Kollateralnutzen privater Interessen
Jan Friedrich ist in Interlaken auf einen für alle Seiten erfreulichen Grundstücksdeal aus dem Jahr 1864 gestoßen.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Kollateralnutzen privater Interessen
Jan Friedrich ist in Interlaken auf einen für alle Seiten erfreulichen Grundstücksdeal aus dem Jahr 1864 gestoßen.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Was würde Ihnen durch den Kopf gehen, wenn Sie durch ein quirliges Schweizer Touristenstädtchen flanieren, und die Mitte dieses Städtchens ist eine schätzungsweise 100 Hektar große Wiese? Ein riesiger Freiraum, auf dem hier und dort einige Kühe grasen und hin und wieder ein Paraglider landet. Ein riesiger Freiraum, der den Blick aus der Mitte des Ortes heraus auf die umgebende Bergkulisse erlaubt. Vermutlich würden Sie denken: Was für ein großartiges Beispiel vorausschauender öffentlicher Stadtplanung! Und Sie würden sich fragen: Wie ist es der Gemeinde bloß gelungen, diesen besonderen Ort gegen die Begehrlichkeiten bauwilliger Investoren zu verteidigen?
Ja, so kann man gelegentlich mit seiner Einschätzung danebenliegen. Denn in Wahrheit befindet sich die Höhematte – so heißt die Wiese mitten in Interlaken, von der hier die Rede ist – seit mehr als 150 Jahren in Privatbesitz. 1864 kaufte eine Gruppe von örtlichen Geschäftsleuten die 500 x 200 Meter große Freifläche für die damals stolze Summe von 150.000 Franken mit eben dem Ziel, sie dauerhaft freizuhalten. Der juristische Clou: Teil des Kaufvertrags war ein Bau-, Zerstückelungs- und Baumfällverbot, gegen dessen Verletzung nicht nur alle damals 37 Anteilseigner (heute sind es noch zehn) klageberechtigt waren, sondern auch die Besitzer der Grundstücke im weiteren Umkreis sowie die Gemeinde Interlaken und der Kanton Bern. Irgendjemand aus dieser Runde würde schon stets aufmerksam sein, falls gegen eines der drei Verbote verstoßen würde, so das Kalkül. Das hat auch fast immer funktioniert, mit Ausnahme beim Bau eines Tennisplatzes 1892/93.
Bleibt die Frage: Was hat die Interlakener Geschäftsleute 1864 zu diesem ungewöhnlichen Grundstückskauf bewegt? Fühlten sie sich dem Gemeinwohl ihrer Stadt derart verpflichtet, dass sie ihr diesen besonderen Ort erhalten wollten? Naja, nicht ganz. Die Initiatoren des Deals waren die Besitzer der großen Hotels an der Nordseite der Höhematte. Sie hatten vor allem im Sinn, zu verhindern, dass andere Geschäftsleute ihnen den einzigartigen Blick auf den Gipfel der Jungfrau verbauen. Bis zum heutigen Tag erfolgreich.
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