Bauwelt

Hamburg und die Endlichkeit der Ressource Boden

Anfang des Jahres entfachte sich eine bundesweit geführte aberwitzige De­batte an einem vermeintlich in Hamburg-Nord ausgesprochenen Einfamilien­hausverbot. Ein solches gibt es auch dort nicht. Die Frage ist eine ganz andere.

Text: Werner-Boelz, Michael, Hamburg

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10.000 neue Wohnungen pro Jahr will Hamburg bauen. Das geht nur mehrgeschossig, so wie im Pergolenviertel im Bezirk Hamburg-Nord.
Foto: Bezirksamt Hamburg-Nord

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10.000 neue Wohnungen pro Jahr will Hamburg bauen. Das geht nur mehrgeschossig, so wie im Pergolenviertel im Bezirk Hamburg-Nord.

Foto: Bezirksamt Hamburg-Nord


Hamburg und die Endlichkeit der Ressource Boden

Anfang des Jahres entfachte sich eine bundesweit geführte aberwitzige De­batte an einem vermeintlich in Hamburg-Nord ausgesprochenen Einfamilien­hausverbot. Ein solches gibt es auch dort nicht. Die Frage ist eine ganz andere.

Text: Werner-Boelz, Michael, Hamburg

Zutreffend ist, dass Einfamilienhäuser in neuen Bebauungsplänen nicht mehr ausgewiesen werden sollen. Der Beschluss stammt aus dem Koa­litionsvertrag, den Grüne und SPD in Hamburg schon im Oktober 2019 geschlossen haben. Wo Einfamilienhäuser aber bereits in gültigen B-Plä­nen ausgewiesen sind, können diese auch weiterhin beantragt und genehmigt werden. Im Verlauf der Debatte gelang es aber immer mehr, diese vermeintliche Verbotsdiskussion auf die zentrale Fragestellung zu lenken, die fast alle Metropolen beantworten müssen: Wie gehen Städte mit wachsenden Bevölkerungszahlen, einem angespannten Wohnungsmarkt, der gleichzeitigen Notwendigkeit der Verkehrswende sowie des Klimaschutzes vor dem Hintergrund der Endlichkeit der Ressource Boden damit um, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Diese Frage soll auch hier, exemplarisch für den Bezirk Hamburg-Nord unter den dortigen Rahmenbedingungen, beleuchtet werden.
Städte erfreuen sich anhaltender Beliebtheit. Das verwundert kaum, findet man hier doch alles wieder, was im Leben nützlich ist und dieses angenehm gestaltet: Bildungs- und Kultureinrichtungen, Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Gastronomie sowie Sportangebote. Die Zahl der Menschen, die im Bezirk Hamburg-Nord leben, stieg in den vergangenen Jahren um jährlich durchschnittlich 3000 Personen. Im Vertrag für Hamburgs Wohnungsbau haben sich die sieben Bezirke verpflichtet, jedes Jahr mindestens 10.000 neue Wohneinheiten zu genehmigen, in Hamburg-Nord sind dies jährlich 1200. Diese Zahl wurde in der Vergangenheit im Bezirk immer erreicht. Nun tritt aber deutlich zutage: Die nutzbare Fläche für Wohnungsbau ist endlich. Gleichzeitig ist keine Entspannung auf dem Mietwohnungsmarkt erkennbar. Was bleibt also anderes übrig, als verantwortungsvolle Lösungen zu finden und die verfügbare Ressource Boden im Wohnungsbau effizient zu nutzen? Das frei stehende Einfamilienhaus ist hierfür sicherlich die am wenigsten geeignete Wohnform.
Die Bodenfrage stellt sich aber nicht nur beim Wohnungsbau. Die gleiche Thematik beschäftigt die Städte bei der Verkehrswende. Wie soll der öffentliche Raum verteilt werden? Welche Verkehrsformen müssen zukünftig in der Planung stärker berücksichtigt werden? Wie können Verkehrsflächen umverteilt werden und die Aufenthaltsqualität in den Quartieren gesteigert werden? Nur die Hälfte der Hamburger Haushalte besitzt überhaupt ein Auto oder gar mehrere Autos. Die über 800.000 angemeldeten PKW beanspruchen aber eine Fläche, die rund sechsmal so groß ist wie die Außenalster. Meist werden viele dieser Fahrzeuge, die mindestens 23 Stunden am Tag nicht bewegt werden, im öffentlichen Raum kostenlos abgestellt. Aber können es sich Metropolen überhaupt noch leisten, so verschwenderisch mit dem Boden umzugehen – von der Umweltbelastung durch den Individualverkehr einmal ganz abgesehen? Und muss nicht für die Verkehrswende, für die Stärkung des Umweltverbundes aus Rad- und Fußverkehr sowie ÖPNV der öffentliche Raum so umgestaltet werden, dass dem privaten PKW Raum genommen wird, weil nur so alternative Mobilitätsangebote attraktiver werden? Die aktuellen Erfahrungen mit Homeoffice und die fortschreitende Digitalisierung werden auch dazu führen, dass vor allem weite Wege zur Arbeit deutlich seltener zurückgelegt werden.
Und wie können Metropolen auf den Klimawandel reagieren? Wie kann ein grünes Netz geschaffen werden, das allen zugänglich ist? Wir brauchen öffentliche Grünflächen, die so konzipiert sind, dass sie auch Artenvielfalt zulassen. Im Bereich des Wohnungsbaus stellt sich dann die Fra­ge, welche Wohnform den Ansprüchen des Klimaschutzes am meisten entspricht. Im Kern geht es also bei den zentralen Fragen der Stadtentwicklung darum, wie die vorhandene Fläche in einem begrenzten Raum genutzt wird und wie wir uns folglich die Quartiere der Zukunft konkret vorstellen? Die Zukunft ist die Stadt der kurzen Wege, in der es möglich ist, mit dem Rad, zu Fuß oder mit dem ÖPNV alle wichtigen Dinge erledigen zu können. Wir brauchen architektonisch und städtebaulich hochanspruchsvollen Geschosswohnungsbau, der gleichzeitig das Bedürfnis nach Ruhe erfüllt und Möglichkeiten des Gemeinschaftserlebnisses eröffnet. Attraktive, grüne Innenhöfe mit Spielgeräten und Hochbeeten zum gemeinschaftlichen Gärtnern bieten solche Möglichkeiten, in Hamburg-Nord beispielsweise im Pergolenviertel. Genauso sind auch gestapelte Reihenhäuser denkbar, in deren Erdgeschoss eine Wohnung mit Garten und darüber eine Maisonettewohnung mit Balkon liegt. Innovative Architektinnen und Planer haben längst Lösungen für die Fragen der Zukunft des innerstädtischen Wohnens entwickelt. Es kommt darauf an, diese mutig umzusetzen. Zusätzlich brauchen wir in den hochverdichteten Quartieren attraktive Aufenthaltsflächen mit Pockets-Parks und Parklets. Der öffent­liche Raum muss für die Menschen zurückerobert werden.
Auch unter Klimaschutzaspekten ist das frei stehende Einfamilienhaus die denkbar schlechteste Lösung, um die Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen. Hier wird auf einer vergleichsweisen großen Fläche Wohnraum für wenige geschaffen und gleichzeitig deutlich mehr Energie sowohl für den Bau als auch für den Betrieb benötigt. Das Einfamilienhaus ist keine Lösung, es ist vielmehr Teil des zentralen Problems. Zukunftsgewandte Stadtentwicklungspolitik muss den Mut haben, klar zu sagen, dassder teure, individuelle „Traum vom kleinen Glück“, was für viele das Einfa­milienhaus ist, für die wenigen, die es sich leisten können, zurückgestellt werden muss zugunsten von attraktivem Wohnraum für die vielen, die diesen benötigen.

Der Autor ist Leiter des Bezirksamts Hamburg-Nord.

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