Bauwelt

Wohnturm Arbre Blanc in Montpellier


Am Ufer des Flusses Lez in Montpellier erhebt sich ein neues Hochhaus. Sou Fujimoto und die Architekturbüros Nico­-las Laisné und OXO haben diesen „weißen Baum“ als Bestandteil der städtischen Initiative „Folies du XXIe siècle“ entworfen.


Text: Landes, Josepha, Berlin


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    L’arbre Blanc steht in Sichtbezug zu Jean Nouvels Rathaus von 2011, einem schwarzen Block. Am Horizont dahinter schimmert ein Streifen Mittelmeer.
    Foto: Cyrille Weiner

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    L’arbre Blanc steht in Sichtbezug zu Jean Nouvels Rathaus von 2011, einem schwarzen Block. Am Horizont dahinter schimmert ein Streifen Mittelmeer.

    Foto: Cyrille Weiner

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    L’Arbre Blanc ist Nachbar der Regionalverwaltung, einem Gebäude, das den Abschluss von Ricardo Bo­fills 80er-Jahre-Projekt Antigone bildet.
    Foto: Cyrille Weiner

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    L’Arbre Blanc ist Nachbar der Regionalverwaltung, einem Gebäude, das den Abschluss von Ricardo Bo­fills 80er-Jahre-Projekt Antigone bildet.

    Foto: Cyrille Weiner

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    Die Wege entlang des Lez sind beliebt für Outdoor-Aktivitäten. Auch die Architektur des sich im Fluss spiegelnden Arbre Blanc appelliert an die Öffnung nach draußen: große Terrassen und vollflächig
    öffnende Fenster verbinden die Wohnräume mit den weitläufigen und teilweise untereinander verbundenen Terrassen.
    Foto: Cyrille Weiner

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    Die Wege entlang des Lez sind beliebt für Outdoor-Aktivitäten. Auch die Architektur des sich im Fluss spiegelnden Arbre Blanc appelliert an die Öffnung nach draußen: große Terrassen und vollflächig
    öffnende Fenster verbinden die Wohnräume mit den weitläufigen und teilweise untereinander verbundenen Terrassen.

    Foto: Cyrille Weiner

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    Die filigrane Hängekonstruktion lässt die Balkone nahe­-zu schwerelos ...
    Foto: Cyrille Weiner

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    Die filigrane Hängekonstruktion lässt die Balkone nahe­-zu schwerelos ...

    Foto: Cyrille Weiner

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    ... über den Lez und die angrenzende Bebauung ragen.
    Foto: Cyrille Weiner

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    ... über den Lez und die angrenzende Bebauung ragen.

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    Im Erdgeschoss und auf dem Dach haben Funktionen für die Öffentlichkeit und die Hausgemeinschaft Platz.
    Foto: jl

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    Im Erdgeschoss und auf dem Dach haben Funktionen für die Öffentlichkeit und die Hausgemeinschaft Platz.

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    Das Restaurant „L’Arbre“ und die Galerie „La Serre“, respektive Roof-top-Bar bzw. Dachterrasse nebst Küche, exklusiv für die Bewohner.
    Foto: jl

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    Das Restaurant „L’Arbre“ und die Galerie „La Serre“, respektive Roof-top-Bar bzw. Dachterrasse nebst Küche, exklusiv für die Bewohner.

    Foto: jl

Wahnwitzig, was sich die Franzosen früher geleistet haben: Die Lustschlösser der Noblesse von Montpellier etwa stellen die Extravaganz ihrer Bauherrschaft, des Adels und der Beamten des Ancien Régime, als „Folies montpelliéraines“ ganz selbstbewusst zur Schau. Die Schlösser, im 18. Jahrhundert als Landsitze und Lustgärten rund um die südfranzösische Stadt errichtet, liegen mittlerweile innerhalb des Stadtgebiets und sind Tourismusattraktionen. Einige der heutigen Besitzer bieten kulinarische Kurse, andere Gästezimmer feil. Denn die Königstreuen fielen bekanntlich im Jahr 1789, woran der Wahnwitz nicht ganz unbeteiligt war.
Warum in der Vergangenheit haften bleiben, dachte sich die Stadt, wo doch auch das Hier und Jetzt verrückt genug ist. Die 2013 ausgerufene Initiative „Folies du XXIe siècle“ schreibt sich dabei ein in eine bereits seit den Siebziger Jahren progressiv gedachte Stadtplanung. Seit dem Algerienkrieg und der Machtübernahme Francos in Spanien ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen war, schreitet die Stadterweiterung schnellen Schritts voran. Projekte wie das brutalistische Ensemble aus dem mittlerweile zweckentfremdeten Rathaus (1974–75) von Jean-Claude Deshons und Philippe Jaulmes und dem daneben, am Place de la Comédie, aufragenden dreieckigen Hochhaus „Triangle“ (1970) von Pierre Tourre, mit Wohnungen, einem Hotel und Geschäften, waren ebenso wie das angrenzende Einkaufszentrum „Polygone“ (1975) und das sich dahinter entfaltende postmoderne Wohnquartier Antigone (1989) von Ricardo Bofill Versuche, mit großer architektonischer Geste an das strahlkräftige Erbe der Stadt anzuknüpfen und gleichzeitig Stadterweiterung voranzutreiben. Sie machten jeweils Militärflächen nutzbar und prägen heute das spannungsvolle Bild Montpelliers, im Spagat zwischen Alt und Neu.
Mittlerweile fußt die Stadtentwicklung auf dem „Schéma de Cohérence Territoriale“ (SCoT), das Montpellier als Metropolregion inklusive 31 Umlandgemeinden versteht, und, dank fortschrittlicher partizipativer Ansätze und Landschaftsschutzbestrebungen, als Vorzei­gestrategie gilt. In dieses Leitbild gebettet sollen nun spektakuläre Wohnhochhäuser als neue „Folies“ her. Elf Stück sind geplant, zwei davon bis dato realisiert. Das Eindrucksvollere ist zweifellos Nummer zwei, der „Arbre Blanc“ am Ufer des Flusses Lez, vis-à-vis von Antigone. Das Wohnhochhaus ist ein Projekt der Architekten Sou Fujimoto, Nicolas Laisné und OXO. Sie hatten den Entwurf 2015, entsprechend der Wettbewerbsbedingungen, gemeinsam mit den Projektentwicklern Proméo und Evolis, nebst der Unterstützung eines Bankhauses, vorgelegt. Die Stadt fungiert in Sachen „Folies“ als Initiator.

Ein bewohnter Baum

Rund um den Turm, der sich über einer nierenförmigen Grundform erhebt, schießen wild weite,weiße Balkone hervor. Sind sie Borkenpilze oder Äste dieses weißen Baumes? Das ist ungewiss. Was erstaunt ist ihre Zartheit, ist die Reduktion ihrer Konstruktion. Von schmalen Zuggliedern gehalten, ragen die Balkone bis zu sechs Meter hinaus, teilweise sind sie untereinander verbunden, alle sind sie offen für Sichtbezüge zu den Nachbarn und einen Blick über die Stadt. In schwindelerregender Höhe wohnt diesem vertikalen Garten aus Balkonen, mit nichts weiter als netzartigen Geländern geschützt, eine unerhörte Leichtigkeit inne. Nach Süden bildet sich die Silhouette der Sechziger Jahre-Wohnstadt La Grand Motte gegen den Horizont ab, glänzt ein feiner Streifen Mittelmeer. Im Nordosten liegt der Stadtkern Montpelliers, die Mittelachse von Antigone, lässt sich nachvollziehen bis zum Triangle. Dahinter piken die mitelalterlichen Kirchtürme den Himmel.
Die Größe der Balkone variiert. Auch ihre Setzung zueinander, die Winkel, in denen sie zur Fassa­de stehen, wirkt beliebig. Was auf den ersten Blick an einen Wirrwarr, einen schnellgeschos­senen Übertrag aus der Pappmodell-Phase denken lässt, entfaltet räumlich seine Wirkung. Die Balkone verschränken sich so gegeneinander, dass sie sich als Sonnenblenden gereichen ohne sich den Ausblick zu nehmen. Wo diese Überdeckung nicht möglich war, ergänzen Gitterrahmen die Funktion. Ihre Dichte nimmt nach oben hin zu. Die oberste Etage sowie der Dachgarten sind von einem Ring aus diesen Sonnenblenden umkränzt.
Die Wirkung des Turms bleibt papieren, auch nachdem die Oberfläche als Aluminium-Lamellenwand erkannt und die präzise Ausführung der kniffelig schrägen Anschlussdetails verstanden ist. Die Schiebeläden vor den raumhohen Fenstern erinnern an Leporellos, sind Flächen, die die Linien der Fensterstreben ergänzen, die ihrerseits wie aus Streichhölzchen zusammengeklebt scheinen. Mit scharfer Klinge glaubt man sie ausgeschnitten aus der Wand, die, einem gebogenen Blatt Papier gleich, Raumkante wird. Der Turm ist eine Verrücktheit, zweifellos. Ein Bild von einem Haus, das mit einfachen Entwurfsmitteln eine hohe Komplexität anstrebt: Schneiden, Klappen, Falten. Er verleiht den Vernarrtheiten nicht weniger Architekten Ausdruck: Licht, Luft und weißem Papier.
Der Arbre Blanc ist ein Luxusobjekt, das steht außer Frage. Unter dem Titel einer „Folie“ ist das legitim. Seine teils zweigeschossigen Wohnungen bieten trotz bisweilen verwinkelter, aus der Grundform resultierender Schnitte repräsentative Räume, jeder davon bestückt mit einer pittoresken Aussicht. Die sich selbst verschattende Fassade macht es möglich, sogar im Hochsommer die Türfenster komplett zu öffnen und sozusagen in der Luft zu wohnen.
Arbre Blanc steht zwar klar in der Tradition seiner aristokratischen Vorgänger, lässt jedoch Spielraum für das „Volk“ – der Wahnwitz soll ja nicht enden wie vor zwei Jahrhunderten. Die Erdgeschosszone umspielt flussseitig ein bunter Garten, mit Kräutern und Blumen, vielleicht ein Anklang an die Schlossgärten. Darin gebettet, auf einem kleinen Hügel, liegt die Terrasse eines Restaurants. Ob nun das Attribut einer Brasserie der vorgeblichen Volkstümlichkeit gerecht wird, ist zweifelhaft. Allerdings, wie die zum Restaurant gehörige Terrassenbar über Etage 17 und die ebenfalls im Sockel untergebrachte Galerie – wo auch Werke mit zweistelliger Bepreisung aushängen –, öffnet das Lokal den Turm für Stadtbewohner und Besucher. Der bourgeoi­-sen Bewohnerschaft bleibt als Rückzugsort dannimmer noch die hauseigene, gemeinschaftliche Dachterrasse.



Fakten
Architekten Sou Fujimoto Architects,Tokio/Paris; Nicolas Laisné, Paris; Dimitri Roussel, Paris; OXO Architectes, Montreuil
Adresse Place Christophe Colomb, 34000 Montpellier, Frankreich


aus Bauwelt 22.2019
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