Wohnblock Bindermichl in Linz
Schon lange widmet sich der Architekt Franz Riepl dem Geschosswohnungsbau. Zuletzt ergänzte er im österreichischen Linz einen Superblock des Bindermichl vom Anfang der 1940er Jahre mit einer neuen Raumschicht und fünfzig Wohnungen im Dachgeschoss.
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
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Die Loggien stehen als „Kalte Bauten“ eigenständig vor den Fassaden des Wohnhofs.
Luftfoto: WAG
Die Loggien stehen als „Kalte Bauten“ eigenständig vor den Fassaden des Wohnhofs.
Luftfoto: WAG
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Da die Grundriss- und Fensterfolgen des Bestands variieren, wurden die Loggienfassaden entsprechend differenziert.
Foto: David Schreyer
Da die Grundriss- und Fensterfolgen des Bestands variieren, wurden die Loggienfassaden entsprechend differenziert.
Foto: David Schreyer
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Die Erschließung der nun barrierefreien Wohnungen erfolgt über das Treppenhaus von der Straße ...
Foto: Mieter einer Dachgeschosswohnung
Die Erschließung der nun barrierefreien Wohnungen erfolgt über das Treppenhaus von der Straße ...
Foto: Mieter einer Dachgeschosswohnung
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... und vom Hof sowie über die neu angefügten Aufzüge im Hof.
Foto: Mieter einer Dachgeschosswohnung
... und vom Hof sowie über die neu angefügten Aufzüge im Hof.
Foto: Mieter einer Dachgeschosswohnung
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Die Aufzüge haben zwei Türen zu den Loggien, da-mit sie unabhängig erreicht werden können.
Foto: Mieter einer Dachgeschosswohnung
Die Aufzüge haben zwei Türen zu den Loggien, da-mit sie unabhängig erreicht werden können.
Foto: Mieter einer Dachgeschosswohnung
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Im gesamten Hof (200 x 100 m) wurde eine Raumschicht mit Loggien, Terrassen und Aufzügen ergänzt.
Foto: David Schreyer
Im gesamten Hof (200 x 100 m) wurde eine Raumschicht mit Loggien, Terrassen und Aufzügen ergänzt.
Foto: David Schreyer
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Das Dach mit weiteren Wohnungen entstand neu.
Foto: David Schreyer
Das Dach mit weiteren Wohnungen entstand neu.
Foto: David Schreyer
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Nicht nur die Fassaden zum Hof, sondern auch ein Gebäuderiegel entlang der Straße Im Kreuzlandl westlich des Hofs erhielt eine neue Raumschicht
Foto: David Schreyer
Nicht nur die Fassaden zum Hof, sondern auch ein Gebäuderiegel entlang der Straße Im Kreuzlandl westlich des Hofs erhielt eine neue Raumschicht
Foto: David Schreyer
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Südost-Gebäudeecke Stadlerstraße/Am Bindermichl.
Foto: David Schreyer
Südost-Gebäudeecke Stadlerstraße/Am Bindermichl.
Foto: David Schreyer
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Die Höfe werden über bescheidene Durchgänge erreicht. Am zentralen Zugang sind drei Torbögen nebeneinander angeordnet. Alle Fassaden zur Straße wurden bereits zuvor mit aufgebrachtem Wärmeschutz saniert und erhielten neue Fenster.
Foto: David Schreyer
Die Höfe werden über bescheidene Durchgänge erreicht. Am zentralen Zugang sind drei Torbögen nebeneinander angeordnet. Alle Fassaden zur Straße wurden bereits zuvor mit aufgebrachtem Wärmeschutz saniert und erhielten neue Fenster.
Foto: David Schreyer
„Mein Haus ist mein Hof, von dem ich glaube, dass er mich auf mein Ziel konzentrieren und so wenig als möglich konfus machen wird. Jahrhundertealt, mit dem besten Komfort ausgestattet. … acht, neun gänzlich trockene Zimmer, Küche und Bad angeschlossen an die Ortswasserlei-tung, ein gutes Mittel gegen die geistige Schwindsucht.“ Mit diesen Worten beschreibt Thomas Bernhard 1965 sein Verhältnis zum kürzlich erworbenen Hof. Gleichwertig sind ihm physikalische Qualitäten, Lage, Alter, Komfort und geistige Dinge.
Um diese Zeit beginnt Franz Riepl, Landsmann und fast aufs Jahr Zeitgenosse von Bernhard, sein Werk als Architekt. Keine hundert Kilometer von dessen Haus entfernt wächst er auf dem Land auf, ist vertraut mit Tier und Mensch, mit Wirtschaften und Landschaft. Kornkammer des Landes und Mittelpunkt der Viehzucht – hier sind Bauernhöfe prägend, die zu den eindrucksvollsten Europas zählen: die Oberösterreichischen Vierkanter, Zeugen einer blühenden Bauernkultur. So einen Hof nennt Bernhard sein Eigen – ein Bautyp von grundlegender Konstanz.
Wohnen, Arbeiten, Gemeinschaft stimmen zusammen. Das ist Riepls kultureller Hintergrund, den er mit Begriffen wie Gebräuchlichkeit und Griffigkeit präzisiert. Am Land zählt, was der Fall ist. „Man hat nicht das Ausgefallene gesucht, sondern das Alltägliche kultiviert.“ So versteht er das Bauen, und das kreist bei ihm ums Wohnen. Bis heute, im hohen Alter von 88 Jahren. So konnte er kürzlich in Linz ein großes Wohnprojekt vollenden, das ganz seine Handschrift trägt.
Linz wurde ab den späten 1930er Jahren systematisch zum Standort der Schwerindustrie ausgebaut durch die Reichswerke Hermann Göring, später VÖEST. Für die neue, in die Tausende gehende Belegschaft musste Wohnraum geschaffen werden – für die in der Stahlerzeugung typische Arbeiteraristokratie bis zum Ingenieur. Die Industrieanlage entstand südöstlich der Stadt zwischen Donau und Bahnkörper; direkt daneben wuchsen, getrennt durch die Bahn, umfangreiche Wohngebiete südlich der Altstadt. Eines ist die Anlage Bindermichl, mit alleine 1500 Wohnungen.
Im Unterschied zur Stadtplanung der „Führerstadt“, die Roderich Fick (1886–1955) verantwortet, agiert die Industrie mit angeschlossener Wohnungsbaugesellschaft (WAG) in relativer Planungsautonomie. Chefarchitekt ist Herbert Rimpl (1902-1978), der mit den Heinkel-Werken als Vorzeigeobjekt der Industriemoderne des Dritten Reichs hervorgetreten war. Fürs erste geht es um 7000 Wohnungen für 30.000 Bewohner. Kernstück ist der Bindermichl.
Den Namen verdankt die Anlage einem Bauernhof, der weichen musste – wie manch anderer hier, ein typischer Vierkanter. Das wird städtebaulich relevant. Das gesamte Quartier ist in großen, rechteckigen Höfen – regelrechten Superblocks – organisiert, Anspielung auf vertraute Bauformen der neuen, vorwiegend vom Land zugezogenen Bewohner. Die Höfe von rund 200 x 100 Metern sind von dreigeschossigen Wohnbauten mit Satteldach eingefasst. Geringe Bautiefe erlaubt durchgehend querbelichtete Wohnungen bescheidener Größe mit Bad und separater Küche. Die Zweispänner sind von Straße und Hof erschlossen.
Die verputzten Mauerwerksbauten kommen mit nur einem Fensterformat aus, das, lediglich bei den Treppenhäusern verspringend, gereiht zum nüchternen, manche sagen: modernen, Eindruck der Anlage beiträgt. Wenig Architekturdetails – mal ein Erker, Steingewände der mittig angeordneten Tore zum Hof, Sockel und Putzfaschen, -lisenen, -gesimse – stellen den Bezug zum klassischen Vorbild her; dazu kommen einst fein gearbeitet Kastenfenster und kleine Gauben in den ruhigen Flächen der steilen Dächer.
Das Bauprogramm – in fünf Jahren 11.000 Wohnungen insgesamt – behob die seit dem Ersten Weltkrieg anhaltende Wohnungsnot. Entsprechende Zustimmung fanden die erschwinglichen Wohnungen, auch wenn mitunter, der Kriegswirtschaft geschuldet, einfachste Ausführung hinzunehmen war und die Arbeiten zu einem erheblichen Teil von Zwangsarbeitern erbracht wurden. Nach dem Krieg, die WAG war nun WAG Linz, wurde weitergebaut; Wohnungszuteilung und Immobilienverwertung wurden zur Domäne des nun roten Linz. Bei anhaltender Beliebtheit meldeten sich Ende des letzten Jahrhunderts neue Ansprüche. Klima-Ertüchtigung, Behindertengerechtigkeit und privater Freiraum sind die wichtigsten Stichworte. Hier kommt Architekt Franz Riepl ins Spiel. Seit dem Jahr 2000 ist er für die WAG mit derartigen Projekten befasst. Dabei zieht sich, unbeeindruckt von Architekturmoden, seine Haltung durch: Auszugehen ist von dem, was der Fall ist, und das gilt es zu respektieren. So auch bei der modellhaften Ertüchtigung einer der Höfe des Bindermichl, dem umfangreichsten seiner derartigen Projekte. Wie immer beim Bauen im Bestand erweist sich die Planung als komplizierter als angenommen, dennoch gelang eine zügige Durchführung: 2016 ist Planungsbeginn, 2018 wird mit dem Bau begonnen, 2020 war Fertigstellung.
Der Entwurf folgt einer klaren Hierarchie von Prämissen. Zuerst: Die Höfe bleiben frei von Nachverdichtung. Diese geschieht an der Innenseite der Randbebauung durch eine zusätzliche Raumschicht. Dadurch bleibt die äußere Erscheinung der Blocks unbeeinträchtigt – sieht man vom vorher aufgebrachten Wärmeschutz und zeitbedingten Isolierfenstern ab. Das gilt im Wesentlichen auch für die Dächer; lediglich in der Dachschräge werden sie verlängert, bedingt durch die größere Haustiefe infolge der zusätzlichen Raumschicht. Das schafft zusätzlich Raum; das so gewonnene Wohngeschoss kompensiert die vermiedene Inanspruchnahme der Höfe.
Die kultivierte Nüchternheit des Äußeren bleibt so erhalten. Die neue Raumschicht im Hofinnern antwortet mit gleicher Haltung, ohne auch nur ein Detail zu wiederholen. Sie stellt für alle Wohnungen privaten Freiraum zur Verfügung sowie eine neue Vertikalerschließung durch Aufzüge. Dem Duktus der Anlage folgend, ist diese Struktur entwickelt als Massivbau mit Loggien und Türmen, die die Aufzüge bewusst verbergen, statt sie als technisches Artefakt zu exponieren. Das oberste Geschoss hat offene Terrassen, wodurch die Türme betont werden. Diese rhythmisieren den langen Baukörper und betonen den zentralen Zugang, als sei es ein kleiner Karl-Marx-Hof.
Der Innenhof erhält dank der Loggien eine offene, belebte neue Fassade. Das ist bemerkenswert, ist es doch das strenge Quadrat, das die einzige Grundfigur bildet. Dennoch stellt sich keine Eintönigkeit ein – genau besehen lebt die vermeintlich monotone Struktur von feiner Variation der Grundfigur; dazu vom Rhythmus von geschlossener Wand, Pfeiler und Öffnung, von weißen Putzflächen und tiefem Schatten der Loggien. Deren neue Formate unterstreichen gar die Weite des großen Hofs.
Die Operation fand am lebenden Patienten statt – kein Bewohner musste seine Wohnung verlassen. Eingriffe in den Wohnungen gab es nur auf Wunsch der Bewohner. Die wesentliche Maßnahme betraf den behindertengerechten Zugang. Da das Zwischenpodest der Treppen an der Außenwand liegt, war ebener Zugang vom Aufzug nur durch den direkten Anschluss an die Loggia möglich. Somit sind die Wohnungen heute übers Treppenhaus und die Loggia erschlossen. Ob die Bewohner neben einer Loggiatür Fenster oder Fenstertüren wünschten, stand ihnen frei; die Mehrheit wählte Letztere.
Kaum verwunderlich, wie wenig Fluktuation es gab. Wenn, dann bemerkenswerterweise dergestalt, dass Bewohner sich um die neu entstandenen Wohnungen im obersten Geschoss bewarben. Die Wohnungen im Erdgeschoss haben Loggien mit Brüstungen wie oben, sind aber zusätzlich durch eine Ligusterhecke vom öffentlichen Hof abgeschirmt.
Was auch gestalterisch bewältigt sein will. Da zeigt sich einmal mehr Riepls Haltung. Entscheidend sind die großen Bäume, die freien Wiesen. Zum Rand hin finden sich kleine Pavillons – Platz für Müll und Fahrräder. Einfache Konstruktionen aus verzinktem Stahl; Rohrstützen, warmgewalzte Doppel-T Träger, darauf ein auskragendes Stahlblech und Dachbegrünung (wegen der Draufsicht); die Wände mit Gitterrosten, berankt. Und im Zentrum des Hofs: ein Gemeinschaftspavillon in gleicher Machart, vierfache Größe, mit erhöhtem Mittelschiff.
Dieses feine, doch robuste Gebilde, ganz modern im Material und doch klassisch gegliedert, ist ein Beispiel für Riepls Kultivierung des Alltäglichen, der bereits genannten Griffigkeit, womit er den unverkünstelten Zugang einerseits meint, andererseits ausführt: „Es überfordert dich nicht. Das Griffige erzeugt beim Angreifen ein Wohlgefühl. Es ist nicht so präzise, dass es dir wehtut. Wenn man sich mit den Bauaufgaben des Alltags wirklich beschäftigt, lernt man diese Qualitäten erkennen und nutzen.“
Seit der Fertigstellung steigt die Nachfrage nach den Wohnungen. Die gebräuchliche Wohnung mit heutigem Komfort, die fast ländliche Ruhe des großen Hofs, der Bestand alter Bäume, die direkte Stadtnähe – das sind Qualitäten mit Alleinstellungsmerkmalen.
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