Komplementär modern
Unter dem Titel „Unbekannte Moderne“ präsentiert das Brandenburgische Landesmuseum an seinen Standorten Cottbus und Frankfurt (Oder), wie sehr reformerische Bestrebungen auch abseits des Bauhauses gegenwärtig gewesen sind. In fünf Ausstellungen werden Kunst, Design und Darstellungen modernen Lebens vom Rande her betrachtet.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Komplementär modern
Unter dem Titel „Unbekannte Moderne“ präsentiert das Brandenburgische Landesmuseum an seinen Standorten Cottbus und Frankfurt (Oder), wie sehr reformerische Bestrebungen auch abseits des Bauhauses gegenwärtig gewesen sind. In fünf Ausstellungen werden Kunst, Design und Darstellungen modernen Lebens vom Rande her betrachtet.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Der Ausstellungsreigen beginnt im Cottbuser Kunstmuseum Dieselkraftwerk, das selbst ein Beispiel expressiver Backsteinarchitektur ist (Bauwelt 19.2008). Ausgehend vom zweiten Obergeschoss erfasst man von der Architektur über das Design bis zum Bild „die Moderne“ in Brandenburg und ihre überregionalen Bezüge.
Das sachliche Bauen spiegelt sich in den unterschiedlichen Sichtweisen polnischer und deutscher Fotografen wider. „Im Hinterland der Moderne“ lichteten sie auf beiden Seiten der Oder überwiegend öffentliche Gebäude ab, die exemplarisch für den gesellschaftlichen Wandel in der Weimarer Republik stehen. Mit dem begleitenden „Reiselesebuch“ wird ein kulturtouristisches Angebot unterbreitet, um das breite formale Spektrum moderner Architektur zu erfassen. Die meisten Bauten sind nämlich nicht glatt verputzt, sondern aus mal sachlich, mal expressiv eingesetzten Backstein. Ihre Funktionen trugen zur sozialen Erneuerung bei, sei es das städtische Rentenheim in Cottbus vom damaligen Stadtbaurat Hellmuth Schröder (1888–1938), das Lubuski-Theater in Zielona Góra von Oskar Kaufmann (1873–1956) oder das Musikheim in Frankfurt (Oder) von Otto Bartning (1883–1959).
In der Design-Ausstellung „Das Bauhaus in Brandenburg“ hingegen illustrieren Exponate die Lebenswege einiger Absolventen. So waren Else Mögelin (1887–1982) und Eberhard Schrammen (1886–1947) nach der Neuausrichtung der Schule auf industrielle Produktion in die genossenschaftlich organisierte Siedlung „Gildenhall“ am Ruppiner See nördlich von Berlin gezogen. Während Mögelin ihre Webtechniken professionalisierte und herrliche Wandteppiche schuf, baute sich Schrammen eine Drechselwerkstatt auf, in der er neben Möbeln auch Schalen und Teller von frappierender Schlichtheit herstellte. Von ihm sind auch Fotografien von Kindern zu sehen, die einen Blick in die von freier Entwicklung geprägte Lebenswelt der Siedlung eröffnen.
Andere Stätten, an denen Bauhäusler erfolgreich tätig waren, sind bekannt, wie etwa die Vereinigten Glaswerke in Weißwasser, die Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) in den 1930er Jahren künstlerisch leitete. Oder die Steingutfabriken Velten-Vordamm, die schon seit 1923 mit dem Bauhaus kooperierten. Im südbrandenburgischen Spremberg fand der Absolvent Christian Dell (1893–1974) in der Kunststofffabrik Römmler einen Partner, um etwa transportsichere Stapelgeschirre entwickeln zu können. Einen Exkurs widmen die Kuratoren seiner Schreibtischleuchte aus Phenoplast, die über Jahrzehnte unerkannt in der Sowjetunion hergestellt wurde.
Der moderne Mensch wird in den drei großen Ausstellungssälen durch Malerei, Fotografie und Grafik präsentiert. „Bild der Stadt/Stadt im Bild“ zeigt weniger namentlich bezeichnete Individuen als geradezu zeichenhaft dargestellte Personen, wie die Laborantin, der Arbeiter, die nackte „Liegende“. Doppelbelichtungen oder schräge Bildkompositionen lassen die fotografisch festgehaltenen Situationen stets als einen aus der dynamischen Welt herausgeschnittenen Moment erscheinen.
Dass Abstraktion nicht zwangsläufig ungegenständlich sein muss, zeigen in verschiedenen Techniken gefertigte Grafiken. Von Gerd Arntz (1899–1988) etwa ist die 1927 entstandene Holzschnitt-Serie „Häuser unserer Zeit“ zu sehen, die den Menschen als anonymes Subjekt innerhalb von Krankenhaus, Fabrik oder Kaserne darstellt. Der Silhouetten-Film „Das Geheimnis der Marquise“ von 1921/1922 kehrt als Werbung für Nivea-Creme die übliche dunkle Figur auf weißem Grund um, damit die makellose Schönheit unterstrichen wird; seine Urheberin Lotte Reiniger (1899–1981) wurde in diesem Jahrzehnt mit ihren die mit abendfüllenden Arbeiten zur Pionierin des Trickfilms.
Auch die aus 100 Holzschnitten bestehende Serie „Die Stadt“ des belgischen Künstlers Frans Masereel (1889–1972) ist eine Geschichte ohne Worte. Die expressive Kraft der Bilder von 1925 entfaltet sich im Packhof in Frankfurt (Oder), der ihnen gänzlich vorbehalten ist. Thomas Mann nannte die Serie ein „alt-neues, herkunfts- und gegenwartsvolles Werk“, denn es galt die Stadt nach dem ungezügelten Wachstum infolge der Industrialisierung zu charakterisieren. Was Masereel gelingt, indem er den Einzelnen genauso allgemeingültig darstellt wie die Gesellschaft, was angesichts der heutigen Individualisierung beim Rückblick auf die „moderne“ Zeit berührt.
In der historischen Rathaushalle von Frankfurt (Oder) ist die fünfte Ausstellung mit dem Titel „Neue Städte – Neue Menschen“ Werken zu Bewegung und Rhythmus gewidmet. Neben bildnerischen Arbeiten gehören dazu auch moderne Architekturen der Stadt, außer dem Musikheim die äußerst expressive Erich-Kästner-Schule, die 1925 von dem damaligen Stadtbaumeister Josef Gesing (1886–1963) entworfen wurde.
In den ausgestellten Arbeiten zeigt sich der Wille der ausgestellten Künstlerinnen, die Gesellschaft der damals jungen Demokratie mit ihren mannigfaltigen Möglichkeiten darzustellen wie auch zu gestalten. Ihre Aufbruchsstimmung klingt lange nach.
Unbekannte Moderne
Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst, Dieselkraftwerk, Am Amtsteich 15, 03046 Cottbus
Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst Frankfurt (Oder), Rathaushalle, Marktplatz 1, und Packhof, Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Str. 11, 15230 Frankfurt (Oder)
Bis 12. Januar
0 Kommentare