Wohnheim auf Seeland
Kann Architektur heilen? Im Wohnheim Stubberupgård von Leth & Gori auf Seeland finden psychisch Erkrankte räumliche Ruhe.
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
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In die Feldsteinfassade des ehemaligen Pferdestalls wurde ein neues Fenster mit einem Durchmesser von 1,80 Metern eingelassen. Die früheren Öffnungen wurden als Spuren der Transformation beibehalten.
Foto: Laura Stamer
In die Feldsteinfassade des ehemaligen Pferdestalls wurde ein neues Fenster mit einem Durchmesser von 1,80 Metern eingelassen. Die früheren Öffnungen wurden als Spuren der Transformation beibehalten.
Foto: Laura Stamer
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Im Vordergrund der Neubau, gegenüber das Wohngebäude aus den 1930er Jahren, ganz hinten der alte Witwensitz
Foto: Laura Stamer
Im Vordergrund der Neubau, gegenüber das Wohngebäude aus den 1930er Jahren, ganz hinten der alte Witwensitz
Foto: Laura Stamer
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Gemeinschaftsküche
Foto: Laura Stamer
Gemeinschaftsküche
Foto: Laura Stamer
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Die Deckenhöhe in den neuen Wohnungen ist vom Querschnitt des frü-heren Pferdestalls definiert. In den Wohnzimmern ist sie knapp fünf Meter, in den Schlafzimmern 2,85 Meter.
Foto: Laura Stamer
Die Deckenhöhe in den neuen Wohnungen ist vom Querschnitt des frü-heren Pferdestalls definiert. In den Wohnzimmern ist sie knapp fünf Meter, in den Schlafzimmern 2,85 Meter.
Foto: Laura Stamer
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Die Wohnungen sind mit tragender Innenschale ausgeführt. Die Fassaden des Neubaus sind als Schale mit sanft gestrichenen Ziegeln im dänischen Normalformat gemauert.
Foto: Laura Stamer
Die Wohnungen sind mit tragender Innenschale ausgeführt. Die Fassaden des Neubaus sind als Schale mit sanft gestrichenen Ziegeln im dänischen Normalformat gemauert.
Foto: Laura Stamer
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Die neuen runden Fenster verweisen auf die historischen runden Fenster in Giebeln ...
Foto: Laura Stamer
Die neuen runden Fenster verweisen auf die historischen runden Fenster in Giebeln ...
Foto: Laura Stamer
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... und Fassaden der Hofflügel.
Foto: Laura Stamer
... und Fassaden der Hofflügel.
Foto: Laura Stamer
Architektur und Krankheit greifen ineinander. Städte, Landschaften, Häuser und Möbel können krank machen, aber auch zur Genese beitragen. Wenn Räume Krankheit antizipieren und lindern, können sie Bedeutung für die seelische Gesundheit und die Sozialarbeit haben. Obwohl eine systematische Erforschung der Zusammenhänge rar ist, weisen Studien darauf hin, dass Architektur Einfluss auf das Wohlbefinden haben kann. Zahlen belegen die Wirkung, die beispielsweise der Umzug von Patientinnen aus Mehrbettzimmern und engen Fluren in maßgeschneiderte Um- oder Neubauten haben kann: Die Notwendigkeit von Zwangsbehandlung oder Beruhigungsmitteln sinkt. Behandlungsempfänglichkeit und Respekt durch Architektur aufzubauen ist also relevant für ein Land wie Dänemark, das über zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts für Gesundheit ausgibt und sich damit unter den EU-Staaten befindet, die den höchsten Anteil für das Gesundheitssystem bezahlen – mit Deutschland als Spitzenreiter.
Gedämpft
Stubberupgård ist eine Wohneinrichtung für Menschen mit psychischen Störungen wie Angstzuständen, Depressionen oder Schizophrenie und gehört zur kommunal verwalteten Sozialpsychiatrie. Es befindet sich im ländlichen Raum, in der Mitte von Seeland, sechzig Kilometer südwestlich von Kopenhagen. Als die Architekten Uffe Leth und Karsten Gori als Teil eines Rahmenvertrags mit der Projektarbeit begannen, fanden sie hier einen heterogenen Gebäudekomplex aus freistehenden älteren und jüngeren Häusern und Scheunen. Stubberupgård war einst ein Witwensitz, dessen Hauptgebäude 1874 entstand. In den 1930er Jahren wurde er von der Kommune Kopenhagen übernommen. Wahrscheinlich wurde der Hof wegen seiner naturschönen Lage als Wohnsitz für Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgewählt.
Die Aufgabe war es, 44 Wohnungen um- und 14 neuzubauen. Dabei entstanden nicht mehr Wohnungen, sondern kleine Wohnungen wurden zu größeren zusammengelegt. Jedes Zimmer verfügt nun über ein eigenes Bad sowie eine Kochnische. Auch Gemeinschaftsräume und Büros wurden modernisiert.
Zentral im Konzept der Architekten war die Wiederherstellung der Verbindungen zwischen den Gebäuden, um den Anlagencharakter des früheren Hofes zu verstärken, der aufgrund von mehreren Abrissen verwischt worden war. Der Neubau wurde deshalb als ost-westlich orientierter Flügel angelegt, der sich an einen alten Pferdestall in der Mitte koppelt und die zwei Höfe zwischen Gründerzeitvilla gen Westen, Steinscheune gen Osten und dazwischen ein Haus aus den 1930er Jahren nun Richtung Norden abschließen. Die neuen Wohnungen sind, mit eigenem Eingang je Zimmer, in einem langen Reihenhaus untergebracht. Die Materialität erzeugt mit Decken aus Holzbetonplatten und Wänden aus leicht verputzten Kalksandsteinblöcken einen Eindruck von Einfachheit und Rohheit. Mit dem Argument, die Höhe des historischen Pferdestalls aufzugreifen, konnten für betreutes Wohnen außergewöhnlich hohe Räume geschafft werden.
Das Hauptgebäude war heruntergekommen und davon geprägt, fast ein Jahrhundert als Einrichtung funktioniert zu haben. Was verbaut war, wie beispielsweise das Vestibül, legten die Architekten so weit wie möglich frei, das Blau und Rosa der historischen Farbpalette belebten sie in gedämpfter Form wieder. Das Erdgeschoss erinnert stellenweise an das Stadtmuseum Kopenhagens, das Leth & Gori 2020 mit Blick für ornamentale Besonderheiten renoviert haben. Im Dreißigerjahre-Haus unterteilten sie einen langer, durchgehender Flur durch zwei Treppenhäuser.
Abschalten
Die Architekten arbeiteten mit Authentizität, Wärme und Kleinteiligkeit, um Häuslichkeit und Ruhe herzustellen. Den institutionellen Charakter ist Stubberupgård nicht ganz losgeworden, aber er wird durch das architektonische Gesamtkonzept und Details wie Tageslicht, markierte Bullaugen oder untypische Farbtönen überall perforiert und poetisch aufgeweicht. Nur der Hof wurde wenig gestaltet, die Eingänge zu den Wohnungen im Neubau bilden eher abrupte Übergänge zwischen privatem und öffentlichem Raum. Karsten Gori ist sich des Imperfekten, aber auch des begrenzten Budgets bewusst. Statt auf Finish zu fokussieren, sind Spuren des Umbaus hinterlassen, die Architekten haben sich jedoch gefragt, ob sie mehr Zeitlayer hätten beibehalten sollen, statt das Originale zu favorisieren. Flächen und Materialien stoßen unvermittelt aufeinander, ähnlich wie bei einem weiteren Umbau von Leth & Gori, dem „Elefantenhaus“, einer alten Kapelle zum Krebszentrum in Kopenhagen (2018). Das Neue verschmilzt nicht nahtlos mit dem Alten, sondern hebt sich auch ab; dennoch bilden beide ein Ganzes.
Über ihre Wohnprojekte für Obdachlose und psychisch Erkrankte haben Leth & Gori Erfahrung gesammelt, Architektur fürsorglich zu gestalten und Räume für die Schwachen der Gesellschaft zu schaffen. Was sagen die Nutzer zur Erneuerung, was hat sie gebracht? Entspannung und Stolz, antwortet die Leiterin von Stubberupgård. Weil die Bewohner jetzt alle ein eigenes Bad und mehr Platz sowohl für sich als auch gemeinsam haben, komme es seltener zu Konflikten. Weder produziert noch löst Architektur soziale oder psychische Probleme. Sie kann aber katalytisch die therapeutische Arbeit fördern und das Leben der „Outsider“ der Gesellschaft entmystifizieren.
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