbau des neuen Plenums – den alten Saal im Burgseeflügel bezeichnete Norbert Lammer in seiner Rede zur Einweihung des neuen als „bescheidenste Unterkunft“ eines deutschen Parlaments überhaupt – verbundene Erneuerung des Schlossgartenflügels war für die Münchner Architekten mithin eine Gleichgewichtsübung: Das Hinzukommende durfte nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht sein, um das Ganze nicht instabil werden, das Schloss weder Absinken noch Auftreiben zu lassen. Über den zahlreichen konstruktiven Schwierigkeiten aber stand die Frage, wie mit den verschiedenen historischen Schichten umzugehen sei; was gezeigt, was bewahrt, was nur dokumentiert werden sollte: Weiterbau ist immer auch Wertung des Vorgefundenen.
Von den Widrigkeiten, die noch immer den Fortgang des Projekts bestimmen (und hier und da auch bremsen) – als nächster Bauabschnitt wird seit 2016 der alte Plenarsaal im Burgseeflügel für Fraktions- und Konferenzräume umgestaltet und dabei seiner ursprünglichen Raumform wieder angenähert –, ahnt der Besucher nichts, der über die 1927–36 von Architekt Paul Ehmig (1874–1938) erbaute „Rote Marmortreppe“, das Haupttreppenhaus zwischen Burgsee- und Schlossgartenflügel, das Schlossmuseum besucht und am Ende des Besuchs, auf dem Weg zum Ausgang, auch am Plenarsaal des Landtags vorbeikommt – sofern dort nicht gerade die Abgeordneten tagen und die Sperrung dieses Bereichs nötig machen. Dies ist das auf den ersten Blick vielleicht Auffälligste des für knapp 30 Millionen Euro erneuerten Landtags: seine sprichwörtliche Bürgernähe aufgrund der Nachbarschaft von Besucher- und Parlamentsbereichen, der Sichtbeziehungen zwischen den Räumen und den teilweise von beiden Gruppen benutzbaren Lobbies und Treppen – das Abtrennungen bei Bedarf vorgenommen werden können, versteht sich von selbst. Sichtbarstes Zeichen der Zugewandtheit des Parlaments: Die Besuchertribünen hängen als Balkone über dem Plenum und sind auf diese Weise Teil des Raums – den Parlamentariern lässt sich von dort nicht nur zuschauen, sondern auch zuhören, der sorgfältig austarierten Akustik sei Dank. Wer eine Sitzung verfolgen will, erreicht über die „Rote Marmortreppe“ das zweite Obergeschoss und von dort über die neu eingebaute „Weiße Marmortreppe“ die Besucherbalkone im vierten Obergeschoss – die Ebene 3 ist an Sitzungstagen den Abgeordneten vorbehalten.
Die zweite Auffälligkeit des Saals ist seine feingliedrige Gestaltung mit einer Art Vorhang aus weißen Lamellen – Aluminiumwabenkernplatten, die der erwähnten Akustik dienen, aber auch die beim Brand zerstörte Wandgliederung des Goldenen Saals, seine Pilaster, Gesimse und Kanneluren, in äußerst reduzierter Form nachzeichnen. Hinter ihnen schimmert, gold gestrichen, das alte, vom Brand und den verschiedenen Aus- und Umbaumaßnahmen versehrte Mauerwerk.
Dass der Besucher diese Aspekte des Umbaus rasch wahrnimmt, liegt auch daran, dass das Raumgefüge selbst zu wenig Irritationen Anlass bietet – Neues fügt sich bruchlos in das Bestehende ein. Das allerdings ist ein direkter Erfolg der Planung. Denn die Eingriffe in den Bestand waren um einiges größer, als auf den ersten Blick zu ahnen; über ein neues Interior Design gingen sie jedenfalls weit hinaus. Eine dieser Maßnahmen war der Rückbau von rund 300 Tonnen Stahl­beton, mit denen 1972 der Konzertsaal längs zur Fassade in den Rohbau des einstigen Goldenen Saals gegossen wurde, sodass sich der neue Plenarsaal über die Querachse aufbauen und den Sichtbezug zwischen Hof und Schlossgarten wieder herstellen kann – Dannheimer und Joos wollten die in Grundriss und Schnitt ursprünglich angelegten Wege- und Sichtbeziehungen reaktivieren. Verkehrsflächen und Lobbies liegen demgemäß zum Innenhof, auf der Außenseite wurde die Enfilade der Säle wieder erlebbar gemacht. Eine andere Maßnahme war es, die im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Brand veränderten Fußböden wieder auf das ursprüngliche Niveau zu bringen, so dass die Fensterbrüstungen wieder zum Inneren passen und auch eine barrierefreie Erschließung gegeben ist. Schließlich: eine der demokratischen Verfassung gemäße, kreisförmige Sitzordnung in den rechteckigen Grundriss einzupassen, ohne ein Gefühl von Beengtheit aufkommen zu lassen. Dass Architekt Joos von Politiker-Bemerkungen über eine „sich verändernde Debattenkultur“ berichten kann, ist wohl der größte Erfolg, der sich mit einem solchen Auftrag erzielen lässt.



Fakten
Architekten Dannheimer & Joos, München
Adresse Lennéstraße 1, 19053 Schwerin


aus Bauwelt 15.2018
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