Bauwelt

Alte Gewissheiten­

Jan Friedrich hatte vor, das Thema Pandemie in dieser Woche zu vermeiden. Ganz ehrlich.

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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Jan Friedrich hatte vor, das Thema Pandemie in dieser Woche zu vermeiden. Ganz ehrlich.


Alte Gewissheiten­

Jan Friedrich hatte vor, das Thema Pandemie in dieser Woche zu vermeiden. Ganz ehrlich.

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Ob seinerzeit, als die Pest zu wüten begann, schon ab der ersten Woche jeder damit beschäftigt war, sich zu befragen, welche Lehren aus der Seuche zu ziehen seien und, wenn der Schrecken hoffentlich irgendwann vorbei wäre, wie die Welt dann wohl aussehen werde, in der die Überlebenden würden zurechtkommen müssen? Vermutlich nicht. Ganz anders heute. Das öffentliche Leben war kaum zwei, drei Tage zum Erliegen gekommen, da verlangten die Mechanismen der total vernetzten Gesellschaft die Aufführung ihrer Rituale: „Nichts wird nach dem Lockdown sein wie zuvor!“ „Was uns die Pandemie lehrt.“ „Das Ende der Welt, wie wir sie kennen.“ Und seither werden Thesen zu allen Facetten des Lebens verkündet. Wie nach Corona unsere Wirtschaft funktioniert. Wie sich unser Bildungssystem verändert. Wie wir in Zukunft arbeiten. Und natürlich: Wie die Pandemieerfahrung unser Zusammenleben und damit die Grundlagen für Architektur und Stadtplanung verändert. Eine wichtige Frage, zweifelsohne. Obwohl es noch ein bisschen früh sein mag, sie fundiert zu beantworten, gibt es immer mehr, die Bescheid wissen. Der Lockdown zeige, wie schlecht unsere immer kleineren, auf Effizienz und Profit getrimmten Wohnungen funktionierten. Der Lockdown beweise, dass Autos in unseren Städten viel zu viel Platz beanspruchten, der nun fehle, damit man sich in der Öffentlichkeit weit genug aus dem Weg gehen könne. Unsere immer dichteren Städte seien längst zum Problem geworden. Ganz falsch, tönt es von anderer Seite: Nur die dichte Stadt, am besten der Stadtraum der Gründerzeit, gewährleiste die Aufrechterhaltung von so etwas wie öffentlichem Leben auch dann, wenn das Abstandsgebot gelte. Für solche „Lehren aus der Krise“ finden sich Argumente und Gegenargumente. Was ihnen aber allen einen bitteren Beigeschmack verleiht: Jeder, der zurzeit etwas zum Thema beiträgt, scheint genau jene Sicht auf die Dinge zu verkünden, die er bereits zuvor propagierte. Die durch die Pandemie ausgelöste Krise dient lediglich als Beweis für die Gültigkeit der eigenen alten Gewissheiten. Antworten für eine Welt, in der zwar sicher nicht alles, aber wohl tatsächlich vieles nicht mehr so sein wird, wie es war, sind das nicht.

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