Bauwelt

Liverpools Erbe

Anfang Juli hat die Unesco Liverpool den Status als Weltkulturerbe aberkannt. Grund ist der Masterplan „Liverpool Waters“, der eine umfassende Entwick­lung des historischen Hafengebiets vorsieht. Während sich die Stadt ein Ende des Stillstands verspricht, wittert das Unesco-Komitee eine Bedrohung.

Text: Burose, Alina, München

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Der Masterplan „Liverpool Waters“ schreitet voran: zu den ersten Ergänzungen im Hafenareal gehört das RIBA North Centre (Bauwelt 11.2018).
Foto: Mark Waugh/Alamy

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Der Masterplan „Liverpool Waters“ schreitet voran: zu den ersten Ergänzungen im Hafenareal gehört das RIBA North Centre (Bauwelt 11.2018).

Foto: Mark Waugh/Alamy


Liverpools Erbe

Anfang Juli hat die Unesco Liverpool den Status als Weltkulturerbe aberkannt. Grund ist der Masterplan „Liverpool Waters“, der eine umfassende Entwick­lung des historischen Hafengebiets vorsieht. Während sich die Stadt ein Ende des Stillstands verspricht, wittert das Unesco-Komitee eine Bedrohung.

Text: Burose, Alina, München

Schön ist Liverpool nicht. Zugegeben: die allzu oft graue Kulisse an Englands Westküste ist im Allgemeinen wenig euphorisierend. Eine Entschul­digung ist sie aber nicht. Das Gesicht der Stadt ist jetzt ein anderes – die letzten Jahre waren ein eklatanter Sinneswandel.
Dabei spielte Liverpool zu Zeiten des British Empire eine tragende Rolle. Über den Hafen wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts vierzig Prozent des Welthandels abgewickelt und globale Handels- und Kulturbeziehungen geknüpft. Große Reedereien und Versicherungen fanden ihren Platz, und die entsprechenden Einnahmen ermöglichten repräsentative Bauten. Mehr als 2500 Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Markant für die Skyline sind die „Three Graces“, die „drei Grazien“. Diese Bezeichnung tragen die drei Gebäude, die zwischen dem St. Nicholas Place und dem Mann Island am Pier Head stehen: das Cunard Building, das Royal Liver Building sowie das Port of Liverpool Building.
Nachdem die UN-Kulturorganisation 2004 die historischen Hafenanlagen Liverpools mit dem Titel Weltkulturerbe versehen hatte, stufte sie diese nur acht Jahre später als „gefährdet“ ein. Die Drohung sollte den Masterplan „Liverpool Waters“ verhindern, doch die Planung nimmt ihren Lauf.
Zu einem Preis von 5,5 Milliarden Pfund verspricht das Projekt „Regeneration“ sowie eine „Verjüngung“ der britischen Küstenstadt. Vorbilder im Umgang mit der Waterfront seien Städte wie Hamburg, Boston, Toronto und Barcelona. Politik und lokale Behörden, einschließlich Liverpools Bürgermeisterin Joanne Anderson, begrüßen diesen Ansatz. Sie warnen vielmehr vor einem drohenden Stillstand, sollte die Priorität künftig allein auf dem Erhalt des Bestehenden liegen. Die Stadt definiere sich nicht als Relikt, sondern als Leben.
Auftraggeber ist die Peel Group, eine Investmentgruppe für Infrastruktur, Transport und Immobilien. Das in Manchester ansässige Unternehmen kaufte weite Teile der Docks für insgesamt 771 Millionen Pfund und schloss so die Zukunft einer Stadt in ihr Profitgeschäft. Zur Peel Group sollen rund 300 Tochterfirmen gehören, deren wirtschaftliche Verflechtungen undurchsichtiger denn je sind, viele Verbindungen dadurch kaum nachvollziehbar. Nicht nur Liverpools Hafen, sondern weite Teile Großbritanniens befinden sich im Besitz der Peel Group und damit auch die Verantwortung für die Gestaltung des Landes. Ein heroischer Gestaltungsanspruch an Architektur geht von der dahinterstehenden Lobby allerdings nicht aus. Vielmehr stehen Selbstzweck und Einfluss auf Politik und deren Funktionäre auf dem Tagesprogramm.
Zunächst beauftragte Peel Group das Architektur- und Planungsbüro Chapman Taylor mit der Ausarbeitung eines allumfassenden Masterplans. Dessen Portfolio verzeichnet diverse internationale Referenzen ähnlicher Größenordnung. Auch wenn zwischen Projekten in Dubai, Aserbaidschan und China noch „Liverpool Waters“ zu lesen sein mag, ist das Büro mit Sitz in London seit 2012 nicht mehr in die Ausführung involviert. Mit der Planung und Visualisierung wurde bis auf Weiteres Planit IE betraut, ein Kollektiv für Design nicht wirklich konkreter Natur. Der Plan erfuhr ein Update. Chapman Taylors anfängliche Version hätte laut Peel nicht das volle Potenzial Liverpools Hafengebiet ausgeschöpft. Fantasien rund um einen denkmalgerechten Umgang dürften spätestens an dieser Stelle von Business-Realität zerschlagen worden sein. Es geht um eine effizientere Bebauung, die mit derer großer Metropolen mithalten soll.
Die neu beplanten und teilweise auch schon bebauten 60 Hektar schließen direkt an die Three Graces an und dürften das Stadtbild maßgeblich prägen. Das Programm umfasst eine Vielzahl an Wohnungen, Büros, Hotels und weiteren Nutzungen – alles soweit legitim, denn Leben holt man in die zuvor verlassenen Hafenareale nur durch attraktives Angebot. Über die Zielgruppe lässt sich streiten, über die Umsetzung aber auch. Die historischen Bauten werden gesäumt von neuen Quartieren unterschiedlicher Größe. So zählt das höchste Gebäude, der „Shanghai Tower“ 55 Stockwerke. Den Auftakt bildete das neue Fährterminal, platziert direkt vor den Three Graces, wenig später folgte das RIBA North Centre (Bauwelt 11.2018) in unmittelbarer Nähe.
Nicht zuletzt steht der Bau eines neuen Stadions für den FC Everton an, einer der beiden Vereine Liverpools in der Premier League. Das neue „Bramley-Moore Dock Stadium“ wird 52.000 Zuschauerplätze fassen, soll aber auch außerhalb der Heimspieltage des FC Everton einen Gewinn für den öffentlichen Raum darstellen. Durch die geplante Materialpalette bestehend aus Ziegeln, Stahl und Glas postuliert das zuständige Studio Meis ein Aufgreifen des Bestands im Entwurfsprozess. Als Leitmotiv gelten insbesondere die „maritimen Warenhäuser“ der Umgebung. Derzeit rühmt sich das Büro mit Sitz in New York und Los Angeles noch mit der geplanten Erweiterung des Unesco Weltkulturerbes, doch dürfte der Bau eines Fußballstadions an den Rand des Liverpooler Hafengebiets das Komitee von ihrer neusten Entscheidung nicht abgehalten haben.
Durchaus haben Collagen ihren Reiz, dennoch ist die Unesco keine Institution, die besonders viel für Crossover-Episoden viktorianischer Blütezeit gepaart mit postmodernem Größenwahn übrighat. Einigen wenigen Gebäuden mag man eine Reaktion auf den Bestand nachsagen, doch die meisten versuchen gar nicht erst, sich in dem Gefälle des historischen weltkulturellen Erbes zu positionieren. Probleme wie zu starker Lobby-Einfluss und damit einhergehende Korruption hat Großbritannien für sich längst erkannt. Welches Ästhetikverständnis dennoch seitens der involvierten Personen aufgebracht wurde, bleibt ungeklärt. 2009 wurde das Fährterminal mit dem Carbuncle Cup ausgezeichnet, dem Preis für das hässlichste Gebäude Großbritanniens.

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