Bauwelt

Pritzker-Preisträger Frei Otto

Der Architekt Frei Otto ist am 9. März, kurz vor Vollendung seines 90. Lebensjahres, gestorben. Vom Pritzker-Preis hatte er erfahren. Die Jurorin Kristin Feireiss erzählt von ihren Begegnungen und von einem nachdenkenswerten Projekt.

Text: Feireiss, Kristin, Berlin

Pritzker-Preisträger Frei Otto

Der Architekt Frei Otto ist am 9. März, kurz vor Vollendung seines 90. Lebensjahres, gestorben. Vom Pritzker-Preis hatte er erfahren. Die Jurorin Kristin Feireiss erzählt von ihren Begegnungen und von einem nachdenkenswerten Projekt.

Text: Feireiss, Kristin, Berlin

Vieles ist in den vergangenen Tagen über den Architekten, Pionier und Visionär Frei Otto gesagt worden – der trotz seines hohen Alters für alle unerwartet verstorben ist, aber noch zu Lebzeiten mit dem Pritzker-Preis 2015 ausgezeichnet worden war. Ich schreibe an dieser Stelle gern über ihn und sein Werk, zumal ich ihm und seiner Frau Ingrid über Jahrzehnte verbunden war und bin. Ich kenne beide in ihrem Wohnhaus in Warmbronn bei Stuttgart, bei dem Frei Otto seine Philosophie innovativ und fast spielerisch in Raum umgesetzt hat. Ich konnte vor einigen Jahren in den beiden Garagen in der Nähe des Hauses, in denen sich seine Architektur- und Konstruktionsmodelle bis zur Decke stapelten, stöbern, während er mir jedes einzelne Stück erklärte – eine Situation, in der ich mir vorkam wie Alice im Wunderland. 2011 folgte dann die Ausstellung „Form follows Nature“ in Zusammenarbeit mit Rudolf und Maria Finsterwalder in unserem Architekturforum Aedes, in der wir viele der „Garagen-Modelle“ zeigen konnten.
Als Jurymitglied des Pritzker-Preises habe ich, wie alle anderen Juroren, ein persönliches Statement zu unserer Entscheidung abgegeben, das meine Haltung zusammenfasst. Ich will einige Sätze anführen: „Frei Otto war mit seinen pionierartigen Tragwerkserfindungen, seinem humanistischen, gesellschaftsbasierten Entwurfskonzept, seinem Glauben an Grundlagenforschung und der Art und Weise wie er das Arbeiten im Team verstand – als Kombination aus gemeinsam erarbeitetem Wissen und transdiziplinärem Expertenaustausch – eine der inspiriertesten, einflussreichsten und visionärsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts; in diesen Eigenschaften hatte er einen enormen Einfluss auf Architekten in der ganzen Welt, den er im übrigen auch weiterhin haben wird. Mit seiner holistischen Einstellung war Frei Otto seiner Zeit immer einen Schritt voraus. Wir werden ihn vermissen.“
Frei Ottos letztes Interview, das er im Rahmen seiner Auszeichnung mit dem Pritzker-Prize wenige Wochen vor seinem Tod in Warmbronn gegeben hat und das auf Video aufgezeichnet wurde, wird nach der Zeremonie am 15. Mai zugänglich sein – und auf eindringliche Weise eine Art Vermächtnis werden. Die Motivation für sein Schaffen – gerade auch im Bewusstsein der ihn lebenslang prägenden Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus – hat er vor einigen Jahren in einem Gespräch so zusammengefasst: „Ja, meine Architektur ist eine Architektur des Überlebens. Ganz einfach.“ Ganz so einfach ist es für mich nicht, den zahllosen Würdigungen, die er inzwischen erfahren hat, Neues hinzufügen. Dass Frei Otto einer der ersten – wenn nicht der erste – war, der sich in Europa mit nachhaltigem Bauen auseinandergesetzt hat, als noch kaum einer diesen Begriff auf die Architektur angewendet hat, ist vielleicht bekannt, wird aber oft vergessen. Ähnliches gilt für Frei Ottos Abkehr von der Haltung der Moderne und deren Vertretern wie Le Corbusier, die die Natur als „Unordnung“ und damit als Gegensatz zur Architektur verstanden – Otto hat als erster gerade die Beziehung zwischen Natur und Architektur in die Mitte der Forschung gestellt und Naturprozesse auf die Entwicklung und Anwendung architektonischer Strukturen und Formen übertragen. Es ist kein Gemeinplatz zu sagen, dass seine Entwürfe in Harmonie mit der Natur stehen; sie sind nicht für die Ewigkeit gebaut, sondern sollen der jeweiligen Zeit und ihren Anforderungen entsprechen.
Auch über die von ihm erfundene Leichtbauweise, mit der er die Architektur weltweit revolutioniert hat, ist viel geschrieben worden. Kaum erwähnt wird aber der Umstand, dass Frei Otto seine zahlreichen Erfindungen nicht nur bei seinen Bauten eingesetzt und sie eben gerade nicht unter Patentschutz gestellt hat, sondern es als Lebensaufgabe ansah, seine Erfindungen als eine Art „Geschenk“ allen verfügbar zu machen, um die Entwicklung der Architektur voranzutreiben. Ottos Herangehensweise war in jeder Hinsicht dem Stararchitektenkult entgegengesetzt. Er hat immer auf Teamwork gesetzt und ist gerade in seiner Art zu arbeiten ein Vorbild für eine junge Architektengeneration zur Bewältigung der immer komplexer werdenden Bauaufgaben, die sich nur in gemeinsamer Verantwortung lösen lassen.
Zum Schluss noch eine Anmerkung: Vor gut zehn Jahren, als ich dem Beirat der Zeche Zollverein angehörte, haben der japanische Architekt Shigeru Ban und ich gemeinsam den Vorschlag gemacht, auf der Zeche ein „Frei Otto Museum für Architektur und Ingenieurtechnik“ zu installieren. Nicht nur seine eigenen Projekte und Erfindungen sollten in diesem Bau auf interaktive Weise zugänglich gemacht werden, sondern, basierend auf Ottos Grundlagen, auch nationale wie internationale Forschungs- und Bauprojekte junger Architekten ausgestellt und diskutiert werden. Shigeru Ban hatte dazu den Ausstellungsbau entworfen. Unser Konzept fand großes Interesse und sollte umgesetzt werden. Gemeinsam mit den Verantwortlichen der Zeche Zollverein gab es in Essen ein Treffen, an dem auch Frei Otto zugegen war, um die für die Realisierung nötigen Schritte zu besprechen. Daraus wurde nichts. Das Projekt wurde in den Mühlen der Verwaltung zerrieben, von der allseitigen Begeisterung war bald nichts mehr übrig. Frei Ottos Enttäuschung war groß. Möglich wäre es ja, dass nach der internationalen Würdigung seines Lebenswerks durch den Pritzker-Preis Frei Otto auch bei uns gewürdigt und über diese Pläne noch einmal nachgedacht wird. Ich würde es mir wünschen.

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