Bauwelt

Ambivalente Laufbahnen

Tagung zu Bauhaus und Nationalsozialismus in Weimar

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Das Atelierhaus in Dessau im Jahr 1933 mit Hakenkreuzfahne.
Foto: Bauhaus-Archiv Berlin

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Das Atelierhaus in Dessau im Jahr 1933 mit Hakenkreuzfahne.

Foto: Bauhaus-Archiv Berlin


Ambivalente Laufbahnen

Tagung zu Bauhaus und Nationalsozialismus in Weimar

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Am 24. und 25. Mai lud die Klassik Stiftung Weimar zusammen mit der Universität Erfurt zur Tagung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ nach Weimar ein, bei der knapp zwei Dutzend Fachleute die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschungen vorstellten. Dabei ging es – neben Vorträgen zu den völkischen Tendenzen am Weimarer Bauhaus und der NS-Nachnutzung des Dessauer Bauhausgebäudes (siehe Bauwelt 22.2014) – um das konkrete Agieren einzelner Bauhäusler nach 1933, um ihr Lavieren und moralisch fragwürdige Tätigkeiten für das nationalsozialis­tische Regime, bis hin zur Mitarbeit an der Planung von Konzentrationslagern.
Zu diesem Thema gab es bereits 1991 eine wegweisende, vom Architekturmuseum der TU München und dem Bauhaus-Archiv in Berlin veranstaltete Tagung. Der daraus entstandene, von Winfried Nerdinger herausgegebene Sammelband „Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung“ ist bis heute spannend zu lesen und in Fachkreisen ein unverzichtbares Standardwerk. Dabei wurden die grundlegenden strukturellen und personellen Kontinuitäten in der Ausstellungsgestaltung, Werbung/Propaganda, dem Industriedesign und der Architektur bereits facettenreich untersucht. Denn hier war auch nach 1933 häufig eine moderne Gestaltung gefragt, mit entsprechend vielen Bauhäuslern, die in Deutschland weiter in ihrem angestammten Beruf gearbeitet und damit mehr oder weniger umfangreich das System gestützt haben.
Bei der aktuellen Tagung lag der Fokus jedoch auf den Biographien einzelner Akteure, häufig in Storytelling-Manier. Denn das im Journalismus seit langem beliebte, auf viele kleine Details setzende Nacherzählen von Empörung oder aber Entsetzen hervorrufenden Geschichten mit langen Auszügen aus privaten Aufzeichnungen und Gesprächen setzt sich scheinbar auch in der Wissenschaft immer mehr durch.
Da die Werke vieler Bauhaus-Künstler während der NS-Zeit als „entartet“ galten und einige der namhaftesten Protagonisten dieser Schule – wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Marcel Breuer, László Moholy-Nagy und Josef Albers – in den 1930er Jahren in die USA übergesiedelten, etablierte sich später die Legende, dass das Bauhaus und der Nationalsozialismus zwei unvereinbare Gegensätze gewesen wären. Doch nicht alle Angehörigen dieser Schule wurden per se verfolgt, wenn sie nicht gera­de Juden, politisch missliebig oder aber homosexuell waren. Einige emigrierten, die meis­ten blieben jedoch zeitweise oder dauerhaft in Deutschland, arrangierten sich mit der nationalsozialistischen Diktatur und machten teilweise sogar – im ständigen Spagat zwischen Restriktionen und neuen beruflichen Aufgaben – Karriere, vor allem im Bereich der angewandten Kunst.
Der bereits durch seine am Bauhaus entworfenen Lampen bekannt gewordene Wilhelm Wagenfeld etablierte sich ab 1935 als künstle­rischer Leiter der Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weißwasser als führender Industriedesigner (zeitweise, um vom Kriegsdienst wie­der freigestellt zu werden, mit einer Nebentätigkeit für die SS-Porzellanmanufaktur Allach) und arbeite später für namhafte Firmen in der Bundesrepublik. Ludwig Mies van der Rohe versuchte 1933, nach der Schließung des Bauhauses, ausgerechnet Alfred Rosenberg, einen der Chefideologen des Nationalsozialismus, bei einem persönlichen Gespräch als Unterstützer für die aufgelöste Schule zu gewinnen und bemühte sich dabei auch, ihm den Stahl als vermeintlich heimisches Baumaterial aus West­falen schmackhaft zu machen. Jedoch weitestgehend erfolglos. Denn der Stahl landete in der NS-Zeit zunehmend in der Rüstungsindus­trie. Mies van der Rohe lavierte bis zu seiner Emigration 1938 zwischen Auftragsflaute, nicht realisierten Projekten und beruflicher Kompromissbereitschaft. Er beteiligte sich an Wettbewerben und entwarf weiter moderne Ausstellungsarchitektur, genauso wie andere Bauhäusler auch.
Besonders viel Aufsehen erregte ein Vortrag, der die Baugeschichte des Konzentrationslagers Auschwitz beleuchtete. Denn er verdeutlichte anhand von umfangreichem Planmate­rial, dass der am Bauhaus Dessau ausgebilde­te, später in Auschwitz zum stellvertretenden Leiter der Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei aufgestiegene Architekt Fritz Ertl im Zuge der sukzessiven Erweiterung des Lagers 1941/42 auch an der Planung der Gaskammern und Krematorien maßgeblich beteiligt war. In diesem Vernichtungslager wurden mehr als eine Mil­lion Menschen umgebracht, auch mehrere Bauhäusler jüdischer Herkunft, darunter die bekannte Weberin und Textilkünstlerin Otti Berger.
Ein zentrales Anliegen der Tagung war es, die späteren Selbstdarstellungen kritisch zu hin­terfragen. Dass viele freie Arbeiten als „Entarte­te Kunst“ eingestuft worden waren, wurde nach dem Krieg immer wieder betont. Dass pa­rallel dazu aber auch ebenfalls von Bauhäus­lern geschaffene Werke bei den diversen NS-Propagandaschauen im Münchner Haus der Kunst zu sehen waren, wurde dagegen totgeschwiegen.
Herbert Bayer, Jungmeister am Bauhaus und einer der einflussreichsten Graphikdesigner seiner Generation, gestaltete ab 1928 als künstlerischer Leiter der Berliner Agentur Dorland mit seinen Mitarbeitern jahrelang im großen Stil Werbung, Titelbilder für Zeitschriften und an­dere Veröffentlichungen, in der NS-Zeit auch die Begleitpublikationen von mehreren bekannten Propagandaausstellungen. Bayer verließ Deutschland 1938 und setzte seine Karriere danach in den USA erfolgreich fort. Dafür nutzte er teilweise auch umdatierte, durch eine partielle Retusche von verfänglichen Formulierungen befreite NS-Arbeiten als Arbeitsprobe.
Weitere Vorträge beschäftigten sich mit dem Bildhauer Kurt Schwerdtfeger, dem Maler Vincent Weber und der Weberin Else Mögelin, die alle am Bauhaus ausgebildet wurden und spä­ter an der Kunstgewerbeschule in Stettin lehrten. Schwerdtfeger erhielt während der NS-Zeit viele Aufträge für Brunnen, Reliefs und Porträtbüsten. Weber leitete jahrelang weiter die Graphikklasse und versuchte dabei, sich wegen der stetig zunehmenden Repressalien im Ausland zu bewerben, jedoch ohne Erfolg. Seine freien Arbeiten dieser Zeit zeigen düstere Häuser hinter Stacheldraht. Von Else Mögelin stammt der bekannte geometrisch-abstrakte Wandbehang im Gropius-Zimmer in Weimar. Sie schuf später aber auch viele Bildwebereien und Wandteppiche mit realistischen Motiven. Diese waren durchgängig sehr gefragt, in der NS-Zeit vor allem großformatige Landschaftsdarstellungen, gelegentlich auch germanische Runen.
Ein Vortrag beschrieb sehr detailliert die sich immer mehr zuspitzende Zwangssituation des Möbeldesigners Erich Dieckmann, der nach seiner Entlassung 1933 erst Jahre später im „Amt Schönheit der Arbeit“, einer zur Deutschen Arbeitsfront gehörenden NS-Organisation, die sich mit der Einrichtung von Arbeitsstätten beschäftigte, wieder eine Anstellung fand. Dort entwarf er Festsaal-Dekorationen mit den damals üblichen Insignien.
Neben vielen hervorragenden Beiträgen gab es auch manche, bei denen lediglich eher klei­ne Details der jeweiligen Biographien unter dem nationalsozialistischen Brennglas neu bewertet und teilweise dann auch mit einer großen Selbstgerechtigkeit pauschal verurteilt wurden. Da­bei fiel auf, wie stark sich die Wertmaßstäbe und das mit diesem Themenfeld befasste Forschungspersonal verändert haben. Der Historiker Götz Aly, der seit den 1980er Jahren zum National­sozialismus forscht, stellte bei seinem breitgefächerten Überblicksvortrag heraus, dass „viele mitgemacht“ haben, auch in der Baubranche. Bei den Debatten der aktuellen Hochschul-Elite, für die umfangreiche Sprachkenntnisse, internationale Mobilität und möglichst wenig familiäre Verpflichtungen selbstverständlich sind, gewinnt man jedoch den Eindruck, dass – wie es ein anderer Redner süffisant formulierte – mittlerweile die schlichte „Nicht-Emigration“ negativ bewertet wird.
Kontroverse Diskussionen gab es zur Frage: Was gehört alles zum Bauhaus-Erbe? Nach dem bisherigen Verständnis alle von Bauhäuslern geschaffenen Arbeiten. Auch die während der NS-Zeit entstandenen Werke? Falls ja, dann würde das von einem am Bauhaus Dessau ausgebil­deten Architekten maßgeblich mitgeplante Vernichtungslager Auschwitz ebenfalls dazu ge­hören und damit geradezu par excellence die Janusköpfigkeit der Moderne zeigen.
Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Tagung sollen in eine gleichnamige Sonderschau einfließen, deren Eröffnung in Weimar für Mai 2024 geplant ist. Ziel dieser Ausstellung ist es, die überlieferten Legenden und Mythen aufzuarbeiten, ohne die positive Strahlkraft dieser Schule nachhaltig zu beschädigen. Eine sehr schwierige Aufgabe. Da kann man bereits jetzt gespannt sein, wie dies umgesetzt werden wird.

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