Bauwelt

Kann das Bauen die Umwelt retten?

Deutschland gehört zu den Top 5 Ländern, wenn es um den Verbrauch von Rohstoffen geht. Den größten Ressourcenhunger hat die Bau- und Immobilienwirtschaft, die rund die Hälfte aller Rohstoffe verschlingt. Jährlich verschwinden Milliarden Tonnen von Kalk, Kies, Sand oder Stahl in Gebäuden. Bei Abriss werden große Teile davon zu Abfall oder als minderwertiges Füllmaterial im Straßen- und Erdbau verwendet. Dabei ließe sich das gigantische Rohstofflager, das in Gebäuden und Infrastruktur schlummert, durch ein Umdenken vom linearen Effizienzpfad hin zu einer Circular Economy heben.

Text: Mösle, Peter, Hamburg; Özer, Marcel, Hamburg

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Das Moringa-Hochhaus in Hamburg entsteht im Sinne einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.
Abb.: Entwurf: kadawitt-feldarchitektur. Visualisierung: rendertaxi für Mo­ringa GmbH by Landmarken

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Das Moringa-Hochhaus in Hamburg entsteht im Sinne einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.

Abb.: Entwurf: kadawitt-feldarchitektur. Visualisierung: rendertaxi für Mo­ringa GmbH by Landmarken


Kann das Bauen die Umwelt retten?

Deutschland gehört zu den Top 5 Ländern, wenn es um den Verbrauch von Rohstoffen geht. Den größten Ressourcenhunger hat die Bau- und Immobilienwirtschaft, die rund die Hälfte aller Rohstoffe verschlingt. Jährlich verschwinden Milliarden Tonnen von Kalk, Kies, Sand oder Stahl in Gebäuden. Bei Abriss werden große Teile davon zu Abfall oder als minderwertiges Füllmaterial im Straßen- und Erdbau verwendet. Dabei ließe sich das gigantische Rohstofflager, das in Gebäuden und Infrastruktur schlummert, durch ein Umdenken vom linearen Effizienzpfad hin zu einer Circular Economy heben.

Text: Mösle, Peter, Hamburg; Özer, Marcel, Hamburg

Das Prinzip Cradle to Cradle ist inzwischen jedem und jeder in der Baubranche bekannt. Es geht darum, den Ressourcenverbrauch und das zukünf­tige Abfallaufkommen komplett zu reduzieren und Materialien stattdessen wie Nährstoffe zu betrachten. Die Konstruktionen und eingesetzten Produkte – vor allem in der Baubranche – also wieder in technische Kreisläufe zurückzuführen. Voraussetzung ist das richtige System- und Produkt­design der eingesetzten Materialien, deren chemische Beschaffenheit so sein sollte, dass später keine Schadstoffe in Rezyklate und Umwelt gelangen. Sprich: „Gesunde“ Baumaterialien sind Voraussetzung für eine echte Kreislaufwirtschaft.

Das Gebäude als Materiallager

Eines der Leuchtturmprojekte für kreislauffähiges Bauen entsteht derzeit in der Hamburger HafenCity. Dort soll in den nächsten Jahren das „gesündeste Wohnhochhaus der Stadt“ gebaut werden. Moringa, so der Projektname und entworfen von kadawittfeldarchitektur, wird ein Ensemble aus drei Gebäudeteilen mit bis zu dreizehn Geschossen, die sich um einen grünen Innenhof gruppieren. Begrünte Flächen sind auch am und auf dem Gebäude geplant – und zwar in mindestens gleichem Umfang wie die bebaute Grundstücksfläche. Das Vorhaben wird in nachhaltiger Bauweise realisiert. Die Idee des Projektentwicklers: Weitestgehend alle Materialien, die zum Einsatz kommen, sollen sortenrein trennbar, rückbaubar und wiederverwertbar sein. Das Gebäude als eine Art Materiallager. Mindestens fünfzig Prozent der Materialien entsprechen diesen Anforderungen. Welche Bauprodukte und -materialien genau eingesetzt werden, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist und welchen Wert die eingesetzten Mate­rialien haben, wird in einem sogenannten Building Circularity Passport by EPEA festgehalten.
Dieser Circularity-Ausweis erfasst dabei nahezu jede Schicht, jede Tür und jede Stütze. Um diese Menge an Informationen beherrschbar zu machen, werden die Daten im Idealfall mit einem BIM-Modell verknüpft. Erstmals in Deutschland geschieht das aktuell im Düsseldorfer Holzhybrid-Bürogebäude The Cradle: Alle Informationen werden digital erfasst, sodass der Building Circularity Passport entweder direkt aus dem BIM-Mo­-dell erstellt oder einfach in den digitalen Zwilling integriert werden kann. Sämtliche Materialien werden über eine ID mit den zugehörigen Bauteil­informationen verknüpft und lassen sich somit im BIM-Modell jederzeit lokalisieren. Außerdem helfen eindeutige Ampel-Farbskalen dabei, unterschiedliche Qualitäten zu identifizieren und zu bewerten. Ist zum Beispiel die einfache Trennbarkeit der Materialien noch nicht oder nicht ganz gewährleistet, erscheint der zugehörige Datensatz in Rot oder Gelb. Kreislauffähige Produkte erscheinen in Grün. Damit sehen alle Beteiligten sofort, welche Elemente bereits die Cradle to Cradle-Standards (oder gleichwertige Standards, da nicht alle kreislauffähigen Materialien zwingend C2C zertifiziert sind) erfüllen und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Nicht nur der Planungs- und Bauprozess wird erleichtert: Wenn The
Cradle am Ende seiner Nutzungszeit um- und rückgebaut wird, liegt automatisch ein digitaler Plan mit allen wichtigen Informationen vor. Diese sind mit dem Materialkataster „Madaster“ synchronisiert, um so tagesaktuelle Informationen über die entsprechenden Rohstoffwerte abrufen zu können.

Das Gebäude als Materialbank

Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet rechnen sich dann auch die anfänglichen Mehrkosten und machen sogar eine Wertsteigerung von bis zu zehn Prozent möglich. Denn das für die Baustoffe gebundene Kapital geht nicht länger verloren, sondern wird ähnlich einer mittel- bis langfris­tigen Wertanlage bei der Umnutzung oder im Rückbau wieder freigegeben. Die Immobilie wird damit zu einer echten Materialbank, deren Wert in Zeiten einer sich verschärfenden Rohstoffknappheit zudem noch kontinuierlich steigen könnte – und zwar überinflationär. Mit der Registrierung auf der Homepage von Madaster sind die Gebäude mit internationalen Rohstoffbörsen und Verkaufsplattformen vernetzt, sodass Eigentümer und Wirtschaftsprüferinnen auf einen Blick erkennen können, wie sich der verfügbare Rohstoff-Restwert eines Gebäudes entwickelt.
Doch vor allem die Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft treibt das Cradle to Cradle-Prinzip voran, die rein wirtschaftlichen Vorteile sind noch Nebensache. Vor allem die Dekarbonisierung und Ressourcenschonung mittels Einsatzes erneuerbarer Energie und CO2-armen Mate­rialien sowie der Fokus auf hohe Rezyklierbarkeit werden in der Bau- und Immobilienwirtschaft weiter an Bedeutung gewinnen. Gerade auch mit dem Green Deal und den damit verbundenen ESG-Anforderungen an die Branche entsteht sogar ein „Must-have“. Um eine echte Kreislaufwirtschaft in der Branche zu etablieren, sind jedoch nicht nur Hersteller gefragt. Vielmehr muss sich das Mindset aller am Bau Beteiligten ändern, damit der Cradle to Cradle-Gedanke sein volles Potenzial entfalten kann.

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