Bauwelt

Grand Palais Éphémère

Nach Tokio folgt Paris. In drei Jahren finden dort die Olympischen Sommerspiele statt. Viele Wettkampforte sind mitten in der Stadt vorgesehen, so auch am Eiffelturm. Schon jetzt wurde dort eine temporäre Halle fertiggestellt, die den sanierungsbedürftigen Grand Palais ersetzen soll. Wird sie wie der Eiffelturm stehen bleiben?

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

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Mit Längs- und Querschiff: der temporäre Grand Pa­lais auf dem Camp de Mars vor dem Eiffelturm. Er soll bis zu den Olympischen Spielen 2024 den 1900 eröffneten Grand Palais ersetzen.
Foto: Patrick Tourneboeuf

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Mit Längs- und Querschiff: der temporäre Grand Pa­lais auf dem Camp de Mars vor dem Eiffelturm. Er soll bis zu den Olympischen Spielen 2024 den 1900 eröffneten Grand Palais ersetzen.

Foto: Patrick Tourneboeuf


Grand Palais Éphémère

Nach Tokio folgt Paris. In drei Jahren finden dort die Olympischen Sommerspiele statt. Viele Wettkampforte sind mitten in der Stadt vorgesehen, so auch am Eiffelturm. Schon jetzt wurde dort eine temporäre Halle fertiggestellt, die den sanierungsbedürftigen Grand Palais ersetzen soll. Wird sie wie der Eiffelturm stehen bleiben?

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

Während sich die Augen vieler kritischer Zeitgenossen mit gemischten Gefühlen auf Tokio richteten, werden in Paris nahezu unbemerkt bereits die nächsten Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2024 unter Hochdruck – und frei von Corona-Ängsten – vorbereitet. Anfang Juni wurde hier sogar schon ein erster Neubau in bester Lage in der Nähe des Eiffelturms eingeweiht. Eine beeindruckende Holzkonstruktion, die von den Bauherren ernsthaft als ein erstes „Post-Corona“-Bauwerk präsentiert wird. Muss man das unter „Operation Marketing“ einordnen oder steckt da mehr dahinter?
Es handelt sich bei der Konstruktion direkt vor der pompösen École Militaire auf dem weltausstellungs- und militärmanövererprobten Champ-de-Mars ganz profan um eine große Mehrzweckhalle mit einer Grundfläche von 10.000 Quadratmetern. Wie bei einem Kirchenschiff überspannt ein gekrümmtes Holzskelett die Hauptachse in einer Länge von 145 Metern, sowie die zwei Querschiffe. Das ergibt eine Gebäudetiefe von 51 Metern und es entsteht ein gut 20 Meter hoher offener Raum, getragen von 44 monumentalen Holz-Fachwerkbögen, ohne zusätzliche Stützen oder Einbauten. Die Rundbögen wurden in vorgefertigten Segmenten per Schiff über die Seine angeliefert und vor Ort in knapp drei Monaten montiert. Das Dach, eine doppelte transparente Folie aus wiederverwendbarem Kunststoff (Polymer), konnte anschließend zügig über das Skelett gespannt werden. So ist eine leichte, energiesparende, „ökologisch sinnvolle“ Architektur entstanden, die nicht nur allen Anforderungen – u.a. an Wärme- und Schallschutz – entsprechen soll, sondern auch ästhetisch überzeugt und in der sensiblen denkmalgeschützten Umgebung ein neues Signal setzt. Es ersetzt sozusagen das mächtige Denkmal des Marschalls im Ersten Weltkrieg Joseph Joffre, das – ohne es zu bewegen – in den Eingangsbereich des Leichtbaus integriert wurde.
Dass der Entwurf des Pariser Architekturbüros Wilmotte & Associés in seiner geometrischen Anlage und Formensprache an den auf der gegenüberliegende Seite der Seine liegenden Grand Palais erinnert, kommt dabei nicht von ungefähr. Er orientiert sich unmittelbar an dem geplanten Zweck. Weil „das Vorbild“ wegen dringend notwendiger Sanierungs- und Umbauarbeiten bis zu den kommenden XXXIII. Olympischen Sommerspielen geschlossen bleiben muss, fehlt in Paris somit ein großer zentraler Ausstellungs- und Veranstaltungsraum. Die Kunstmesse FIAC, die Ausstellung Paris Photo, das Springreiten von Hermès, die Modenschau von Chanel – kurz: alle diese jährlich wiederkehrenden Ereignisse mit ih­rer bedeutenden internationalen Reputation waren für einen Moment heimatlos, bis sich die französischen Veranstalter der Olympischen Spiele mit dem Verbund der nationalen Museen (RMN) zusammenschlossen, um das Architekturbüro Wilmotte kurzfristig dieses Ausweichquartier bauen zu lassen. Damit war wie nebenbei ein zusätzlicher Veranstaltungsort für die Olympischen und Paralympischen Spiele gefunden. Bis dahin wird nämlich die Renovierung des Grand Palais abgeschlossen sein und beide Gebäu­-de können für ein paar Wochen parallel benutzt werden. Im Neubau gibt es dann zum Beispiel Judo und Ringen zu sehen. Im renovierten Henri Deglane-Bau Fechten und Taekwondo. Da unter dem Eiffelturm außerdem Beach Volleyball, Marathon- und Triathlon-Start geplant sind, wird die historische Achse zwischen den beiden Palais mit ihren architektonischen Wahrzeichen zu einer zentralen olympischen Wettkampfstätte mitten in Paris werden – die in den ursprünglichen Bewerbungsunterlagen für die Spiele nicht vorgesehen war.
Nach dem Ende der Spiele soll der Neubau demontiert und weiterverkauft werden. Daher auch der Name „Grand Palais Éphémère“. Weil er eben der kleine Bruder des großen Palais ist und das auch nur vorübergehend. Das ganze Projekt ist außergewöhnlich. Selbst wenn man die Kosten betrachtet: 40 Millionen Euro für alles zusammen und auf die ganzen vier Jahre gerechnet. Inklusive Abbau! Das erscheint sehr vernünftig. Die Kalkulation wird nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die gesamte technische Infrastruktur des Gebäudes und die der geplanten Veranstaltungen von einer Event-Firma als Konzessionär geliefert und gewartet wird. Für die Bauherren ist sie gewissermaßen kostenneutral. Also nirgends ein Haken?
Nun: Es gibt ein kleines B-Moll – wie man in Frankreich sagt. Das ursprüngliche Grand Palais war seit sehr vielen Jahren ein gigantischer Zuschussbetrieb ohne spezifische Identität. Die unumgängliche Sanierung musste u.a. durch einen beträchtlichen Bankkredit des Kulturministeriums abgesichert werden. Um dem schwer steuerbaren Schiff eine erkennbare Richtung vorzugeben, engagierte man Ende 2018 den gerade in Berlin frei gewordenen Kulturmanager Chris Dercon. Der ist jetzt auch im wesentlich kleineren Palais Éphémère für das Programm zuständig. Doch was bleibt zwischen allen diesen unterschiedlichsten Pflichtterminen für ein iden­titätsstiftendes innovatives Kulturprogramm übrig. Ab Dezember 2021 darf Anselm Kiefer den neuen Raum bespielen. Das durfte er 2007 schon einmal im Altbau. Was für ein Glück ist es also, dass mit dem temporären Neubau ein großer Wurf gelungen ist – auch wenn er mit Post-Corona nun wirklich nichts zu tun hat.

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