Bauwelt

Entwürfe für die neue Stadt

Eine Tagung der Fondazione Giovanni Michelucci in Fiesole eröffnete Hoffnungsräume für eine schönere und sozialere Stadt.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

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    Das Türmchen ist ein Windfang. Das traditionelle Bauelement dient der Kühlung des Gebäudes.
    Foto: TAMassociati

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    Das Spiel mit Farben, Material und Formen gibt dem Gebäude einen eigenständigen, freundlichen Charakter.
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Entwürfe für die neue Stadt

Eine Tagung der Fondazione Giovanni Michelucci in Fiesole eröffnete Hoffnungsräume für eine schönere und sozialere Stadt.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

Wer Übertourismus hautnah erleben will, sollte nach Florenz fahren. Alle Welt fährt nach Florenz: Die für vormoderne Verhältnisse riesige Altstadt ist Tag und Nacht maßlos überfüllt. Dass dieses Schicksal ausgerechnet Florenz ereilt, ist mit Sicherheit kein Zufall. Denn das Antlitz dieser Stadt ist über Jahrhunderte hinweg entlang harter wirtschaftlicher und politischer Kämpfe gestaltet worden, in der Reibung konkurrierender und widerstreitender Kräfte. Die freigesetzte Energie entfaltete sich aber innerhalb der Stadtgemeinschaft, entweder als Ausdruck von Bürgerstolz oder von aristokratischer Wettstreitmentalität.
Heute ist die Altstadt von Florenz ein Freiluftmuseum. Der Begriff der Stadtgemeinschaft musste gleichsam zusammen mit den Bewohnern ausziehen – beide haben sich im Gürtel jenseits der Mauern angesiedelt. Dass die konsumistische Stadt über kurz oder lang für alle unbewohnbar und unerträglich werden würde, kündigte der Architekt Giovanni Michelucci schon in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einem Aufsatz an, der in der von ihm gegründeten Zeitschrift „La Nuova Città“ gedruckt wurde.
1891 im nahen Pistoia geboren, verbrachte Michelucci fast sein ganzes Leben in Florenz und drückte ihr mit dem Hauptbahnhof von 1935 seinen Stempel auf. Es mache keinen Sinn, über die Kunst der Altstädte zu reden, wenn die Ordnungsvorstellungen der Reichen Ausgrenzung und infolgedessen Gewalt erzeugten, schrieb Michelucci. Gerade als Architekt müsse man stattdessen an die Armen, die Verrückten, die Ein­gesperrten denken, an die Obdachlosen und Alten, an die Sinti und Roma, vulgo: die Schwachen und Ausgegrenzten.
In den letzten zwei Jahrzehnten seines fast hundertjährigen Lebens kümmerte sich Michelucci hauptsächlich darum, eine Stiftung auf­zubauen, die die sozialen Fragen der Stadt beforscht, mit besonderem Augenmerk auf Gefängnissen, Schulen und Krankenhäusern. 1982 wurde die Fondazione Michelucci gegründet. Ihr vierzigster Geburtstag wurde in diesem Jahr mit einem „Festival der neuen Stadt“ begangen. An drei Tagen im September kamen im Stadtsaal von Fiesole – dem auf dem Hügel nördlich von Florenz gelegenen Juwel – Architekten, Forscherinnen und Kommunalpolitiker zusammen, um Entwürfe einer sozialeren, schöneren, besseren Stadt auszutauschen.
Die städtische soziale Frage schlechthin sei heute wieder die Wohnungsfrage, sagte der Mailänder Soziologe Agostino Petrillo. Seit ihrer Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts sei sie nie wirklich beantwortet worden und sei heute virulenter denn je. Gerade weil Italien gedacht hatte, dieses Problem mit flächendeckendem Hauseigentum gelöst zu haben, habe es die Krise der Subprimes von 2008 und die damit verbundene schlagartige Verarmung einer ganzen Bevölkerungsschicht besonders hart getroffen. Mittlerweile befänden sich zwischen 15 und 20 von insgesamt 65 Millionen Italienern in ernsten ökonomischen Schwierigkeiten.
Eine Antwort auf die Verteilungskämpfe des Wohnungsmarkts stellte der Turiner Architekt Matteo Robiglio mit seinem Projekt „Homers“ vor. Dieses 2014 gegründete Unternehmen will mit Cohousing das Problem eines Angebots ohne Nachfrage und einer Nachfrage ohne Angebot umgehen: Planer und zukünftige Bewohner sollen von Anfang an in Kontakt miteinander stehen, um über Baumaterialien, Grundrisse, Finanzierung etc. zu sprechen. In Turin wurde schon ein Projekt fertiggestellt, ein zweites ist im Entstehen begriffen. Viele weitere, auch in den süditalienischen Regionen Apulien und Sizilien, sind in Planung.
Ein Höhepunkt der sowohl vor Ort als auch im Streaming gut besuchten Tagung war der Vortrag von Raul Pantaleo, der über seine Arbeit mit dem Arzt und humanitären Aktivisten Gino Strada in Subsahara-Afrika berichtete. Strada hatte ihn und seine Kollegen für den Bau eines Kinderkrankenhauses im sudanesischen Nyala mit einfachen, aber effektvollen Worten beauftragt: „Baut ein skandalös schönes Krankenhaus!“ Die Art und Weise, wie internationale Organisationen in jenen Breiten Krankenhäuser oder Flüchtlingsunterkünfte bauen, bezeichnete Pantaleo als eine Ingenieurisierung des Schmerzes: Es sei schlicht unmenschlich, derartige Gebäude in Excel-Tabellen zu entwerfen, ihnen keinerlei Individualität oder Anknüpfungsfähigkeit zur Umgebung zu verleihen.
Pantaleo und seinem Team standen dabei nicht mehr Mittel als anderen zur Verfügung. Aber indem sie mit der Größe und Anordnung der Fenster spielten, die Farben mit Bedacht auswählten, lokale Bautraditionen und -techniken aufgriffen und die Landschaft bei der Planung berücksichtigten, verliehen sie dem Gebäude einen eigenen Charakter, eine Affektivität. „Das kostet nicht mehr, ist aber eine Frage von Kultur“, stellte Pantaleo fest. Der Schönheit komme im Krankenhaus eine zentrale Funktion zu, denn sie fördere das Wohlbefinden der Patienten und somit auch die Genesung. Man könne auch oder gerade mit geringen Mitteln nachhaltige, gute und schöne Bauten schaffen. Gebäude hingegen, die sich gegen die Gesetze der Schwerkraft stemmen, seien schlicht der falsche Weg – daraus würden über kurz oder lang nur Wracks. Mit beiden Füßen auf dem Boden bauen, dass ist Pantaleos Credo; darin sei ihm Giovanni Michelucci ein großes Vorbild gewesen. Er schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Die Sachen sind viel einfacher, als wir denken.“
Aus der Vielstimmigkeit der Tagung, vom anthropologisch-philosophischen Vortrag des Schriftstellers Gianni Biondillo über einen ernüchternden wie ernüchterten Bericht vom bolognesischen Wohnungspolitik-Beauftragten Marco Guerzoni bis zum Beitrag der vor Tatendrang strotzenden Guendalina Salimei, die ihre Eingriffe am römischen Großwohnbau Corviale vorstellte, ergab sich dennoch ein recht einhelliger Chor: Der Zustand ist unbefriedigend, aber Zuversicht ist angebracht, denn gute Ideen und guten Willen gibt es. Die Tagung machte deutlich, wie politisch Architektur und Stadtplanung sind: Intellektuelle, darauf wies Biondillo hin, müssten ihrer gesellschaftlichen Rolle als „undankbare Gäste“ wieder mehr nachkommen, und Petrillo mahnte Veränderung nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen an – denn leider würde entgegen Dostojewskis Diktum die Schönheit allein nicht die Welt retten.

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